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Interview mit Prof. Uwe R. Brückner

Architektur dynamisch denken

Was macht ein gutes Museum aus? Und wie sieht das Museum des 21. Jahrhunderts aus und welche Fallstricke und Möglichkeiten bietet es? Ein Gespräch mit Prof. Uwe R. Brückner über das Spannungsfeld zwischen Architektur und einer zeitgemäß inszenierten Ausstellung.

Prof. Uwe R. Brückner
Prof. Uwe R. Brückner plädiert für eine frühzeitige Zusammenarbeit von Kuratoren, Szenografen und Architekten.

„form follows content“ – so lautet die Gestaltungsphilosophie von Prof. Uwe R. Brückner, der mit seinem vielköpfigen Team vom Atelier Brückner in den vergangenen 20 Jahren schon über 100 Ausstellungs- und Erlebniswelten für Museen und Marken kreiert hat. Sein Anspruch ist es, aus Geschichten und Inhalten räumliche Gesamtkunstwerke zu formen, die den Inhalt auf den Punkt bringen und Besucher emotional und intellektuell mit allen Sinnen ansprechen. Die Basis dafür bilden nicht nur ein Architekturstudium und eine mehrjährige Tätigkeit als klassischer Architekt, sondern auch ein ergänzendes Bühnenbildstudium. Heute wird Uwe R. Brückner weltweit als Meinungsbildner im Bereich Ausstellungsgestaltung geschätzt und gilt als Koryphäe bei der Entwicklung narrativer Raumkonzepte. Ein kleiner Einblick in das Zusammenspiel aus Architektur und Content.

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Herr Brückner, Sie haben schon so viele Ausstellungs- und Erlebniswelten kreiert. Was macht denn Ihrer Meinung nach ein gutes Museum bzw. eine gute Ausstellung aus?

Man sollte ein gutes Museum nicht nur an seinem technischen Standard und schon gar nicht allein an seiner medialen Ausrichtung messen. Ein gutes Museum fängt schon bei der Physis an – und das ist leider auch das Drama im aktuellen Museumsbau. Denn in den Köpfen der meisten Architekten besteht das Museum des 21. Jahrhunderts immer noch aus den Bestandteilen des Museums des 19. Jahrhunderts. Sprich: möglichst pompöse oder kunstvolle Eingänge, imposante Treppenanlagen und eine Architektur, die schon auf dem Reißbrett selbst zur Skulptur oder zum Objekt wird. Gleichzeitig gibt es ganz merkwürdige Auffassungen, was die Belichtung und die räumliche Abfolge angeht. Diesbezüglich hat man relativ wenig aus dem 19. Jahrhundert gelernt. Es gibt viele neue Museumsbauten, die sich selbst genug sind – ich nenne das autistische Architektur. Dabei handelt es sich eigentlich um begehbare Skulpturen, was für sich auch gut ist. Viele dieser Bauten haben dadurch überhaupt erst Besucher angezogen und diese über ihre expressive architektonische Gestaltung für eine Sammlung begeistert oder interessiert. Das ist der sogenannte Bilbao-Effekt. Der Nachteil ist aber: Man hat eine expressive Architektur mit eher bescheidenen inneren räumlichen Qualitäten, die kaum bespielbar sind, weil es eben eine Skulptur ist. Man sollte in solchen Fällen eher von einer Ausstellungsskulptur sprechen. Wenn es aber darum geht, Dinge, Objekte und Artefakte bestmöglich zu inszenieren, dann sollte ein Museum einen dienlichen Charakter haben. Ein gutes Museum soll Ausstellungen ermöglichen, nicht verunmöglichen.

Die interaktive Bodenkarte im Haus der Geschichte in Stuttgart hat eine unerwartet hohe Halbwertszeit.
Die interaktive Bodenkarte im Haus der Geschichte in Stuttgart hat eine unerwartet hohe Halbwertszeit.

Welche Aspekte zählen denn für Sie zu einem dienlichen Charakter?

Ein ganz einfaches Beispiel: ein Hohlboden. Leider haben aber viele junge Architekten noch nie davon gehört. Als Resultat erhalten etwa 60 bis 70 % der neuen Museen einen Gussasphalt oder einen gestrichenen und polierten Betonestrich als Bodenbelag – das lässt eine zusätzliche Verkabelung im Grunde nicht zu. Für ein Museum des 21. Jahrhunderts ist das nicht adäquat. Gleiches gilt für Ausstellungsräume mit poliertem Granitboden: Man kann nicht in den Boden schrauben, man kann nichts verankern und unter Umständen liegt sogar noch eine Fußbodenheizung darunter. Auch für die Akustik sind diese Böden schwierig. Audioeinspielungen und Lautsprecheransagen sind dann unverständlich, da der Nachhall in diesen Räumen einfach zu hoch ist. Das sind Absurditäten, mit denen wir täglich zu tun haben.

