Tirpitz Museum vereint Architektur von BIG mit multimedialer Inszenierung
von Redaktion,
Das im Sommer 2017 neu eröffnete Tirpitz Museum an der dänischen Westküste ist nicht nur aus architektonischer Sicht ein weiterer Hingucker der Bjarke Ingels Group (BIG). Vielmehr ist es dank der Ausstellungsgestalter von Tinker Imagineers ein herausragendes Beispiel dafür, wie Gebäudearchitektur und Szenografie ineinander greifen können. Mit mehr als 170.000 Besuchern in nur fünf Monaten nach seiner Eröffnung hat das Interesse am Tirpitz-Museum alle Erwartungen weit übertroffen und bereits den Internationalen Design und Communication Award (IDCA Award) in der Kategorie „Beste Szenographie“ gewonnen.
Bjarke Ingels ist gefragt. Längst schon ist der 43-jährige dänische Architekt mit seinem Architekturbüro BIG neben Kopenhagen auch in den Metropolen London und New York vertreten. Bauwerke aus der Feder von BIG sind von Skandinavien über London, Hamburg, New York und Miami bis Mexiko Stadt und Shenzhen zu finden. Im Jahr 2016 führte das Time-Magazin Bjarke Ingels sogar auf der Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Umso erstaunlicher, dass das jüngste BIG-Projekt, das architektonisch wieder einmal viele Überraschungen bereithält, nicht in einer der großen Metropolen anzutreffen ist. Vielmehr „versteckt“ es sich unter dem Sand einer naturgeschützten Dünenlandschaft in Blåvand – einem kleinen Ort an der dänischen Südwestküste, der mehr Ferienhäuser als ganzjährig ansässige Einwohner zählt. Verbunden ist das neue Gebäude, das eine Mischung aus Natur- und Heimatmuseum beherbergt, mit einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Er ist ein Überbleibsel der sogenannten Tirpitz-Stellung, die hier als Teil des deutschen Atlantikwalls erbaut, aber dank des Kriegsendes nie fertiggestellt wurde.
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Demokratischer Gegenentwurf
Der Südbunker – Tarnname Vogelnest – beherbergte schon in der Vergangenheit über viele Jahre ein Museum zur Geschichte des Atlantikwalls. Mit dem neuen Tirpitz Museum sollten aber auch andere Themenbereiche der Region abgedeckt werden, um eine thematische Vielfalt für möglichst viele Besucher bieten zu können. „Unsere Zielsetzung war von Anfang an, hier ein Gebäude und Ausstellungen zu schaffen, die hohen internationalen Standards gerecht werden“, erklärt Mette Bjerrum Jensen, Leiterin des Tirpitz Museums. „Da wir eine private Organisation sind, konnten wir auf eine Ausschreibung verzichten und das Architekturbüro BIG direkt anfragen. Unsere Vorgabe war, dass das Gebäude von außen nahezu unsichtbar sein sollte, da es sich in einem Naturschutzgebiet befindet. Von innen sollte es aber spektakulär sein. Diese Vorgaben waren genau nach dem Geschmack von BIG und schon die ersten Ideen und Entwürfe waren aus unserer Sicht perfekt. Tatsächlich weicht das heutige Gebäude nur in wenigen Details von den ersten Entwürfen ab.“
Sozusagen als Counterpart zum dunklen Betonbunker, der sich über die ansonsten idyllische Dünenlandschaft erhebt, hat BIG hier das neue Gebäude scheinbar unter einer begehbaren Düne versenkt. Von außen sind zunächst nur vier Wege zu sehen, die das Gebäude bzw. die künstliche Düne durchkreuzen und eine Verlängerung der natürlichen Dünenpfade rundherum bilden. Was von außen nicht erkennbar ist: Die „Schnittstellen“ der Düne bestehen aus großen Glasflächen, die teilweise mehr als sechs Meter hoch sind und nicht nur viel Licht in die vier Ausstellungsräume hereinlassen, sondern ebenfalls den Blick von außen in die Ausstellungen erlauben. In ihrer Mitte öffnet sich ein Innenhof. „BIG wollte hier einen demokratischen und offenen Kontrast zum feindselig wirkenden Bunker setzen“, erzählt Mette Bjerrum Jensen. Wer mehr über die Architektur des Tirpitz Museums erfahren möchte, findet hier ein Interview mit Bjarke Ingels im Video.
