Live-Übertragung aus dem OP

Videotechnik im Klinikum Ulm

Im Klinikalltag müssen Ärzte täglich weitreichende Entscheidungen unter hohem Kosten- und Zeitdruck treffen. Im Universitätsklinikum Ulm können mit der verbauten Medientechnik Live-Bilder direkt aus dem Operationssaal gesendet werden. So können ad-hoc Kollegenmeinungen eingeholt werden. Gleichzeitig wird die studentische Lehre anschaulicher.

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(Bild: Markus Tischner)

Wer im Operationssaal am Patienten steht, hat nicht viel Zeit zum Grübeln. Der Blick in den geöffneten Körper muss in Sekundenschnelle mit dem vorhandenem Bildmaterial und der eigenen Erfahrung abgeglichen werden, um genau das Richtige zu tun. In schwierigen Fällen kann es sehr hilfreich sein, eine zweite Meinung einzuholen. Doch der Kollege, mit dem man die Sachlage gerne besprechen möchte, ist meist nicht im OP vor Ort. So wird in vielen Krankenhäusern auch heute noch potenziell verfügbares Expertenwissen im Tagesgeschäft nur unzureichend genutzt.

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Anders im Universitätsklinikum Ulm: Im Zuge des Neubaus des Chirurgischen Zentrums wurden die 13 neuen Operationssäle nicht nur mit hochspezialisierter Operationstechnologie ausgestattet. Ein besonderes Augenmerk legten die Planer auch auf die Medientechnik. Diese soll zum einen Rückfragen an entfernte Kollegen vereinfachen und zum anderen auch die Lehre durch allzeit verfügbare Videobilder aus dem OP verbessern.

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Prof. Dr. Florian Gebhard, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Chirurgie (Bild: Markus Tischner)

Vollintegrierte OPs

Dazu können Videobilder aus dem Operationssaal im gesamten Klinikum zu den Computern der Ärzte und in die 20 Konferenzräume übertragen werden. In den Konferenzräumen trifft sich das OP-Personal zum einen für die täglichen OP-Besprechungen und andere Meetings. Zum anderen finden hier Lehrveranstaltungen statt, die nun einen direkten Blick in alle Operationssäle und Zugriff auf Patientenverwaltung und Bilddatenbank erlauben. Die Computertechnologie in den Operationssälen stammt vom Medizintechnik-Spezialisten Richard Wolf GmbH. Damit die Videodaten in die Konferenzräume gelangen und dort auf dem richtigen Wiedergabegerät gezeigt werden können, hat der badische Installer multi-media medical AG eine Mediensteuerung integriert, die auf Crestron-Komponenten basiert.

Vor der Einführung des Systems erhielten 56 Pflegekräfte und 120 Ärzte eine Bedienerschulung. 10 „Key-User“ dabei vertiefte Kenntnisse. Zusätzlich gibt es am Klinikum zwei IT-Verantwortliche, die als „Super-Admin“ beim Hersteller Richard Wolf GmbH geschult wurden. Der Super-Admin wird informiert, sobald Videoübertragungen einer OP geplant sind, und steht auf Abruf zur Verfügung, falls komplexere Fragestellungen auftreten.

Am 15.6.2012 startete nach drei Monaten Montagezeit der Betrieb in den vollintegrierten Operationssälen. Seitdem können Live-Bilder von jeder Operation via Ethernet gestreamt und auch direkt in der digitalen Patientenakte archiviert werden. Dazu sind in jedem Saal verschiedene Kameras installiert. Die zentrale Kamera ist dabei die Medical ILED OP-Leuchten-Kamera vom Hersteller Trumpf. Sie überträgt den direkten Blick des Operateurs und bringt in den meisten Fällen die wichtigste Bildinformation. Bei endoskopischen Operationen kommt das Bild von einer ENDOCAM Logic HD des Herstellers Richard Wolf GmbH.

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(Bild: Markus Tischner)

Während die OP-Leuchtenkameras fest an den OP-Leuchten installiert sind, werden die Endoskopie-Kameras bei Bedarf auf mobilen Videowagen über einen Harting-Stecker an den Deckenversorgungseinheiten angeschlossen. Den Gesamtüberblick über das Geschehen im OP bringt jeweils eine Sony EVI-HD7 Raumkamera, die über die Crestron-Mediensteuerung gezoomt, geschwenkt und fokussiert werden kann. Über weitere externe Eingänge können zusätzliche bildgebende Quellen angeschlossen werden. Neben den Videodaten der Kameras kann das OP-Personal auch medizinische Bilder aus der Patientenakte anzeigen.

