Einer sinnvollen Verquickung von physischen Lebensräumen und medialen Welten hat sich Architekt Christoph Kronhagel verschrieben. Durch die direkte Integration von Medien in die gebaute Umwelt sollen Verbindungen zwischen dem physisch Erfahrbaren sowie einem immateriell-geistigen Raum hergestellt und neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden.
„Der Begriff Mediatektur stammt von mir – ich habe ihn 1993 eingeführt“, sagt Christoph Kronhagel und zückt ein mehr als 400 Seiten umfassendes Fachbuch („Mediatektur“, ISBN 978-3-7091-0302-9), dessen Herausgeber er ist. Ein gerütteltes Maß an Selbstbewusstsein ist dem Diplom-Ingenieur, der an der RWTH Aachen Architektur studiert hat, gegeben und angesichts seines beruflichen Engagements wohl auch vonnöten: Nicht weniger als ein Bewusstsein für „die Medienfassade als emotionale und thematische Inszenierung von öffentlichen Räumen“ möchte er mit der Kronhagel Mediatecture GmbH schaffen und dabei ganzheitliche Konzepte für Medienintegration, Gestaltung und Technik aufzeigen. „Der Markt für digitale Außenwerbung beschränkt sich im Moment im Grundsatz noch darauf, Plakate darzustellen – das Medium wird in seiner ganzen Tiefe noch nicht erkannt und genutzt“, so Kronhagel.
Mediatektur als Disziplin
„Den Begriff Mediatektur habe ich stets als Disziplin und nicht als Markenbezeichnung gesehen“, sagt Christoph Kronhagel über das von ihm geprägte Kompositum. „Die Kombination aus Medien und Architektur wird oft als Media Architecture bezeichnet. Doch das trifft die Sache nicht, denn sowohl die Medien als auch die Architektur müssen sich massiv verändern, wenn sie zusammenkommen wollen und etwas Neues entstehen soll. Die Addition, welche der Begriff Media Architecture beinhaltet, ist irreführend – schließlich handelt es sich um eine gänzlich neue Disziplin!“
Redet man über Mediatektur, kommt die Sprache rasch auf die Szenografie, deren fester Bestandteil eine mediale Aufladung von Räumen ist – in Showrooms, Brand Worlds und bei Messeauftritten steht die funktionale Inszenierung im Mittelpunkt, die das Anliegen des Auftraggebers per Gestaltung vermitteln soll. „So etwas habe ich früher auch gemacht, aber mich interessiert wesentlich mehr, wie der Raum respektive die Tektur zu einem Medium wird, das eine Vermittlungsarbeit übernimmt“, sagt Kronhagel. „In der Szenografie ist das natürlich bis zu einem gewissen Maß auch der Fall und die Übergänge sind fließend. Dennoch ist es so, dass die Szenografie als Projektgeschäft in der Regel an Marketingvorgaben orientiert ist und ein klar umrissenes Bedürfnis erfüllt. Die Mediatektur, die mir vorschwebt, gestaltet hingegen den gesellschaftlichen Raum und damit die Lebenswelten der Menschen.“
Medienfassaden werden kulturell unterschiedlich eingesetzt
Passend zu dieser Aussage richtet Christoph Kronhagel seinen Fokus aktuell verstärkt auf Medienfassaden. Im Moment arbeitet er an einem Projekt für die Funke Mediengruppe, in dessen Rahmen der sogenannte „Medienturm“ der neuen Unternehmenszentrale im Essener Universitätsviertel mit einer großformatigen LED-Bespielung versehen wird. Letztere wird auf das sechsgeschossige Gebäude aufgesetzt und ermöglicht eine zur Straßenseite weisende 180-Grad-Bespielung. Im Vorfeld wurden mehrere Gutachten erstellt, zu denen auch eine Beurteilung der aus der Medienfassade resultierenden Lichtemissionen gehört: Eine Blendung von Autofahrern muss selbstverständlich ausgeschlossen werden; die Helligkeit der LEDs wird den Umgebungsbedingungen respektive der Tages- und Jahreszeit angepasst. Eine Lichtabstrahlung nach oben, welche die Orientierung von Vögeln beeinträchtigen könnte, wird durch Shader gemindert, die oberhalb der horizontal montierten LED-Lamellen angebracht sind. Lichtwolken, die trotz der mechanischen Abschattung bei Nebel entstehen können, will man während der herbstlichen Vogelwanderungen vermeiden, indem die Anlage vorübergehend abgeschaltet oder zumindest auf sehr niedrige Helligkeitswerte eingestellt wird. „Ich bin ein großer Freund differenzierter Regulierungen“, sagt Christoph Kronhagel. „Entweder-oder ist für mich keine Option – die Welt ist nicht schwarz-weiß!“ Die Installation im Essener Univiertel soll Anfang 2018 in Betrieb genommen werden.