Gibt es weitere Faktoren, die aus Ihrer Sicht kritisch sind?

Zunächst einmal die Gewichtung: Es gibt Museen, die größere Schaufenster haben als das KaDeWe in Berlin. Ein Museum des 21. Jahrhunderts mit enormen konservatorischen Anforderungen kann aber nicht so tun, als wäre das Objekt bestenfalls ein Störfaktor in der Sammlung, sondern es muss sich darum kümmern, dass es Ausstellungsräume gibt, in denen eine konservatorisch objektgerechte und flexible Bespielung möglich ist. Zudem muss das Museum des 21. Jahrhunderts nach meiner Definition mindestens einen Rundgang ermöglichen, um flexibel bespielt werden zu können – im Idealfall auch zwei oder drei. Sackgassen und tote Enden sind nicht adäquat. Ich nenne das auch die Choreographie der Ausstellung oder die choreographische Abfolge von Ausstellungsräumen.

Atelier Brückner: Parlamentarium Brüssel
Im Parlamentarium in Brüssel können sämtliche Informationen in 24 Sprachen aufgerufen werden. Ohne zeitgemäße digitale Medien wäre dies nicht zu leisten.

Ist denn die Flexibilität von Ausstellungsräumen heute wichtiger als früher?

Definitiv. Wenn wir ins 19. Jahrhundert zurückblicken haben wir beispielsweise mit Schinkel und Klenze geradezu narrative Architekturen mit Friesen, in denen Geschichten erzählt wurden. Oft haben sie auch die Sammlungen reflektiert. Diese Museen waren darauf ausgelegt, mindestens 100 Jahre zu halten. Im 20. Jahrhundert hat sich das geändert. Als ich in den 1980er Jahren beruflich angefangen habe, hat man von 20 Jahren plus als Wirkungsgrad für Dauerausstellungen gesprochen. Das hat sich Ende des 20. und im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch einmal relativiert. Heute spricht man von Generationswechseln, also einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren. Das liegt vor allem daran, dass sich das Rezeptionsverhalten heutzutage wesentlich schneller und in deutlich kürzeren Perioden verändert als früher. Es ist tatsächlich so, dass die jungen Leute heute eindeutig ein ganz anderes Rezeptionsverhalten haben als noch vor zehn Jahren.

Ergibt sich daraus nicht zwangsläufig für jeden Betreiber ein Budgetproblem, wenn er alle sieben Jahre erneuern muss?

Jein. Ja, wenn man das Haus unflexibel konzipiert hat. Dann verlängern sich die Perioden automatisch, weil kein Geld vorhanden ist, um Änderungen vorzunehmen. Wenn es sich aber um eine schlaue, flexible und variable Architektur handelt, dann lässt sich das von Anfang an mit einplanen. Beispielsweise haben wir schon Projekte durchgeführt, bei denen wir dem Auftraggeber empfohlen haben, einen Teil des vorhandenen Budgets zurückzulegen, um davon nach drei Jahren die Projektoren auszuwechseln. Wobei sich mittlerweile auch die Halbwertszeit vieler Geräte stark verbessert bzw. verlängert hat. Und es ist natürlich auch abhängig davon, ob diese für den Dauerbetrieb geplant sind oder nur on-Demand laufen. Ein Beispiel in Sachen Lebensdauer: Das Haus der Geschichte in Stuttgart hat 2002 in Europa eine der ersten multifunktionalen interaktiven Bodenkarten auf der Basis eines sogenannten Kapazitätsfeldes erhalten – ein Prototyp. Tatsächlich lief dieser fast zwölf Jahre wartungsfrei, bis die Leuchtmittel ausgetauscht werden mussten. Interessanterweise ist es ja so, dass viele Museen denken: Viele Medien gleich viele Schwierigkeiten gleich großes Budget. Dem ist nicht so. Man kann vorausschauend planen und Austauschkomponenten von vornherein mit einkalkulieren.

Das hört sich so an, als ob Sie diese Diskussion schon öfter mit Auftraggebern hatten?