Damit alle Beteiligten bei der OP den bestmöglichen Überblick haben, können die Videosignale nicht nur ins Netz gestreamt, sondern auch auf jeweils zwei 26″ Radiance G2 Monitore von NDS gespielt werden, die an Deckenstativen im OP befestigt sind. Drei der Operationssäle sind auf Herzoperationen ausgelegt. Hier werden auf einem dritten Monitor getrennt die Vitalwerte (EKG, Puls etc.) des Patienten im direkten Blickfeld des Operateurs angezeigt. Herz-Operationen sind immer kritische Eingriffe und erfordern hier die bestmögliche Übersicht.

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Blick in einen vollintegrierten Operationssaal (Bild: Markus Tischner)

Expertenmeinung ad-hoc einholen

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Mediensteuerung im OP (Bild: Markus Tischner)

Möchte nun der Operateur während der Arbeit im OP einen Kollegen hinzuziehen lässt er vom Pflegepersonal ein Telefonat aufbauen. Über das in der Decke verbaute Kondensator-Grenzflächenmikrofon ES 945 W von Audio Technica kann der Arzt direkt mit dem Partner sprechen, ohne dass er die Hände vom Patienten nehmen muss. Der Kollege loggt sich an einem KlinikComputer mit installierter Medien-App ein und wählt den Operationssaal aus, von dem er den Stream empfangen möchte.

Im entsprechenden Saal erscheint eine Anfrage auf dem MedienComputer. Sobald diese Anfrage im OP bestätigt wird, startet der Streamprozess und eine auffällige rote Leuchte zeigt im OP an, dass nun Videodaten übertragen werden. Auf einem Touch-Display an der Wand kann man wählen, welche Quellen auf welchen Wiedergabegeräten gezeigt werden und/oder gestreamt werden. Die Zuordnung erfolgt über einfaches Auswählen von Quelle und Ziel. Dabei kann neben dem Hauptbild auch eine zweite Quelle als Bild im Bild übertragen werden. Alternativ dazu kann über eine Quadsplit-Option ein KombiSignal aus vier Quellen gezeigt werden. Ob zu den Videodaten auch Ton mit übertragen werden soll, kann ebenfalls nur im OP direkt ausgewählt werden.

Diese volle Kontrolle aus dem OP heraus verhindert, dass sich von außen jemand unbemerkt in den Saal einwählt und unbefugt Daten abgreift. Da im Krankenhaus-Umfeld Datensicherheit eine sehr große Rolle spielt, läuft die Kommunikation zwischen Kamera und entferntem Rechner zudem über eine verschlüsselte Verbindung und wird nur zu Klinik-Computern mit der entsprechenden Medien-App der Richard Wolf GmbH hergestellt. Technisch gesehen könnte man das Signal auch weltweit via Internet verteilen. Das ist im September 2012 auch im Rahmen einer Live-OP an einer Dummypuppe mit 430 registrierten Teilnehmern geschehen. Für den täglichen Einsatz ist die Live-Übertragung aus dem Klinikum heraus jedoch nicht vorgesehen. Neben Sicherheitsaspekten spricht auch die in Fachkreisen kritisch diskutierte Ablenkung des Operateurs durch die mediale Übertragung gegen ein Übermaß an „OP-Broadcasting“.

Verbesserte Dokumentation

Prof. Dr. Florian Gebhard, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Chirurgie sieht den Nutzen der Mediensteuerung nicht nur in der Übertragung, sondern auch in der Archivierung der Videos: „Seit Einführung der neuen Technologie ist es bereits jetzt bei circa 80 % der Operationen gängig, dass die wichtigsten Arbeitsschritte visuell dokumentiert werden. Je Operation werden zehn bis 20 Einzelfotos aufgenommen. Zusätzlich wird die Schlüsselsequenz in einem ungefähr einminütigen Video festgehalten. Dies erleichtert uns die Dokumentationsarbeit ungemein.“ Damit der Operateur nicht unnötig von seiner Arbeit abgelenkt wird, können die Aufnahmen über ein sehr einfaches Bedien-Interface erstellt werden: Unter dem OP-Tisch befindet sich ein Fußschalter mit zwei Tasten.

Drückt der Operateur den gelben Schalter, wird die Videoaufnahme aktiviert. Ein Druck auf blau erstellt ein Foto. Damit kein unnötiges Videomaterial erzeugt wird, ist zudem ein Sicherungsmechanismus programmiert, der die Videoaufnahme nach zwei Minuten abbricht, falls der Operateur vergisst, die Aufnahme zu stoppen. Für längere Lehrsequenzen kann am Steuer-PC auch eine Langzeitaufnahme gestartet werden, die wiederum nach zwei Stunden automatisch stoppt.

