Geht es um die schnelle drahtlose Datenanbindung in einem größeren Areal mit hohem Datentransfer oder eine möglichst latenzfreie Übertragung, ist ein privates Mobilfunknetz eine mögliche Variante, auch in Bezug auf die Investition: Ein 5GCampusnetz kann kostengünstiger sein als eine vergleichbare WLAN-Infrastruktur.
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Bislang orientierte sich jede neue Generation von Mobilfunktechnologien am Wahlspruch der Olympischen Spiele: „schneller, höher, weiter“. Bei der aktuellen Version 5G geht es jedoch nicht nur um höhere Datenraten von derzeit bis zu 20 Gigabit pro Sekunde. Diese Mobilfunktechnik bietet zudem kurze Verzögerungszeiten (Latenz) im Millisekunden-Bereich und erlaubt es, bis zu eine Million Endgeräte (Devices) pro Quadratkilometer zu versorgen. Hinzu kommt die Option, mithilfe von Network Slices (virtuellen, separaten Netzsegmenten) spezifische Bandbreiten, Latenzzeiten und Übertragungsraten für Anwendungen festzulegen. Das funktioniert auch dann, wenn sich mehrere Applikationen eine 5GFunkzelle teilen. Slices sind virtuelle Netze, die über dieselbe physische Infrastruktur bereitgestellt werden.
5G-Campusnetze nehmen Fahrt auf
Dank dieser Eigenschaften gewinnen private 5G-Netze (P5G) an Bedeutung. Für solche Campus-Infrastrukturen hat in Deutschland die Bundesnetzagentur im Jahr 2019 dafür die Frequenzen im Bereich 3.700 bis 3.800 MHz freigegeben. Außerdem können Interessenten Frequenzen im Bereich zwischen 24,25 und 27,5 GHz für die private, nicht-öffentliche Nutzung beantragen. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei einem 5G-Campusnetz um eine geografisch begrenzte, lokale Mobilfunk- Infrastruktur, die einem Nutzer exklusiv zur Verfügung steht. Dabei kann es sich auch um ein Netz handeln, das nur temporär in Betrieb ist, beispielsweise auf einem Messe- oder Veranstaltungsgelände.
In Deutschland hat die Bundesnetzagentur bis Anfang Januar 2024 insgesamt 371 Zuteilungen von Frequenzen im Bereich 3.700 bis 3.800 MHz für 5G-Campusnetze erteilt. Die Aufstellung enthält neben Serviceprovidern, IT-Firmen, Hochschulen und Kommunen etliche namhafte Industrieunternehmen. Dazu zählen Siemens, Bosch, Miele und die Lufthansa. Auch die Automobilsparte ist mit Herstellern (BMW, Volkswagen, Tesla [Brandenburg], Mercedes) und Zulieferfirmen wie Schaeffler vertreten. Unternehmen, die Standorte in den Nachbarländern Schweiz (seit Januar 2024) und Österreich unterhalten, können auch dort 5G-Campusnetze einrichten: „Insgesamt beobachten wir, dass nicht nur die Zahl der Private- 5G-Netze im DACH-Raum wächst. Auch die Integration der 5G-Technologie in die Betriebsabläufe nimmt zu“, sagt Joe Wilke, Head of Center of Excellence 5G Industry 4.0 beim Netzausrüster Ericsson.
Vielzahl von Anwendungsszenarien
Dass Unternehmen und öffentliche Einrichtungen verstärkt private 5GNetze implementieren, liegt an mehreren Faktoren. So haben die Nutzer Anlaufprobleme überwunden, „etwa die mangelnde Verfügbarkeit von industriell einsetzbaren Geräten“, so Marcus Giehrl, Practice Director Innovations and Smart Technologies bei NTT Deutschland. „Außerdem hat sich eine Vielzahl von wertschöpfenden Anwendungsfällen in der Praxis bewährt.“ An solchen Einsatzfeldern für private Mobilfunknetze herrscht kein Mangel. Dazu zählen Smart Factories, die Bereiche Logistik und Intralogistik, außerdem Smart Cities, das Gesundheitswesen und das autonome Fahren. „Anwendungsfälle im Bereich IoT [Internet of Things] umfassen beispielsweise die Anbindung von Sensoren. Dadurch lassen sich Kosten sparen, weil Kabelwege vermieden werden“, erläutert beispielsweise Dr. Claudius Noack, IT-Consultant und 5G-Experte beim Digitalisierungsspezialisten Lufthansa Industry Solutions (LHIND).
