Was ist eigentlich mit den Begriffen Medienarchitektur und Mediatektur gemeint und welche Möglichkeiten werden damit eröffnet? Im Gespräch mit Thorsten Bauer bringt KommunikationsRaum. ein wenig Licht in dieses noch relativ neue Themenfeld.
Herr Bauer, was versteht man eigentlich unter Mediatektur?
Technisch gesprochen umfasst der Begriff Mediatektur alle Architekturen, dessen Fassaden mittels bildgebender Medientechnik um eine mediale Dimension erweitert sind. Meist handelt es sich hierbei um RGB LED-Lampen, die in direkter oder indirekter Lichtgebung in die Fassade integriert sind und im Systemverbund bewegte Bilder darstellen können. Eine solche technische Definition der Mediatektur ist meines Erachtens allerdings nur von geringem Erklärungswert und in vielen Fällen sogar missverständlich. Vielmehr sind Medienarchitekturen Phänomene, die tief in das Erscheinungsbild unserer urbanen Lebenswelt hineinwirken. Potenziale und Konflikte dieser recht neuen Entwicklung sind noch nicht ausreichend beschrieben und werden derzeit in vielerlei prototypischen Projekten untersucht. Hinzu kommt, dass Medienwissenschaftler, Soziologen, Städteplaner, Werber, Designer, Künstler und allen voran die Architekten längst noch keine einhellige Sicht auf Medienarchitekturen eingenommen haben – wenn sie sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen.
Eine allgemein gültige und vor allem inhaltliche Definition der Begriffe Mediatektur oder Medienarchitektur stehen meines Wissens daher noch aus. Fest steht jedoch: Medienarchitekturen sind ein hoch innovatives Feld, das viele neue Denkrichtungen ermöglicht. Gleichsam ist es aber auch ein kontroverses Thema, das nicht zu Unrecht kritische Stimmen hervorruft: Wie bei jeder technologischen Neuentwicklung wird auch bei der Mediatektur derzeit häufig die reine Möglichkeit über die Sinnfrage gestellt. Es entstehen daher mitunter Architekturen, die vorrangig über die Begeisterung des Effekts motiviert sind und denen kaum ein nachhaltiges Konzept zu Grunde liegt. So ist auch hier, wie bei jeder neuen Gestaltungsform, ein wenig Geduld gefragt. Nachhaltige Konzepte und ein vertieftes Verständnis für dieses neue Medium müssen sich erst einmal durchsetzen, bevor die Gesamtentwicklung beurteilt werden kann.
Wo müsste für ein solches Verständnis Ihrer Meinung nach angesetzt werden?
Eines der gröbsten Missverständnisse spiegelt sich aus meiner Sicht schon in der Wortkreation „Medienarchitekturen” wider. Diese legt nahe, dass es sich um Architekturen handelt, die in der Lage sind, auf ihrer Fassade Medien wiederzugeben. Das ist in vielen Fällen zwar technisch richtig, verleitet allerdings schnell zu dem Verständnis, die Fassade als urbanen Bildschirm einzusetzen, der – dem TV Screen gleich – beliebige Botschaften in den Stadtraum kommuniziert. Es sollte in Zukunft genau um die Auflösung dieser dualistischen Wahrnehmung von Medien und Architektur gehen und der Versuch gestartet werden, Medienarchitekturen als ein ganzheitliches Phänomen zu begreifen, welches in Entwurf, Bespielung und Nutzung seine eigenen Gesetzmäßigkeiten hat. Denn Medienarchitekturen sind erst einmal Architekturen, die ihren Ausdruck und ihre Gestaltung über die Zeit ändern können. Diese neu zugewiesene Dynamik ändert aber nichts an dem Umstand, dass es sich bei Medienarchitekturen um Architekturen handelt und diese auch ausschließlich als solche verstanden werden sollten.