Dass Medienfassaden vorrangig an Neubauten anzutreffen sind, hat am Rande bemerkt einen simplen Grund: Historische Gebäude sind meist strengen Denkmalschutzauflagen unterworfen, was die Montage einer Medienfassade so gut wie unmöglich macht. Daraufhin angesprochen betont Christoph Kronhagel, dass die von seinem Unternehmen bevorzugten LED-Lösungen auf Lamellen- oder Mesh-Konstruktionen mit einem weiten Pixelpitch basieren und somit dank ihrer Transparenz den Blick auf die dahinter befindliche Fassade nicht vollständig verdecken: „Nicht zukleistern, sondern mitspielen …“, fasst Kronhagel bildhaft zusammen und spricht von Mediatektur als „einem weiteren Layer“.
Apropos „zukleistern“: Wer schon einmal in Asien war, kennt die dort weit verbreitete Vorliebe für bunt in Szene gesetzte Fassaden. Paradebeispiele sind Shanghais Pudong-Skyline und die allabendliche „Symphony of Lights“ in Hongkong. Entsprechende Entwicklungen sieht Christoph Kronhagel für Europa jetzt und in Zukunft nicht: „Das ist ein vollkommen anderes kulturelles Verständnis“, sagt der Architekt. „Eine medial bespielte Fassade gehört in Asien ebenso zum guten Ton wie in Deutschland der gepflegte Vorgarten. Im Vordergrund stehen oft weder ein konkretes Kommunikationsziel, noch der Wunsch, mit der verfügbaren Displayfläche Geld zu verdienen.“
Welche Inhalte eignen sich für Medienfassaden?
Zu den größten Fehlern, die beim Betrieb einer Medienfassade gemacht werden können, gehören laut Christoph Kronhagel in einer Endlosschleife laufende „Diashows“, welche die Betrachter langweilen und letztlich zum vollständigen Ignorieren der Installation führen können. „Eine stumpfe, ohne inhaltlichen Zusammenhang aneinandergereihte Abfolge von Motiven ist für mich unkultiviert“, sagt Kronhagel. „Ich möchte im Gegensatz dazu die Akzeptanz von Medienfassaden stärken und Neugier hervorrufen. Dafür ist bei den gezeigten Inhalten eine stetige organische Veränderung erforderlich, die immer wieder einen neuen Charakter hervorbringt.“ Der Diplom-Ingenieur verweist in diesem Zusammenhang auf jüngere Zielgruppen, die mit ihren multimedial hochgerüsteten Smartphones quasi verwachsen sind und sich durch eine Endlosschleife ständig wiederkehrender Inhalte selbst bei einem XXL-Format kaum beeindrucken lassen.
Zu den No-Gos gehören laut Kronhagel darüber hinaus stark emotional aufgeladene Inhalte, die beispielsweise Explosionen, Gewaltdarstellungen oder sexuelle Konnotationen beinhalten – potenzielle Werbekunden müssen auf diesen Umstand Rücksicht nehmen und bereits vorhandene Clips gegebenenfalls anpassen. Weiterhin nicht infrage für Medienfassaden kommen narrative Bildinhalte, die einen den Betrachter stark fesselnden Spannungsbogen aufweisen. Dass die Übertragung von Events wie Fußballspielen die Verkehrsteilnehmer über die Maßen ablenken würde, liegt auf der Hand. Interaktionen mit Medienfassaden werden derzeit vorrangig – wenn überhaupt – durch einzelne Personen ausgelöst. „Eine größere Personengruppe zwecks Interaktion zu erfassen, ist im Moment noch schwierig“, weiß Christoph Kronhagel.