Ein weiteres Feld, auf dem eine drahtlose Anbindung über Mobilfunk Sinn macht, ist nach Noacks Einschätzung der Bereich Edge-Computing, in Verbindung mit Kamerasystemen und maschinellem Lernen. „Ein Beispiel sind Kamerasysteme, die den Qualitätssicherungsprozess unterstützen.“ Solche Applikationen erfordern sowohl eine hohe Bandbreite als auch niedrige Latenzzeiten. Diese Anforderungen erfüllt 5G. Hinzu kommt die hohe Ausfallsicherheit: „Sie ist ein Hauptmerkmal von 5G. Zudem können Softund Hardware-Komponenten die Datenströme ausgefallener Netzwerkelement übernehmen“, so Joe Wilke von Ericsson. „Sogar sicherheitsrelevante Netzwerkprotokolle, die für kabelgebundene Architekturen konzipiert wurden, können dank Private- 5G nun ohne Kabel realisiert werden.“
Wenn WLAN nicht mehr ausreicht
Etlichen Unternehmen dürfte sich trotz der Vorzüge von 5G die Frage stellen, ob nicht ein Wireless LAN die bessere Lösung ist. Der aktuelle WLAN-Standard Wifi 6E stellt Datenraten von bis zu 9,6 GBit/s bereit, wenn die Frequenzbänder 2,4 und 5 GHz sowie 6 GHz genutzt werden. Wifi 7, das 2024 eingeführt wird, soll bis zu 46 GBit/s erreichen. Doch im Vergleich zu 5G-Campusnetzen sind WLANs in etlichen Fällen nicht die richtige Wahl, erläutert Jens Müller, Team Lead Business Development Network Solution beim Dietzenbacher Systemhaus Controlware: „Dies betrifft besonders Nutzer, die aufgrund der geografischen beziehungsweise gebäudetechnischen Anforderungen mit WLAN keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen können.“ Dabei handelt es sich beispielsweise um Nutzer, die Clients auf großen Flächen anbinden wollen, etwa einem Freigelände oder Industrieparks. „Mit WLAN-Systemen ließe sich das jedoch nur durch eine große Anzahl von Access Points realisieren.“ Weitere Punkte führt Joe Wilke an: „Mit 5G kommen auch Charakteristika zum Unternehmenskunden, die oft als Alleinstellungsmerkmale genannt werden. Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und geringe Latenz sind beispielsweise für Anwendungen mit Augmented- und Virtual-Reality- Brillen unerlässlich. Außerdem lässt sich 5G über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg weltweit als Standard nutzen – auch zur Nachverfolgung von Produkten außerhalb des Firmengeländes.“
Sorgfältige Planung
Doch bevor eine Organisation sich für ein privates 5GNetz oder doch lieber ein WLAN entscheidet, ist zwingend eine sorgfältige Analyse erforderlich. „Bezüglich Funktionalität und Performance gibt es durchaus Überlappungen zwischen WiFi und mobilfunkbasierten Funklösungen“, sagt Marcus Giehrl. „NTT empfiehlt, die Auswahl der passenden Funktechnologien immer anhand der unternehmensspezifischen Anwendungsfälle vorzunehmen.“
Um ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis zu erhalten, sollten laut Giehrl Organisationen zudem möglichst mehrere Use Cases einschließlich ihrer Sicherheitsanforderungen berücksichtigen, um auf eine verlässliche Gesamtkostenbetrachtung zu kommen.
Eine sorgfältige Analyse ist auch deshalb wichtig, weil 5G unterschiedliche Anwendungsprofile zur Auswahl stellt. Enhanced Mobile Broadband (eMBB) ist beispielsweise für Bereiche gedacht, in denen Endgeräte hohe Datenraten bei geringer Latenzzeit benötigen, etwa im Bereich Videoüberwachung.
Ultra Reliable and Low Latency Communications (URLLC) wiederum eignet sich dank Verzögerungszeiten im Millisekunden-Bereich für zeitkritische Anwendungen, etwa die Steuerung von autonomen Transportfahrzeugen und von Echtzeitprozessen in einer Fabrik. Massive IoT (MIoT) wiederum ist dafür ausgelegt, eine große Zahl von IoT-Systemen anzubinden, etwa Sensoren an Maschinen. Dies beispielsweise bei Predictive Maintenance und Automatisierung von Prozessen in der Industrie wichtig.