Bevor wir also darüber nachdenken, wie digital out of home Media (DOOH) unsere Architekturen erweitern, sollten wir erst einmal mit dem Umstand umgehen, dass das Erscheinungsbild der Architektur vom statischen in einen dynamischen Zustand übergeht. Alleine dieser Wandel ist architekturgeschichtlich ein gewaltiger Schritt und super spannend. Denn über Jahrtausende wurden Architekturen als statische Monumente entworfen. Die Mediatektur weist dieser Tradition nun plötzlich eine Zeitkomponente zu. Die Architektur verändert sich über die Zeit – sie wird zur Zeitkunst. In diesem Verständnis könnte man die Medienarchitektur auch als „dynamische Architektur” bezeichnen, was vielleicht sogar als Wortkreation für die gesamte Gattung ein gut gesetzter Begriff ist.
Was unterscheidet die Mediatektur von Großbild-Screens an Hausfassaden?
Folgt man dem Gedanken, Medienarchitekturen primär als dynamische Architekturen zu begreifen, bringt dies einen weiteren, sehr wesentlichen Gedanken ins Spiel: Das Bewegtbild, welches auf der Architektur abgespielt wird, wird im Sinne der Medienarchitekur als Teil der Architektur begriffen. Das Medium wird zum integralen Bestandteil der Architektur und trägt wie jedes andere physische Bauteil des Gebäudes auch zu dessen Komplettierung bei. Videoinhalte, die nach diesem Verständnis für eine Mediatektur konzipiert werden, sollten daher einen engen Bezug zu dem Gebäude auf zeigen. Dies können ästhetische Setzungen, inhaltliche Bezugnahme oder konzeptionelle Bezüge sein. In jedem Fall sollte die Bezugnahme des Mediums zur Architektur, zum Ort oder der unmittelbaren Umgebung eine der wesentlichen Forderungen an das Bespielungskonzept einer Medienarchitektur sein.
Mit dieser Denkweise lässt sich auch eine klare Abgrenzung zu anderen urbanen Screens aufzeigen: Bildschirme, die als reine Kommunikationsträger in den Stadtraum platziert und vorrangig zu Werbezwecken verwendet werden, folgen vollständig anderen Kriterien. Diese sogenannten Infoscreens, Roadside Screens oder Mall Videos kommunizieren ihre Botschaft in den Raum – unabhängig von dem Standort oder dem Raum, der sie umgibt. Urban Screens verhalten sich in diesem Sinne ortslos. Eine Medienarchitektur hat hingegen den Anspruch, mittels einer gewissen Markanz einen Teil zur Entstehung des Stadtbildes beizutragen. Anders als die ortsunabhängigen Werbetafeln können Medienarchitekturen eine Landmark sein, einen Ort behaupten und Orientierung stiften. Der Begriff Markanz ist in diesem Sinne übrigens nicht geschmacklich wertend gemeint, sondern bezieht sich vorerst ausschließlich auf die Wiedererkennbarkeit einer Architektur.
Heißt das, dass Mediatekturen nicht als Werbeträger genutzt werden können oder sollten?
Nein, nicht zwangsläufig. Historisch gewachsene urbane Bildwerbung, wie z. B. das Wilhelm-Marx-Haus in Düsseldorf, auf dessen Dach die bekannte Persil-Leuchtreklame seit nun mehr über 50 Jahren leuchtet zeigt das Gegenteil. Die mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Reklame ist integraler Bestandteil der Stadtidentität geworden. Medienfassaden können also auch Werbeträger sein. Nur sollten dabei Bildwelten entworfen werden, welche die Identität der Architektur und des urbanen Raumes respektieren und auf die unterschiedlichen Anforderungen eingehen. Gerade dem Bespielungskonzept kommt bei den behördlichen Genehmigungsverfahren eine immer größere Bedeutung zu. Häufig scheitern Projekte schon in der Zulassung, da seitens der Baubehörden noch kaum Auflagen und Kriterien in Bezug auf Medienfassaden definiert worden sind. Hier ist häufig individuelle Überzeugungsarbeit zu leisten, wobei ein klug ausgearbeitetes Bespielungskonzept oft das ausschlaggebende Element ist.