Sand, Beton, Stahl & Holz
Auch die Materialien, die für den Bau genutzt wurden, haben Symbolkraft: Die großen Glasflächen stehen für die Transformation des Sandes, der Beton für den Bunker, der Cortenstahl für die Schnellladekanone, die auf dem Bunker hätte stehen sollen, aber es nie bis hierher geschafft hat, und die Holzfußböden im Inneren greifen das Thema der in der Umgebung weit verbreiteten Kiefern auf. „Nur diese vier Materialien, die man sozusagen überall in der Umgebung sieht, wurden für den Neubau verwendet“, betont Mette Bjerrum Jensen. BIG hat sich außerdem eine weitere architektonische Besonderheit für das Tirpitz Museum einfallen lassen: frei schwebende Betondecken, die dem Gebäude gerade im Kontrast zum Bunker viel Leichtigkeit verleihen. Dafür wurden die Betondecken, die jede für sich mehr als 1.000 Tonnen wiegt, über das jeweilige Raumende in den Dünensand verlängert und dort mit Gegengewichten verankert. Dabei war es den Betreibern des Museums besonders wichtig, dass die „Düne“ nach wie vor für sowohl die Besucher als auch die Bewohner der Gegend begehbar ist, damit sie von oben bis zum Meer schauen und begreifen können, warum die deutsche Wehrmacht die Tirpitz-Stellung überhaupt an diesem Ort errichten wollte.
Viel Tageslicht und Projektion – ein Konflikt?
Und auch im Inneren des Tirpitz Museums sind die oben genannten Materialien tonangebend. Vom Eingangsbereich aus führt eine Stahltreppe nach unten in einen dunkel gehaltenen Raum, der komplett in Metallflächen gehüllt ist – vom Boden über die Wände bis hin zur Decke. Von diesem sind die vier lichtdurchfluteten Ausstellungsräume zugänglich, von denen einer für Wechselausstellungen vorgesehen ist, während die übrigen drei Räume thematisch sehr unterschiedliche Dauerausstellungen beherbergen. Insbesondere die Lichtverhältnisse waren für Ausstellungsgestalter und Szenografen des niederländischen Unternehmens Tinker Imagineers eine besondere Herausforderung. „Wir sind Experience Designer und spielen daher gerne und viel mit Licht“, erklärt Gijs Leijdekkers von Tinker Imagineers.
„Das ist in einer Blackbox unproblematisch, hier im Tirpitz Museum sahen wir uns aber mit diesen riesigen Fensterfronten und ständig wechselndem Tageslicht konfrontiert. Daher haben wir uns entschieden, sowohl das Tageslicht spielerisch zu nutzen als auch inszeniertes Licht in Kombination mit verschiedenen Verdunkelungslösungen.“ Dabei fallen diese Inszenierungen nicht nur völlig unterschiedlich aus, sondern sie beziehen auch die Architektur des Gebäudes individuell mit ein. Gleichzeitig folgt jede einzelne Szenografie aber dem übergreifenden architektonischen Leitbild, den Rhythmus der Natur einzufangen, indem eine szenische Reise durch Zeit und Raum in Westjütland inszeniert wird.
Videomapping macht Geschichten der Westküste lebendig
Am augenscheinlichsten ist dies in der Dauerausstellung „Geschichten der Nordseeküste“: Gemeinsam mit dem ebenfalls niederländischen Unternehmen Kloosterboer Decor, das für den Bau der Ausstellung und die Integration der audiovisuellen Technik zuständig war, hat Tinker Imagineers hier eine abstrakte, künstliche Dünenlandschaft geschaffen, deren Mittelpunkt ein begehbares altes Rettungsboot bildet. Bei Tageslicht sind die einzelnen Dünen Ausstellungsstationen, die verschiedene Geschichten aus der Historie und dem Alltag der dänischen Westküste erzählen – von Mammuts der Urzeit über das frühe Blåvand mit Zauberern und dem Schmuggler-Wirtshaus bis hin zu den Helden des Meeres und dem blühenden Campingleben der 1970er Jahre. Um die passende „Meeresstimmung“ zu schaffen, wird die Ausstellung durch eine Projektion auf zwei Wände atmosphärisch untermalt: Per Videomapping zeigt sich hier die Nordsee von ihrer freundlichen Seite – begleitet von den entsprechenden „Meeressounds“.
Alle 30 Minuten rückt die Projektion jedoch in den Vordergrund und der Raum verwandelt sich für die Dauer von etwa zehn Minuten in eine Art 4D-Kino: Die großen Fensterflächen werden automatisch verdunkelt, das Licht und die multimedialen Exponate im Raum im gleichen Takt abgedimmt, der Sound erhöht und auch filmisch fällt die Nacht über das Meer. Die Besucher, die im Rettungsboot Platz nehmen können, kommen nun in den Genuss einer Show, die mit insgesamt elf Projektoren nicht nur auf die Wände, sondern ebenfalls auf die Decke und die einzelnen Dünen im Raum projiziert wird. Begleitet wird der Film, der sich thematisch mit stimmungsvollen Szenen und Geschichten der Westküste befasst, von der passenden Soundscape sowie verschiedenen 4D-Effekten wie Wind und Duft.