Mit jeder neuen Version der 5G-Spezifikation kommen weitere Profile hinzu. So wurde bereits bei der aktuellen Version 18 Wert auf einen geringeren Energieverbrauch und eine höhere Effizienz der Endgeräte und Netzwerkkomponenten gelegt. Dies kommt auch IoT-Systemen zugute, die in Smart Factories oder der Logistik eingesetzt werden. In Version 19 des 5G-Standards soll der Aspekt Umweltverträglichkeit erneut eine zentrale Rolle spielen, neben Endgeräten mit einer geringeren Komplexität und damit geringeren Kosten.
5G-Anwendungsprofile
Welch wichtige Rolle die Wahl des passenden 5G-Anwendungprofils spielt, betont Claudius Noack von Lufthansa Industry Solutions: „Wir haben bereits erlebt, dass Campusnetze ohne vorherige Festlegung des konkreten Anwendungsfalls aufgebaut wurden. Später stellte sich dann heraus, dass die technischen Anforderungen des Use Cases nicht mit den technischen Gegebenheiten des Netzes übereinstimmten. Dies unterstreicht die enorm wichtige Rolle einer klaren Definition des Nutzungsszenarios bereits in der Planungsphase“, so der Fachmann. Ebenso viel Sorgfalt erfordert die Auswahl des Typs und des Betriebsmodells des 5G-Campusnetzes. Die 5G Alliance for Connected Industries and Automation (5G Acia), eine Sparte des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), und das 3rd Generation Partnership Project (3GPP) haben mehrere Optionen definiert. Die wichtigsten sind:
Standalone Non-Public Network (SNPN): Dies sind komplett autonome private 5G-Netze. Sie kommen vor allem für Anwender in Betracht, die hohe Anforderungen an Latenzzeiten, Sicherheit und Kontrolle über ihre Daten stellen. Bei Bedarf lässt sich ein Zugang zum öffentlichen 5G-Netz einrichten. Allerdings erfordert der Betrieb eines SNPN einen hohen Aufwand, vor allem deshalb, weil nicht jede IT-Abteilung über Know-how im Bereich Mobilfunk verfügt. Hinzu kommen die Kosten für den Aufbau, Betrieb und die Wartung der Infrastruktur.
Non-Public Networks mit Anbindung an das 5G-Netz eines Providers: Hier gibt es mehrere Spielarten. So können der Provider und der Betreiber des privaten 5GNetzes die RAN-Komponenten gemeinsam nutzen. Das Frequenzspektrum stellt der Betreiber des öffentlichen Mobilnetzes bereit. Die Daten, Authentifizierungsdienste und User-Database bleiben jedoch auf dem Campus. Bei einer weiteren Variante werden auch die 5G Control Plane und Nutzerverwaltung zum Serviceprovider verlagert. Die Vorteile solcher Ansätze sind geringere Kosten und eine Entlastung der eigenen IT- und Kommunikationsfachleute. Dem steht eine eingeschränkte Kontrolle über die Infrastruktur und eigenen Daten gegenüber
Nutzung von Network Slices im Mobilfunknetz eines Providers: Dies ist der Ansatz bei Services wie Vodafone Campus Flex Exclusive. Der Nutzer erhält im 5G-Netz des Providers ein eigenes Campus-Netz. Das heißt, ein Unternehmen muss keine 5G-Systeme vorhalten, abgesehen von den Endgeräten. Betrieb und Wartung fallen in die Verantwortung des Providers. Allerdings werden Firmendaten im öffentlichen 5G-Netz gespeichert und verarbeitet. „Aus Sicht der Netzbetreiber stellen bereits Slices eines öffentlichen 5G-Netzes ein privates 5G-Netz dar“, erläutert Marcus Giehrl. „NTT positioniert sich im Markt ganz klar mit 5G-Campusnetzen, die zu 100 Prozent in der Hoheit und unter der Kontrolle des Kunden liegen. Beide Sichtweisen und alle graduellen Abstufungen, die zwischen einem einfachen 5G Slice und einer 100-prozentigen 5G-Campuslösung möglich sind, können je nach Anwendungsfall Sinn machen.“
Praxisbeispiel: Dual-Slicing bei Eurogate
In der Praxis bilden sich weitere Mischformen von öffentlichen und privaten 5G-Netzen heraus. Ein Beispiel ist die 5G-Infrastruktur von Eurogate. Das Unternehmen betreibt in Hamburg, Bremen und Bremerhaven Containerterminals. Die Telekom stattet die Hafenterminals mit einem Dual-Slice-Campus-Netz aus.