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Projektbeteiligte im OP: Installer Christian Müller (multi-media medical AG), Alwin Ziesel (Klinikum Ulm), Dagmar Peter (Crestron) (Bild: Markus Tischner)

Für die Netzwerk-Streams wird das Videosignal über den HD Encoder Makito von Haivision im h.264 Codec codiert. Der Makito-Encoder überträgt DVI-Signale bis zu einer Auflösung von 1080p. Wegen der weiten Strecken von bis zu 80 Metern zu den Endgeräten haben die Installer zur Übertragung der Videosignale insgesamt circa 1,5 Kilometer Glasfaserkabel im Klinikum verlegt.

Steuerung aus dem Konferenzraum

In den 20 Konferenzräumen dominieren Crestron-Komponenten die Medienverteilung. Hier können nicht nur die Videostreams aus den Operationssälen, sondern auch verschiedene externe Quellen aus dem Konferenzraum selbst auf jeweils zwei nebeneinander installierten Projektoren wiedergegeben werden. Über einen Tischtank werden Quellsignale über HDMI, VGA, USB und 3,5-mm-Klinkenstecker aufgenommen. Je nach Raumausstattung kommen zu den ein bis zwei Tischtanks noch ein bis zwei Bodentanks mit den gleichen Anschlüssen. Die Signale der externen Quellen werden im Raum zunächst über Crestron-DM geleitet und dann über eine Crestron-DM-Matrix auf die beiden Projektoren verteilt. Der Ton wird über einen QMI-AMP-3x80MM-Verstärker an jeweils zwei FS6-W Lautsprecher geleitet.

Welche Quellen auf welchem Projektor angezeigt werden sollen, steuern die Ärzte mit zwei verschiedenen Crestron-Steuerpanels. Von den 20 Räumen sind 17 mit dem Tastenfeld MP-B10 und drei mit dem drahtlosen TPMC-4 ausgestattet. Mit den Panels wird jeweils eine Quelle durch einfachen Tastendruck einem Projektor zugeordnet.

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Crestron Medienpanel im Konferenzraum (Bild: Markus Tischner)

Die Datensicherheitsbestimmungen im Klinikbetrieb erfordern es, dass an den Tisch- und Bodentanks angeschlossene Computer nur eine IP-Adresse im hauseigenen Netz erhalten, wenn die MAC-Adresse des Geräts vorher registriert wurde. Um für befugte Mitarbeiter einen ungehinderten Zugang ins Netz zu gewährleisten, sind in den Konferenzräumen jeweils ein bis zwei PCs mit Zugriffsrechten auf das KlinikNetzwerk vorhanden. Das Signal dieser Rechner kann ebenso wie die Netzwerk-Streams oder externe Quellen auf die beiden Projektoren verteilt werden.

Je nach Anforderung im jeweiligen Konferenzraum sind unterschiedliche Projektoren verbaut. In sieben Räumen laufen Projektoren der „Medical“-Klasse – oft auch als DICOM-konforme Projektoren bezeichnet. Diese Projektoren haben mindestens Full-HD-Auflösung und eine besonders reich abgestufte Wiedergabe von Grautönen, sodass sie medizinisches Bildmaterial mit größtmöglicher Detailtreue wiedergeben. Die drei Projektoren vom Typ Panasonic PTDW530E, Canon Xeed WUX 10 Mk II Medical und Projectiondesign WUXGA22 Medical dürfen damit im Klinikum Ulm auch zur Befundung verwendet werden. Das heißt, die Ärzte stellen auf Basis des Projektorbilds ihre Patientendiagnose. Die restlichen Räume sind mit Epson EB 915W-Projektoren ausgestattet. Da dort keine Befundungen stattfinden, reichen hier HD-Projektoren ohne DICOM-Konformität.

Anschauliche Lehrveranstaltungen

Wenn für Lehrveranstaltungen Videobilder aus einem Operationssaal übertragen werden sollen, entscheidet der Seminarleiter, welche Operation übertragen wird. In Absprache mit dem Operateur wird dann das Videobild aus dem Konferenzraum angefordert und aus dem OP freigegeben. Prof. Dr. Gebhard registriert eine zunehmende Entspannung in den Operationssälen, seit die Mediensteuerung in Betrieb ist: „Die Videoübertragung kann zwar die praktische OP-Erfahrung der Studenten nicht ersetzen. Aber sie führt zu einer Verminderung der studentischen Besuchstermine im OP. So können die Operateure konzentrierter arbeiten und gleichzeitig werden die Vorlesungen durch den Blick über die Schulter anschaulicher und praxisorientierter.“

Typischerweise wird bei einer OP-Übertragung auf der einen Leinwand das Bild der OP-Lampenkamera übertragen. Dazu zeigt der zweite Projektor oft ein Röntgenbild des Patienten. Alternativ dazu kann das Röntgenbild auch als Bild im Bild angezeigt werden. Auf der zweiten Leinwand läuft dann oft die Vorlesungspräsentation des Dozenten.

 

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