Immer mehr Unternehmen setzen auf die Einrichtung von Großraumbüros – wenn auch nicht immer erfolgreich. Das Münchner Beratungsunternehmen conceptsued° erklärt, warum Konzepte für Open Space Offices oft scheitern – und wie sie gelingen können.
In den seltensten Fällen treffen Großraumbüros bei den Mitarbeitern eines Unternehmens auf Begeisterung. Und das hat seine Gründe. „Fakt ist, dass offene Bürokonzepte den gewachsenen Anforderungen an Kommunikation und soziale Interaktion in Unternehmen entsprechen müssen”, meint Timo Brehme, Gründer und Geschäftsführer der conceptsued gmbh. “Aber nur durch eine gute Planung und Umsetzung lässt sich das Potenzial entfalten, das die offene Bürolandschaft bietet.” Das deutschlandweit sowie in Österreich aufgestellte Beratungsunternehmen unterstützt nationale und internationale Firmen seit 2003 bei der Auswahl und Neugestaltung von Gewerbeimmobilien. Timo Brehme erklärt, welche gravierenden Fehler bei der Einführung solcher Bürowelten häufig begangen werden – und wie sie vermieden werden können:
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Planungsfehler 1: Platzsparen im Fokus
Hauptmotiv von Unternehmern, zunehmend auf Großraumbüros zu setzen, ist nach wie vor das Einsparen kostenintensiver Quadratmeter. Timo Brehme: „Unter dem Deckmantel offenerer Kommunikation werden Arbeitsflächen eng belegt. Dabei vergessen viele Unternehmer, wie wichtig in einem solchen Konzept Angebote von Mehrwert- und Kollaborationsflächen sind. Nur mit ihnen lassen sich tatsächlich Arbeitsabläufe optimieren und Kommunikation beschleunigen. Wer nicht in Rückzugsinseln und durchdachte Begegnungsorte investiert, verhindert Teamarbeit statt sie zu fördern. Dabei sollte Unternehmern auch bewusst sein: Häufig sind Raumkosten wesentlich niedriger als Personalkosten. Der Mehrwert durch die Investitionen in das Wohlbefinden der Mitarbeiter aber ist wesentlich nachhaltiger, als durch die Flächeneinsparung erreicht werden könnte.“
Planungsfehler 2: Der Mitarbeiter hat im Veränderungsprozess keine Stimme
Um die 1990er Jahre geborene Generationen sind in einer globalisierten und digitalisierten Welt aufgewachsen. Sie haben oft schon im Grundschulalter gelernt, flexibel, mobil und im Team zu arbeiten. Best Ager hingegen haben ihr Berufsleben weitestgehend in kleinen Büroeinheiten und mit Sacharbeit am PC verbracht. Daher birgt es viel Zündstoff, wenn Unternehmer plötzlich Open Space Offices planen. Viele Chefs stellen ihr Team trotzdem vor vollendete Tatsachen, anstatt sie in den Change-Management-Prozess einzubinden. Damit ist das Scheitern der Akzeptanz vorprogrammiert. „Seinen Mitarbeitern zu sagen: ‚Hier ist Euer neues Großraumbüro, kommt damit klar.‘ funktioniert nicht. Jeder Angestellte ist ein Mensch mit Bedürfnissen, Gewohnheiten und Angst vor Veränderung. Mitarbeiter müssen deshalb frühzeitig in den Change-Prozess einbezogen werden – und zwar innerhalb eines von der Geschäftsleitung abgesteckten Rahmens“, sagt Brehme. Denn der Umzug in ein Großraumbüro schafft für jeden neue Freiheiten, aber ebenso Pflichten. Daher müssen gemeinsam Richtlinien für eine neue Bürokultur erarbeitet werden. Brehme: „Eine Bürokultur lässt sich nicht von Einzelnen schaffen und einem Team überstülpen. Raum, Mensch und Organisation müssen zusammenpassen. In Gesprächen und Workshops lässt sich herausfinden, wie die Mitarbeiter bisher gearbeitet haben und wie sie künftig arbeiten könnten und möchten, um schnell, flexibel und zufrieden zu sein.“