Dabei versorgt das öffentliche 5GNetz der Telekom Mitarbeiter, externe Dienstleister und Kunden von Eurogate. Hinzu kommt ein rein privates 5G-Netz, das im lokalen 5G-Industriespektrum (3,7 bis 3,8 GHz) betrieben wird und Datenraten von 1,5 GBit/s unterstützt. Über diesen Teil des Netzes laufen Daten getrennt und unbeeinflusst vom öffentlichen 5GDatenverkehr. Das heißt, Eurogate stehen de facto zwei 5G-Frequenzbänder und insgesamt rund 190 MHz Bandbreite zur Verfügung.
Die Grundlage bildet ein CUPS-System (Control and User Plane Separation). Es kombiniert ein 5G-Kernnetz innerhalb des Telekom-Netzes mit einem lokalen User Gateway, das beim Anwender steht, in diesem Fall Eurogate. Das Management der gesamten Infrastruktur, inklusive des Campusnetzes, übernimmt der Serviceprovider. Die Daten von Eurogate verbleiben jedoch ausschließlich auf dem eigenen Campus. Ein weiterer Vorteil des lokalen Gateways: die geringeren Latenzzeiten.
Nicht nur für die „Großen“
Zu den Nutzern der ersten Stunde von privaten 5G-Netzen zählen vor allem größere Unternehmen. Doch das ändert sich, wie Jens Müller von Controlware feststellt: „Für die ersten privaten 5G-Netzwerkimplementierungen wurden die Systeme von Herstellern bereitgestellt, die bis dato explizit den Mobilfunkbereich belieferten. Diese Komponenten waren schlichtweg zu teuer und daher für einen Einsatz in kleineren Anwendungsgrößen nicht sinnvoll.“ Mittlerweile seien kompakte Systeme verfügbar, die auch für kleine und mittelständische Firmen (KMU) erschwinglich sind.
„Hinzu kommt, dass die Implementierung von privaten 5G-Systemen in den Anfangszeiten technisch sehr anspruchsvoll war und zum Teil heute noch ist“, so Müller. Auch hier hätten sich Veränderungen ergeben: „Unternehmen müssen sich nicht mehr allein um P5G-Infrastrukturen, deren technologische Ausprägungen, die Implementierung sowie den Betrieb kümmern, sondern können Systemhäuser, Systemintegratoren und IT-Dienstleister zur Unterstützung hinzuziehen.“ Besonders interessant seien für kleinere Unternehmen private 5G-Netze, die als Managed Service angeboten werden.
Auch für Claudius Noack von Lufthansa Industry Solutions hängt der Einsatz von privaten 5G-Netzen nicht von der Firmengröße ab: „Vielmehr ist die physikalische Größe, also Fläche des Unternehmens entscheidend. Für ein kleines Bürounternehmen mag es keinen Anwendungsfall für ein privates Mobilfunknetz geben. Für Organisationen mit einer Fläche von über 3.000 Quadratmetern hingegen sicherlich.“
Den passenden Partner wählen Angesichts des nach wie vor eklatanten Mangels an IT und Telekommunikationsexperten in der gesamten DACHRegion ist allerdings speziell für kleinere und mittelständische Unternehmen schwierig, in Eigenregie ein privates 5G-Netz aufzubauen und zu betreiben. „Zellulare Netze erfordern Kompetenzen, die von den Unternehmen oder deren Partnern oft erst aufgebaut werden müssen. Das erfordert Zeit und ist insbesondere für kleinere Unternehmen eine Herausforderung“, bestätigt Joe Wilke von Ericsson. „Hinzu kommt, dass die Auswahl an 5G-Endgeräten wie Maschinen, Sensoren und Gateways zwar täglich wächst, aber noch nicht den von Unternehmen gewünschten Stand erreicht hat.“
In die gleiche Richtung geht die Argumentation von Marcus Giehrl von NTT Deutschland: „Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen sind 5G-Campuslösungen typischerweise das Geschäft von Systemintegratoren, da diese sowohl über die Technologiekompetenz im Bereich 5G-Mobilfunk als auch über die Integrationskompetenz in die Unternehmens-IT verfügen.“
„Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen sind 5G-Campuslösungen typischerweise das Geschäft von Systemintegratoren”, Marcus Giehrl, NTT Deutschland
Falltüren vermeiden
Die Expertise der Fachleute von Systemhäusern, Systemanbietern und 5G-Serviceprovidern ist vor allem bei der Planung von privaten 5G-Netzen wichtig, Denn hier treffen die IT- und Mobilfunkwelt aufeinander: „Es ist erforderlich, spezielles Fachwissen in der Planung einzusetzen, das häufig in den IT-Abteilungen fehlt“, so Claudius Noack. Dagegen könne der Anwender durchaus selbst den Betrieb des Campusnetzes übernehmen.