Welchen Mehrwert kann denn eine Mediatektur für das betreffende Gebäude bieten?
Dass die Fassade einer Architektur immer auch Kommunikationsträger ist, ist hinlänglich bekannt. Dass die Kommunikation einer Fassade sich über die Zeit wandeln kann, auf den Stadtraum und deren Menschen reagiert, dass eine Architektur Zeitzyklen markiert und als dynamisches Element den kontinuierlichen Fluss einer Stadt begleitet, reflektiert oder bricht, ist hingegen ein vollständig neues Phänomen. Moderne Städte haben die Tendenz, sich bezüglich ihrer Nutzung und Zeitzyklen hochgradig zu fragmentieren. Medienarchitekturen sind Ausdruck dieser zunehmend beschleunigten und individualisierten Bedürfnisstruktur. Ihre Wandelbarkeit und Individualisierbarkeit ist Reflektion einer hoch dynamischen und in vielen Teilen digitalisierten Lebenswelt.
Gleichsam stellen Medienarchitekturen auch einen Brückenschlag zwischen dem realen Raum und dem virtuellen Raum her. Das Entstehen, Pflegen und Bestätigen von Sozialstrukturen hat sich zum großen Teil vom öffentlichen Raum in den virtuellen Raum verschoben, z. B. in soziale Medien wie Facebook. Medienfassaden verorten und verstofflichen das Digitale in unserem Stadtbild und können durch diese Rückkopplung zur Revitalisierung urbaner Räume beitragen. Natürlich lösen solche Thesen immer auch Aversionen und sogar Schreckensbilder von urbanen Bildschirmlandschaften aus. Der öffentliche Raum wird zur Facebook-Page und Architekturen verschwinden hinter Twitter-Tweets. Die abwehrende Reaktion ist absolut berechtigt, begründet sich allerdings nur aus dem Bild, welches wir derzeit vom Digitalen haben und welches wir in diese Vorstellung hineinprojizieren.
Welche Bildinhalte sind denn für eine gute Mediatektur geeignet – soziokulturell und gestalterisch? Und welche Inhalte „gehen gar nicht“?
In der Realität wird sich das Digitale signifikant dem Realraum unterordnen müssen, wenn es ein Teil unserer urbanen Lebenswelt sein will. Für Digitalgestalter besteht ein großer Handlungsdruck, um adäquate Inhalte für Medienarchitekturen zu entwerfen. Der bloße Übertrag von Video- oder Digital-Formaten funktioniert schlichtweg gar nicht. Die Facebook-Page als solches kann und sollte nicht auf einer Medienarchitektur abgebildet werden. Ein Farbspiel, das auf verspielt abstrakte Weise die räumliche Nähe zu einem Facebook-Freund markiert, vielleicht schon. Die Architektur verbindet, integriert oder reflektiert am Ort anwesende Personen. Sie bleibt aber jederzeit eine Architektur und wandelt sich nicht zum Screen. Falls eine Einblendung von „herkömmlichen Medien” gewünscht ist, empfiehlt es sich, diese Spielfläche für die Spieldauer als „Screen” deutlich vom Gebäude abzugrenzen und später wieder in das Gesamtkonzept zu überführen. Alles ist abhängig vom Bespielungskonzept und dem klaren Bewusstsein darüber, dass man keine Bilder mehr kreiert, sondern Architekturen.