Dass Programmatic Advertising die Werbebranche derzeit umtreibt, ist dem Architekten nicht entgangen. Die Möglichkeit zu einer individualisierten, per Algorithmus gesteuerten Ansprache von sich vor der Anzeigefläche befindenden Zielgruppen hält Kronhagel bei Medienfassaden aber nicht für nutzbringend umsetzbar: „Ich glaube nicht, dass man solche Erkennungsverfahren sinnvoll auf die Straße übertragen kann.“ Nach Einschätzung des Experten werden künftig Interaktionen ganz anderer Art zustande kommen, indem beispielsweise über Plattformen wie Instagram im Rahmen einer Werbeaktion gesammelte Fotos „in groß“ auf der Medienfassade erscheinen und die Einreicher auf diese Weise einbinden.
Tipps in Sachen behördliche Genehmigungen
„Es ist tatsächlich ein dickes Brett, das man bohren muss“, antwortet Christoph Kronhagel auf die Frage zur Überzeugungsarbeit, die bei potenziellen Auftraggebern und selbstverständlich auch bei Behörden geleistet werden muss. „Behördliche Genehmigungen werden erteilt, wenn man den Content sowie den Betrieb organisiert und Verpflichtungen eingeht, wie der Content zu gestalten ist – das ‚wie‘ ist in diesem Zusammenhang der relevante Faktor.“ Bezüglich des Contents macht der Gesetzgeber keine klaren Vorgaben, weshalb die Vorgehensweise in jedem Einzelfall mit der betreffenden Stadt abzustimmen ist. Hilfreich sind erfahrungsgemäß Gutachten von Wahrnehmungspsychologen und Verkehrsexperten, welche die Unbedenklichkeit der geplanten medialen Inszenierung in Aussicht stellen.
„Ein entscheidender Punkt ist der Wechselblick“, konstatiert Christoph Kronhagel. „Beim Autofahren beispielsweise wandert der Blick ständig in der Umgebung umher und wenn man das digitale Anzeigemedium derart einrichtet, dass es zu einem Teil des Wechselblicks wird, gibt es keine Probleme. Wird die Aufmerksamkeit jedoch für zehn Sekunden oder länger beansprucht, kann möglicherweise eine Verkehrsgefährdung eintreten.“ Im ersten Moment scheinen derlei Ausführungen im Widerspruch zu einem zentralen Anliegen von Werbeagenturen zu stehen, welche die Aufmerksamkeit der Zuschauer möglichst lange und nachhaltig binden möchten.
„Eine komplexe Botschaft, wie sie zum Beispiel in einem TV-Spot vermittelt wird, funktioniert auf einer Medienfassade nicht“, räumt Christoph Kronhagel ein. „Dafür lässt sich allerdings dem Betrachter in relativ kurzer Zeit wirksam ein Gefühl für die Marke vermitteln. Eine Emotionalisierung wird auf jeden Fall erreicht – man muss lediglich darauf achten, dass der Betrachter nicht denkt, er würde etwas verpassen, sofern er nicht lange genug hinschaut. Es verhält sich in etwa so, als wenn ich mit dem Auto an der Meeresküste entlangfahre und die Brandung im Augenwinkel behalte: Das ist zwar immer wieder toll, aber es stellt sich nicht das Gefühl ein, dass ich etwas verpasse, wenn ich gerade einmal nicht hinschaue. Genau so muss die Medienfassade als Medium aufgestellt werden und bringt dann auch einen Mehrwert gegenüber einem Plakat. Mit einer Medienfassade wird bezüglich der Werbewirkung eine wesentlich höhere Effizienz als mit gängigen Maßnahmen erreicht – der Betrachter sieht hier etwas, was er in vergleichbarer Form nicht an jeder Ecke findet.“
Kunst trifft Kommerz