„Es ist erforderlich, spezielles Fachwissen in der Planung einzusetzen, das häufig in den IT-Abteilungen fehlt“,
Dr. Claudius Noack, Lufthansa Industry Solutions
Als weiteren potenziellen Problempunkt sieht Noack, dass etliche Angebote im Bereich private 5G-Netze zu kostspielig sind. Das schreckt potenzielle Nutzer ab. „Dabei kann ein 5G-Campusnetz sogar kostengünstiger sein als eine vergleichbare WLAN-Infrastruktur.“
Auf einen weiteren Aspekt weist Jens Müller von Controlware hin: „Die Einbindung der privaten 5G-Netze in die bestehenden Infrastrukturen der Unternehmen ist sicherlich eines der wichtigsten Themen, die bei der Auswahl der Systeme neben der technischen Leistungsfähigkeit, der Interoperabilität von unterschiedlichen Herstellern und der Systemskalierung von Relevanz sind.“
Fazit: Viele Chancen – und viel Beratungsbedarf
Zweifellos bieten private 5G-Netze Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen aus vielen Sparten die Möglichkeit, Prozesse zu digitalisieren, zu beschleunigen und sogar neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Daher ist es keine Überraschung, dass in Deutschland und Österreich derzeit vor allem Unternehmen aus der Industrie, Chemiesparte und Logistik diese Technologie erproben. In der Schweiz zog sich die Freigabe der 5G-Lizenzen länger hin. Daher gibt erst wenige Projekte, etwa bei der stürmsfs ag, die Stahl- und Metall-Servicecenter betreibt.
Doch trotz der Chancen, die private 5G-Campusnetze eröffnen, darf nicht übersehen werden, dass die Planung und Implementierung solcher Netze „nicht ohne“ ist. Zu kostspielige oder nicht passende Komponenten und Betriebsmodelle können schnell dazu führen, dass sich Projekte zu einem Desaster auswachsen. Das lässt sich vermeiden, wenn Interessenten im Vorfeld zusammen mit 5G-Experten Anwendungsszenarien definieren und passgenaue private 5G-Services und Systeme beschaffen.
Natürlich werden in manchen Fällen Geschäftsführer und CIOs gegen Hilfe von außen opponieren. Doch besser eine solide Planung durchführen, auch wenn das Geld kostet, als die Zukunftschancen verbauen, die ein 5G-Campusnetz bietet.
„Interoperabilität ist oft schwierig“
Im Interview Sebastian Scheele, CEO von Kubermatic zu Initiativen wie Open RAN und CampusOS, die die Grundlage für offene, herstellerunabhängige private Campusnetze legen wollen.
Herr Scheele, die meisten Anbieter sehen eine hohe Nachfrage nach 5G-Campusnetzen. Wie bewerten Sie das?
Wir sehen hier großes Potenzial und gehen davon aus, dass die Analysten mit ihren Prognosen richtig liegen. Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Acumen taxiert beispielsweise den globalen Markt für private 5G-Netze im Jahr 2023 auf über 31 Milliarden US-Dollar, bei einer Steigerungsrate von mehr als 42,4 Prozent jährlich.
Wo liegen die technischen Herausforderungen bei Aufbau einer 5G-Campus- Infrastruktur? Etwa in der mangelnden Interoperabilität von System?
Aus unserer Sicht ist in der Tat die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Komponenten oft schwierig. Viele 5GArchitekturen sind zudem kompliziert, weil sie auf den großen öffentlichen Netzen basieren und in kleineren Infrastrukturen viel Overhead erzeugen. Mit Open RAN, also Open Radio Access Network, gibt es einen Ansatz, der das Problem der herstellerspezifischen Netzkomponenten lösen soll.