Von der Idee zur Verwirklichung mit Virtual Reality
Da die Ausstellung und die Show sozusagen parallel zum Gebäude entstehen mussten, hat Tinker Imagineers im Lauf des Projekts ein Virtual-Reality-Modell des Ausstellungsraums erstellt. „Auf diese Weise hatten wir die Möglichkeit, unsere Ideen für die Projektion und ihre Wirkung im Raum zu testen“, erzählt Gijs Leijdekkers. „Wir konnten uns den Film aus verschiedenen Perspektiven ansehen oder zum Beispiel ausprobieren, ob die Deckenprojektion so wirkte, wie wir es wollten. Letztlich haben wir also überwiegend für unseren internen Gebrauch mit Virtual Reality gearbeitet, aber es war natürlich auch hilfreich für Präsentationen beim Kunden.“ Tatsächlich hat Tinker Imagineers das komplette 3D-Modell des Tirpitz Museums in eine Virtual-Reality-Version übertragen, um schon vor Fertigstellung des Neubaus ein Gefühl für das Gebäude zu bekommen.
Projektion auf Beton
Das war umso wichtiger, da eine klare Vorgabe des Museums war, dass die Ausstellungen die Qualitäten der Architektur hervorheben sollten. „Aus diesem Grund kommt für die Projektionen im gesamten Tirpitz Museum auch keine Leinwand zum Einsatz“, betont Mette Bjerrum Jensen, Leiterin des Tirpitz Museums. „Indem wir auf den nackten Beton projizieren, wird die Architektur Teil der Ausstellung und umgekehrt. Dass die Bildqualität dadurch etwas geringer ist, ist aus meiner Sicht kein Nachteil. Vielmehr verleiht es Raum und Film einen speziellen Charakter.“ Gijs Leijdekkers nennt einen weiteren Grund für den Verzicht auf Leinwände: „Wir möchten den Besuchern nicht das Gefühl vermitteln, in einer technologisch komplizierten Ausstellung zu sein. Vielmehr wollten wir die Technik so in die Ausstellungen integrieren, dass es sich fast natürlich anfühlt.“ Dieses Prinzip zieht sich durch das gesamte Tirpitz Museum. Überall dort, wo mit Projektionen gearbeitet wird, dienen die architektonischen Gegebenheiten direkt als Projektionsfläche.
Bunkerlandschaft im Museum
Das gilt auch in der zweiten Dauerausstellung „Ein Heer aus Beton“, die den thematischen Bogen zum Tirpitz Bunker schlägt. Allerdings geht es hier nicht um Geschütze oder den Atlantikwall, sondern um die Geschichten der Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs in deren Schatten an der dänischen Westküste gelebt haben. Szenografisch bildet dieser Ausstellungsraum daher auch einen starken Kontrast zu den „Geschichten der Nordseeküste“: Hier haben Tinker Imagineers und Kloosterboer Decor sozusagen eine eigene Landschaft bestehend aus sechs Miniaturbunkern erschaffen, in deren Inneren die Geschichte einzelner Personen erzählt wird.
Dazu zählt beispielsweise das Schicksal des deutschen Soldaten Metzger, der an der Ostfront verwundet und zur Rekonvaleszenz ins Feldlazarett nach Dänemark geschickt wurde. Nach seiner Genesung desertierte er von der Wehrmacht und wurde bis Kriegsende von einer dänischen Familie in Blåvand versteckt. In einem anderen „Bunker“ dreht sich alles um das dänische Mädchen Anna, das sich in einen deutschen Soldaten der Bodenflugabwehr verliebte, und die Konflikte, die sich daraus ergaben. Für die Vermittlung der Inhalte setzt das Museum einerseits auf einen einfach zu handhabenden Audioguide, der in drei Sprachen zur Verfügung steht, und andererseits auf den gezielten Einsatz von audiovisuellen Installationen im Kombination mit originalen Exponaten. Auf textliche Erörterungen wird weitgehend verzichtet.