Kronhagel spricht über sein Geschäftsmodell: „Grundsätzlich entwickle ich Ideen, die nicht unmittelbar auf konkreten Aufträgen basieren. Ich initiiere ein neues Medium und verdiene am Betrieb – wenn die Installation fertiggestellt ist, fange ich sozusagen erst richtig an!“ Eine Medienfassade wird laut Christoph Kronhagel für eine Betriebsdauer von zehn Jahren geplant. Das konzeptionell-organisatorische Management soll während dieser Zeitspanne in den Händen seiner Firma verbleiben. Bei aller Liebe zur Kunst betont Kronhagel, dass er nicht in schwarz-weißen Mustern malen will: „In der Mediatektur erstrecken sich die Bespielungsmöglichkeiten über einen weiten Bereich und falls ein Kunde auf Mainstream-Content beharrt, soll er ihn selbstverständlich auch bekommen. Ich werde aber immer darauf hinweisen, wenn sich etwas besser machen lässt oder die Wirkung von angeliefertem Material im besonderen Kontext einer Medienfassade verpuffen würde. In einem solchen Fall zeige ich gerne Alternativen auf. Wenn der Kunde ganz plastisch sieht, wie sich die Wirkung seiner Werbung verbessern lässt, wird er meist auf meinen Vorschlag eingehen.“
Rundum auf Sendung mit „On Air”
Ein interessantes Vorhaben, mit dem sich Christoph Kronhagel derzeit befasst, hört auf die Bezeichnung „On Air“: Es handelt sich um ästhetisch geformte LED-Objekte, die an den Decken von Abflughallen in Flughäfen angebracht und rundum bespielt werden sollen. Die in Airports allgegenwärtige Brandschutzproblematik wird laut Aussage des Architekten mit einer neuartigen Technologie adressiert. Kronhagels Produktionsgesellschaft Urbansite möchte bei den Installationen von „On Air“ Besitzer der Objekte bleiben und federführend deren Betrieb übernehmen. Verdient wird an der Werbung, die auf Wunsch auch konventionell in Form von zwei 16:9-Bildern angelegt sein kann, die statisch abgebildet werden oder auf dem Objekt kreisen. „Auch gängige Werbeformate funktionieren mit den Lösungen, die wir entwickeln. Wir beraten Kunden aber selbstverständlich gerne, wie man das Ganze noch besser machen kann …“, merkt Christoph Kronhagel schmunzelnd an.
Medienfassaden aus städtebaulicher Sicht
„Mich interessiert, wie sich mediale Bespielung in den Städtebau integrieren und einen Beitrag zur kulturellen Ausstrahlung einer Stadt leisten kann“, so Kronhagel. „Ich propagiere eine differenzierte Vorgehensweise, welche Architekten, Stadtplanern und Baudezernenten Potenziale zur Gestaltung des städtischen Raums eröffnet. Die Architektur gleicht sich inzwischen rund um den Globus immer mehr an und Trends werden zeitgleich überall auf der Welt aufgegriffen. Mithilfe der Kommunikation über eine Medienfassade lässt sich auf Wunsch ein regionaler Bezug für die in der jeweiligen Stadt lebenden Menschen aufbauen – ein Bezug, der in der allgemein üblichen Architektur zunehmend verlorengeht. Spinnt man gedanklich den Faden weiter, wäre es interessant, was passieren würde, wenn die Stadt der Zukunft Einfluss auf sämtliche medialen Einspielungen in ihrem öffentlichen Raum hätte und die vorherrschende Atmosphäre passend zu aktuellen Anlässen allerorts erlebbar machen könnte. Die Chancen, die sich hier eröffnen, wurden meiner Meinung nach auf breiter Basis noch nicht erkannt!“
Autor: Jörg Küster
Medienfassaden bzw. Medienarchitektur als Studienfach? Einen akademischen Weg zur Fachqualifizierung bietet die Fakultät Architektur und Urbanistik in Zusammenarbeit mit den Fakultäten Kunst und Gestaltung und Medien der Bauhaus-Universität Weimar. Mehr erfahren Sie in unserem Beitrag “Medienarchitektur im Trend” …