Dauernd. Im Augenblick haben wir quasi eine „Zurück ins 19. Jahrhundert”-Bewegung, also zurück zum auratischen Objekt – wie auch immer man dieses definieren möchte. Heutzutage treffen wir auf ganz viele Direktoren und Kuratoren, die der Meinung sind, dass digitale Medien viel zu kompliziert sind. Wir befinden uns gerade inmitten einer komplett analogen Welle – aber es ist nicht die erste und es wird sich auch wieder ändern. Wobei es dabei auch kulturelle Unterschiede gibt: In Zentraleuropa besucht man jetzt gerne wieder das 19. Jahrhundert, während man in Asien auf dem digitalen Medientrip ist. Dort kann es gar nicht medienlastig genug sein.

Gehören denn digitale Medien für Sie zwangsläufig ins Museum des 21. Jahrhunderts?

Überhaupt nicht. Unser Firmencredo lautet „form follows content” – und das gilt auch für die Technik. Wir sind der Meinung, dass die Technik nicht zum Selbstzweck im Vordergrund stehen darf, sondern dass sie dienlichen Charakter haben soll. Das bedeutet, dass wir z. B. digitale Techniken nur einsetzen, wenn analoge Mittel an ihre Grenzen stoßen oder wenn wir spezielle Vermittlungsebenen erreichen wollen. Ein Beispiel dafür ist das Parlamentarium in Brüssel, bei dem sämtliche Informationen in 24 Sprachen aufgerufen werden können. Ohne zeitgemäße digitale Medien wäre dies nicht zu leisten. Mit den neuen Medien kann man aber natürlich auch noch einen Schritt weiter – gehen: Als Fenster oder Tür zu verborgenen Welten. Was ich damit meine: Über eine mediale Ebene lassen sich Informationen transportieren, die eigentlich in einer Ausstellung nicht oder kaum vermittelbar sind, z. B. wissenschaftliche oder kuratorische Erkenntnisse. Wer tiefer in eine Materie einsteigen möchte, muss heutzutage keinen Termin mehr ausmachen, sondern kann dies direkt in der Ausstellung tun. Und das finde ich toll …

24 Stufen stehen im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte symbolisch für die 24 Stunden des Tages.
24 Stufen stehen im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte symbolisch für die 24 Stunden des Tages.

Beim Haus der Geschichte in Stuttgart ist aber ja nicht nur die interaktive Bodenkarte sehr bemerkenswert, sondern auch das Zusammenspiel von Architektur und Ausstellungsinhalten. Wie ist dies zustande gekommen?

Die Idealvorstellung ist natürlich, dass die Kuratoren, die Szenografen und die Architekten zusammenarbeiten – je früher, desto besser. Das ist eine ganz einfache Formel. Wenn das nicht möglich ist, sollte man versuchen, für eine bestimmte Sammlung oder ein bestimmtes Konzept die bestmöglichen Bedingungen herzustellen. Beim Haus der Geschichte hatten wir einen Sonderfall. Eigentlich ist es ja ein Stirling-Gebäude, das ursprünglich aus seiner Feder stammte, aber erst 20 Jahre später nach dem Tod des Architekten realisiert wurde. Das Problem war, dass ursprünglich in diesem Gebäude überhaupt kein Rundgang vorgesehen war. Stattdessen gab es nur eine zentrale Treppe, von der in den einzelnen Etagen die Ausstellungsbereiche abgingen.

Eine unserer Interventionen war daher, innerhalb der Ausstellungsfläche zwei zusätzliche Treppen einzufügen, was zunächst auf starken Widerstand der Nachfolge-Architekten stieß. Da wir die Wettbewerbsjury aber von unserem Ansatz überzeugen konnten, hatten wir mit den zwei zusätzlichen Treppen die Möglichkeit, einen Rundgang zu schaffen, der die „Grande Staircase” als generösen Aufgang einbezieht. Trotzdem kann man den Rundgang in beide Richtungen begehen. Das Zusammenspiel aus Architektur und Inhalten kam letztlich also über das Zusammenspiel von Architekten und Kuratoren zustande, indem man ein gemeinsames Ziel definierte. Übrigens auch, was die technische Bespielbarkeit und die Flexibilität der Architektur angeht. Dafür haben wir sogenannte Museumswände eingezogen, die aus einzelnen Paneelen bestehen. Die Wände werden entweder mit Technik bestückt oder in den Freiräumen mit Vitrinen – und wenn das Haus noch mehr Ausstellungsplatz oder Ausstellungsvolumen benötigt, dann können die Paneele jederzeit aus der Wand genommen werden, um eine zusätzliche Vitrine einzubauen. Das ist hochflexibel – ohne die Architektur in Frage zu stellen und ohne große Schließzeiten oder Umbauzeiten zu erfordern.