Ihre Abwesenheit fällt in der Bunkerlandschaft der „Ein Heer aus Beton“ ganz besonders auf. „Dadurch wird der Blick nicht von der Ausstellungs-Architektur und der Innenarchitektur abgelenkt“, meint Mette Bjerrum Jensen. Gleichzeitig ermöglicht der Einsatz der Audioguides eine Analyse des Nutzerverhaltens. „Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass der Bunker in der Mitte am wenigsten frequentiert ist“, berichtet die Museumsleiterin. „Und gerade in diesem kommen weder Projektionen noch andere audiovisuelle Installationen zum Einsatz. Das zeigt uns, dass die multimediale Inszenierung der Inhalte der richtige Weg ist, um das Interesse der Besucher zu wecken.“
Lichttechnik setzt Bernstein in Szene
Weitere Akzente setzt in der Ausstellung „Ein Heer aus Beton“ übrigens das natürliche Tageslicht, das die Bunker individuell Schatten werfen lässt, für scharfe Kontraste sorgt und sich – wie draußen auch – ständig verändert. In der dritten Dauerausstellung „Bernstein – das Gold des Meeres“ muss das Tageslicht wiederum in Schach gehalten werden. Denn hier setzt die Szenografie stark auf den Einsatz moderner LED-Lichttechnik. Damit diese ihre Wirkung entfalten kann, wurde eine halbtransparente Verdunkelungslösung gewählt, die den Blick von außen noch zulässt, das Innere aber deutlich abdunkelt. „Wir wollen den Besuchern hier das Gefühl geben, sich in einer Art magischen Wald zu befinden“, erklärt Gijs Leijdekkers. Symbolisch für diesen Bernsteinwald beherbergt der Ausstellungsraum insgesamt zehn metallene „Baumstämme“, die vom Boden bis zur Decke reichen, zwischen sechs und zehn Meter hoch sind und voller Lichttechnik stecken.
Mit ihrer Hilfe wird die Entstehung des Bernsteins in Szene gesetzt: Tropft das Licht langsam und orange vom Baum, steht es für die Harztropfen, welche die Basis des Bernsteins bilden. Tropft es schnell und blau, symbolisiert es den Regen, und wenn das blaue Licht stetig nach oben steigt, steht es für das Meer, das den Bernsteinwald „verschluckt“ hat. Diese unterschiedlichen Lichtstimmungen, die sich nicht nur in den Bäumen, sondern im gesamten Raum widerspiegeln, wechseln in dieser Ausstellung im 10-Minuten-Rhythmus. Um den Tropfeffekt zu erreichen, hat Kloosterboer Decor eine Art Animation per Videomapping programmiert, mit dem jeder einzelne Pixel der LEDStrips kontrolliert und per DMX gesteuert werden kann. Sämtliche Lichtelemente im Raum sind auf einer Timeline programmiert und korrespondieren miteinander. Das gilt auch für die Soundscape als „Klanglandschaft“ im Raum, die ebenfalls dem Rhythmus von warm zu kalt und umgekehrt folgt.
Architektur und Ausstellungen im Einklang
Insgesamt beherbergt das Tirpitz Museum eine große Fülle an moderner Medientechnik, die den Besuchern als solche aber kaum auffällt, da sie sich sowohl in die Szenografie als auch in die Architektur einpasst. Lediglich im alten Südbunker, der durch einen unterirdischen und komplett in Stahl ausgekleideten Gang mit dem neuen Gebäude von BIG verbunden ist, wird audiovisuelle Technik sehr sparsam eingesetzt. Hier spricht die Atmosphäre des Bunkers für sich selbst, die reduzierte Technik korrespondiert wie selbstverständlich mit dem historischen Kontext. Denn die Glaskuppel, die vor Jahrzehnten aufgesetzt wurde, um für das ehemalige Bunkermuseum Licht hereinzulassen, ist nun wieder abgedunkelt. Und die Feuchtigkeit in den alten, düsteren Betonmauern gepaart mit dem moderigen Geruch und diversen Soundeffekten sorgt fast schon für eine gespenstische Stimmung.
In der Mitte des Bunkers befindet sich übrigens eine von nur zwei interaktiven Installationen im ganzen Museum: ein alter Flakscheinwerfer, der mit einem Gobo ausgestattet ist und so Schattenspiele per Videoprojektion auslösen kann. Sowohl Mette Bjerrum Jensen als auch Gijs Leijdekkers sind sichtbar stolz auf das „Gesamtkunstwerk“ aus Architektur, Szenografie und Inhaltevermittlung, das mit dem neuen Tirpitz Museum geschaffen wurde. Die Museumsleiterin hörte sogar einmal einen Jungen sagen: „Ich hätte nie gedacht, dass ein Museum so cool sein kann.“ Ein besseres Kompliment kann es wahrscheinlich für keinen der Beteiligten geben.