Angestellte wollen und müssen heute nicht mehr physisch auf einem festen Platz sitzen, um effektiv zu arbeiten. Statt auf die Arbeitszeit vor Ort zu achten, setzen viele Unternehmer daher längst auf Zielvereinbarungen. Damit die Ziele aber auch erreicht werden können und Mitarbeiter sowohl im Open Space Office wie auch im Homeoffice jederzeit für Kollegen und Kunden erreichbar sind, müssen Unternehmer in die entsprechende Technik investieren. So ist eine Ausstattung mit mobilen Endgeräten erforderlich. Weitere Möglichkeiten eröffnet cloudbasiertes Arbeiten. „Daten müssen von überall auf der Welt zugänglich sein. Verschiedene Mitarbeiter müssen in Echtzeit an einer Datei arbeiten können. Digitale Unterschriften sollten ebenso ermöglicht werden wie der Online-Zugang zu Geschäftsabschlüssen. Nur so lässt sich eine flexible Bürostruktur schaffen, zugleich Ablagefläche reduzieren und der gesellschaftliche Wandel in die Bürokultur integrieren. Das heißt: Raum, Organisation und Technik müssen zusammenpassen.“
Planungsfehler 4: Fehlende Rückzugsmöglichkeiten
Wer im Open Space Office arbeitet, benötigt Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten. Diese in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, vergessen Unternehmer häufig. „Firmenchefs müssen dafür sorgen, dass das Verhältnis zwischen kommunikativem und konzentriertem Arbeiten ausgeglichen ist. Sonst werden Mitarbeiter sehr schnell unzufrieden“, sagt Timo Brehme. Eine Faustformel für die Verteilung der Flächen gibt es dabei laut dem Experten nicht, weil diese stark von der vorgesehenen Nutzung und den Räumlichkeiten selbst abhängt. Allerdings müssen Rückzugsorte nicht zwangsläufig einzelne schließbare Räume sein. Auch Think Tanks, Telefonzellen oder intelligente Möblierungen schaffen Rückzugszonen, Mobilität und unterschiedliche Arbeitsatmosphären innerhalb der Open Spaces.
Planungsfehler 5: Zu viele Störfaktoren
Lärm ist der erste Faktor, der Unternehmern und Angestellten einfällt, wenn sie an Störquellen im Großraumbüro denken. Tatsächlich aber ist es nicht nur notwendig, die Akustik in der Bürowelt zu planen. Timo Brehme: „Wenn es um einen optimalen Workflow und Wohlbefinden am Arbeitsplatz geht, müssen Raumplaner neben Geräuschpegel oder Raumhall auch visuelle Reize im Blick haben. Dabei spielen Verkehrswege eine wichtige Rolle. Wo werden beispielsweise Sofalandschaften aufgebaut, wo eine Lounge eingerichtet, wo der Kicker aufgestellt? Brehme: „Ein schickes Sofa neben Arbeitsplätzen aufzustellen ist optisch vielleicht ansprechend, funktionell aber Nonsens. Denn, wer soll sich hier hinsetzen, um mit Kunden zu telefonieren, während die Kollegen nebenan arbeiten? Zudem muss auch der Kundenverkehr zwingend beachtet werden. Externe Personen wie Klienten oder Getränkelieferanten sollten Großraumbüros nicht durchschreiten müssen. Das lenkt die Mitarbeiter unnötig ab.“
Ein ausführliches Interview mit Timo Brehme finden Sie hier.