Eine solche Zusammenarbeit ist dann aber wahrscheinlich eher die Ausnahme?

Ja, aber es wäre so einfach, es gleich von Anfang an zusammen zu machen. Das Gleiche gilt für Treppenanlagen generell. Normalerweise stellen sie sich sozusagen selber aus und leiten die Besucher von A nach B, aber man könnte sie auch ganz einfach bespielen. Im Deutschen Uhrenmuseum beispielsweise gibt es eine Glastreppe mit genau 24 Stufen – jede Stufe symbolisiert eine Stunde des Tages. Die Stufe der jeweils aktuellen Uhrzeit leuchtet dauerhaft und wenn man die Treppe betritt, leuchten auch die Stufen, auf denen man sich befindet. Ähnliches gilt für die Beleuchtung von Fassaden. Wenn ich mich anfangs etwas süffisant über die großen Schaufenster in der Museumsarchitektur mokiert habe, dann heißt das nicht, dass es die nicht geben kann oder darf. Man muss aber das Tageslicht konditionieren und den Raum bei Bedarf in kurzer Zeit in eine Blackbox verwandeln können.

Im Haus der Berge in Berchtesgaden beispielsweise gibt es eine 10 m × 15 m große Glasfassade, die wir mit Speziallamellen bestückt haben. In offenem Zustand eröffnet sich ein Blick nach draußen auf den Watzmann. Auf diese Weise wurde die Natur draußen miteinbezogen – ein expliziter Wunsch der Kuratoren. Alle 15 Minuten aber schließen sich diese Speziallamellen und auf sie wird von innen projiziert. Es beginnt immer mit der Projektion dessen, was man vorher in der realen Welt vor dem Fenster gesehen hat und geht dann über auf die Perspektive, wie sich der Watzmann und Umgebung saisonal im Jahresverlauf verändern. Das meine ich mit einem smarten und variablen Umgang. Wenn Architektur dynamisiert werden kann oder wenn man dies mit einberechnet, dann kann sie riesige Fenster und enorme Treppenanlagen aufweisen, dann kann sie Skulptur sein. Es muss aber eingeplant werden, dass sie gleichzeitig der Sammlung oder der Ausstellung dienlich sein muss.

Heißt das, dass in der Architektur zu statisch gedacht wird?

Die meisten Architekten werden leider so „erzogen”. Ich selbst bin da keine Ausnahme – in meinem ersten Leben war ich ein klassischer Architekt und habe es auch nicht anders gelernt. Seit gut zwei Jahrzehnten können wir die Architektur aber auch dynamischer denken, wir können ganze Fassaden oder Fensterfronten miteinbeziehen in den musealen Kontext. Wir können die Architektur geradezu konsistent für eine unterstützende Inszenierung der Objekte oder der Sammlungen gestalten. Architektur und dynamische Nutzung ist kein Widerspruch.

Im Neubau kann man all diese Faktoren natürlich von Anfang an mit einbeziehen. Macht die Ausstellungsplanung im Bestandsbau einen großen Unterschied?

Auch hier wieder ein entschiedenes Jein. Das hängt ganz vom jeweiligen Altbau ab. Wenn der Bestandsbau selbst sehr expressiv ist und die Räume in sich schon ganz stark und „unterhaltenswert” sind, dann ist es natürlich schwierig, Einbauten oder Technik zu integrieren. Das könnte dann den unerwünschten Effekt ergeben, dass Technik und analoge Raumgestaltung miteinander konkurrieren. In so einem Fall muss man abwägen, wir versuchen, niemals gegen die Architektur zu arbeiten.

Ein Prototyp zeitgemäßer Ausstellungsgestaltung ist für mich beispielsweise das Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris. Das Naturkundemuseum ist in einem alten Museumsgebäude des 19. Jahrhunderts untergebracht – mit einer komplett modernen Konzeption des 20., wenn nicht sogar des 21. Jahrhunderts, obwohl es mittlerweile schon über 20 Jahre alt sein dürfte und de facto schätzungsweise zu 90 % analog ist. Hier hat man damals wirklich große Eingriffe in die Architektur vorgenommen, aber auf schlaue Weise. Sämtliche architektonischen Eingriffe spielen nicht gegen die Sammlung, sondern harmonieren mit ihr und dem Charakter des Gebäudes. Eine perfekte Symbiose.

Herr Brückner, wir danken für das Gespräch.

Interview: Claudia Rothkamp

Ein weiteres Interview mit Prof. Uwe R. Brückner über Besonderheiten und Grenzen von Projection Mapping finden Sie hier …

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