Ich empfehle daher jedem Gestalter große Zurückhaltung im eigenen Handwerk, wenn es zur bildlichen Gestaltung von Medienarchitekturen kommt. Getreu dem Motto: Vergiss, was du gelernt hast und lass dich auf die Entwicklung einer neuen Gestaltungsform ein. Es ist ein Medium, das Schritt für Schritt erforscht werden will und iterative Schritte abverlangt. Wenn der Ausdruck einer Medienarchitektur das Digitale zitiert, es abstrakt einbindet und ästhetisch reflektiert, ist schon mal viel gewonnen. Wenn es gelingt, dynamische Spielarten des Ausdrucks zu erfinden, die sich wandeln, aber stets innerhalb eines wiedererkennbaren architektonischen Ausdrucks bleiben, ist ein weiterer Schritt gegangen. Wenn die Architektur auf Zeitzyklen und aktuelle Ereignisse reagiert, wenn sie Orientierung stiftet und nicht nimmt, wenn sie integriert anstatt auszuschließen, wenn sie städtische Identifikation stiftet, anstatt diese zu untergraben, sind wir sicherlich in diesem Thema ein Stück weitergekommen.
Mit welchen Technologien realisiert man denn im Idealfall eine Mediatektur?
Da es sich bei Mediatekturen um permanente Installationen handelt, die zum Großteil auch tageslichtfähig sein müssen, wird vorrangig LED-basierte Medientechnik verbaut. Es gibt mittlerweile hochspezifische LED-Produkte am Markt, die speziell für diese Anwendung ausgelegt sind. Die Spannbreite geht dabei von kleinteiligen Bauelementen bis hin zu fertigen System-Modulen oder Baustoffen. Heutzutage sind sogar transparente LED-Glasbaustoffe erhältlich, die ohne konstruktiven Mehraufwand zu großflächigen Screens in Glasbauten verschaltet werden können. Für den individuellen Aufbau einer Medienfassade wird häufig der klassische LED-Stripe verbaut. Solche Bauelemente lassen sich äußerst individuell bei der Konstruktion der eigenen Fassade arrangieren. Aber auch bei der Entwicklung von neuen Bauelementen ist eine große Dynamik zu erkennen. Eine hoch innovative Technologie kommt derzeit aus dem Raum Karlsruhe: Bei der Firma LightnTec arbeiten die Entwickler an einer Verschmelzung von Folien- und LED-Technologie, einer Produktlösung, die eine Vielzahl neuer Einsatzmöglichkeiten verspricht.
Und an welche Unternehmen wende ich mich als Architekt, wenn ich eine Mediatektur einplanen möchte?
Das Feld Medienfassaden unterliegt im Allgemeinen einer recht hohen Dynamik und es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Herstellern und Dienstleistern, die sich in diesem Feld spezialisiert haben. Die Anforderungen bei Planung und Umsetzung sind dabei höchst divers und erfordern viel interdisziplinäres Denken und Teamarbeit. Vom Fassadenplaner über den Lichtplaner bis hin zum Medieningenieur und Medienkünstler haben alle Parteien einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis. Die Wahl des richtigen Ansprechpartners ist dabei stark von der eigenen Vorkenntnis und dem individuellen Bedarf abhängig. Häufig werden die Hersteller angefragt, manches Mal aber auch Medieningenieure oder Designer. Alle bieten einen unterschiedlichen Zugang zu dem Thema. Ich selbst habe mich mit einem Beratungsangebot in diesem Feld positioniert, um individuell die richtigen Partner, die richtigen Technologien, aber auch die richtigen Strategien für Designs und Bespielungskonzepte zu identifizieren. Mein Angebot soll Orientierung bieten und beim Aufsetzen eines Projektes einen ganzheitlichen Blick auf das Thema ermöglichen, damit die strategisch richtigen Entscheidungen getroffen werden können.
Vielen Dank für das Gespräch.
Daten & Fakten
Thorsten Bauer ist Gründer der Urbanscreen GmbH & Co KG, und arbeitet als freier Kreativ-Direktor und Berater im Bereich Medienarchitekturen. Mit seinem Unternehmen hat er in letzten 10 Jahren zahlreiche internationale Designpreise gewonnen und gilt als einer der Pioniere des Projection Mappings. Seit 2014 arbeitet er frei als Berater und Director an Internationalen Medieninstallationen.