All diese Punkte wurden auch bei der Gestaltung der Allianz Global Digital Factory im Münchner Werksviertel berücksichtigt, die Ende 2017 mit dem German Design Award 2018 in der Kategorie „Architecture“ ausgezeichnet wurde. Das Gestaltungskonzept setzt dabei auf offene Räume, Kreativ-Inseln, modernes Möblierungsdesign und innovative Medientechnik. An der Gestaltung war das Münchner Architektur- und Beratungsbüro conceptsued° maßgeblich beteiligt. Das Projekt wurde gemeinsam mit der Allianz SE und dem Architektur- und Designbüro UNStudio aus Amsterdam kreiert. Die Vergabe des German Design Awards 2018 findet am 9. Februar 2018 in Frankfurt am Main statt.
„Die angenehm offene Bürolandschaft bietet unterschiedlich gestaltete Zonen für verschiedene Arbeitssituationen. Der wohnliche Stil wirkt freundlich und entspannt. Hier gelang es auf hohem Niveau, das Trend-Thema gestalterisch umzusetzen“, begründet die Jury ihre Entscheidung für die Preisvergabe an die Allianz Global Digital Factory.
Drehkreuz der internationalen Zusammenarbeit
Für die jetzt ausgezeichnete Gestaltung hatte die Allianz von Beginn an eine sehr konkrete Vorstellung: „Innovativ, digital und doch mit einer warmen Ausstrahlung sollte die Fläche sein: Denn wir wollen für unsere Customer Journeys ein Arbeitsumfeld, das hoch flexibel ist. Kreatives und konzentriertes Arbeiten sowie teamübergreifende Town Halls, alles muss abwechselnd möglich sein,“ sagt Allianz Chief Digital Officer Solmaz Altin. Für die Zusammenarbeit mit conceptsued° aus München sowie UN Studio aus Amsterdam hatte sich die Allianz nach einem Wettbewerb entschieden.
Die Koordination des Zusammenspiels der Ideen beider Architekturbüros lag bei der Allianz Corporate Building Solutions. „Es war eine Herausforderung, der wir uns sehr gerne gestellt haben und die sichtbar zu einem außergewöhnlichen Ergebnis geführt hat“, bemerkt Dieter Heß, Head of Allianz CBS. Bei der Realisierung verantwortete conceptsued° gemeinsam mit der Projektleitung der Allianz CBS sämtliche Leistungen von der Bedarfsplanung über die Raum- und Funktionskonzeption bis zur Umsetzung der Baumaßnahme und die abschließende Möblierung. Dina Andersen, Projektleitung für conceptsued°: „Entstanden ist ein Bürodesign, das einem Fabrikloft gleicht, jedoch die Innovationskraft des digitalen Zeitalters überall im Gebäude spiegelt.“
Auf gut 2.700 Quadratmetern Bruttogeschossfläche arbeiten seit Ende 2016 bis zu 120 Experten der Allianz-Gruppe an digitalen und international verwendbaren Lösungen. Sie verstehen die Allianz Global Digital Factory als Drehkreuz, in dem internationale Kooperation sowie unternehmerisches Denken und Handeln vereint werden.
Fließende Übergänge zwischen Kommunikations- und Arbeitsprozessen
Um dies zu realisieren, sind die Räume so gestaltet, dass ein fließender Übergang zwischen verschiedenen Kommunikations- und Arbeitsprozessen möglich ist. Nahezu jede Oberfläche lässt sich für Visualisierungen nutzen. Beschreibbare Wände trennen die einzelnen Bereiche voneinander ab. Über Medientechnik können fast alle Räumlichkeiten mit digitalen Inhalten bespielt werden. Rollbare Möbel ermöglichen schnell das Vergrößern oder Verkleinern von Teams. Lichtsteuerungen verbessern das Arbeiten zu jeder Tageszeit.
Anne Kötter, Innenarchitektin und Project Management bei Allianz CBS: „Unsere internationalen Experten arbeiten seit fast zwölf Monaten in einem Innovations-Hub auf höchstem technischen und räumlichen Niveau. Wir freuen uns, dass der Rat für Formgebung die Allianz Global Digital Factory mit seinem international beachteten German Design Award auszeichnet.“