Wie schätzen sie dieses Konzept ein?
Wir sind gespannt auf die Durchschlagskraft von O-RAN. Dieses offene Funkzugangsnetz ist ein vollständig Cloudnativer, disaggregierter Ansatz für die Bereitstellung mobiler Fronthaul- und Midhaul-Netze. O-RAN am Netzwerk- Edge ist effizient und vielseitig, und das kommt 5G-Anwendungen zugute wie dem autonomen Fahren und dem Internet of Things. Es unterstützt Network Slicing, also das Aufteilen in separate, anwendungsspezifische Segmente, und ermöglicht zuverlässige Firmware-Upgrades „Over the Air“. Kubermatic hat im Rahmen der CampusOS-Initiative, die offene, herstellerunabhängige 5G-Campusnetze schaffen möchte, zusammen mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut ein Netz auf Basis von Kubernetes vorgestellt.
Wie passen Kubernetes und 5G zusammen?
Unsere Kubernetes-Plattform übernimmt die zentrale Orchestrierung und das Management von 5G-Core- Komponenten – verteilt auf unterschiedliche Hardware oder virtualisierte Knoten. Das von Kubermatic unterstützte „Infrastructure-as- Code“-Paradigma hilft bei der Gestaltung von Netzen. Im Gegensatz zu anderen Plattformen ist unsere Kubernetes Platform tatsächlich infrastruktur- und herstellerunabhängig. Sie wurde entwickelt, um den IT-Betrieb von der Infrastruktur bis zur Anwendung zu automatisieren und bietet DevOps-Teams ein intuitives Self-Service-Portal, das in jeder Infrastruktur funktioniert.
Welche Rolle spielt die Cloud in privaten 5G-Netzen, vor allem vor dem Hintergrund der höheren Latenzzeiten, die sich negativ auf Echtzeitanwendungen und den Einsatz von Edge-Systemen auswirken können?
Dies erforschen wir im Rahmen von CampusOS. Entscheidend ist die tatsächliche Latenz, wobei diese pro Komponente einzeln abzuwägen ist. Neben Public Clouds gibt es aber auch die Möglichkeit einer privaten zentralen Cloud. Aus unserer Sicht werden in 5G-Netzen in jedem Fall Edge- Kapazitäten benötigt. Uns beschäftigt vor allem die Frage, welche Komponenten sich auslagern lassen und welche Edge-Ressourcen sich dadurch sparen lassen.
Komponenten und Standards
Wichtige Komponenten:
Radio Access Network (RAN): Ebenso wie bei den öffentlichen 5G-Netzen sind RAN-Komponenten auch bei der lokalen Variante ein Schlüsselelement. Zu den RAN-Komponenten zählen die Antennen und Sendeeinheiten (Indoor, Outdoor). Hinzu kommen die Basisstationen. Sie speisen das Signal in das Netzwerk ein. In Open-RANUmgebungen verteilt sich das Zugangsnetz auf die Radio Unit (RU), Distributed Unit (DU) und Centralized Unit (CU). Die DU und CU übermitteln das digitale Funksignal in das Netzwerk. Beide Systeme lassen sich in virtualisierter Form auf Cloud-Servern betreiben.
5G Core Network (5G Core): Das Kernnetz mit Core-Switches, VPN-Routern und lokalen Edge-Servern ist unter anderem für die Sicherheitsfunktionen sowie die Authentifizierung und das Management der Teilnehmer beziehungsweise Endgeräte zuständig. Außerdem stellt es die Verbindung zu anderen Netzwerken her und aggregiert den Datenverkehr von Endgeräten. Es ist es möglich, die Core-Komponente in eine Cloud auszulagern oder On Premises zu betreiben. Das On-Premises-Modell kommt für Anwender in Betracht, die hohe Anforderungen in Bezug auf Sicherheit, Compliance und kurze Latenzzeiten haben. Dagegen bietet ein Cloud-Ansatz Vorteile wie geringere Kosten, etwa beim Einrichten und Betrieb der Core-Komponente.
Multi Access Edge Computing (MEC): Edge-Rechenzentren beziehungsweisen Rechenkapazitäten am Rand einer privaten) 5G-Infrastruktur. Ihre Aufgabe besteht darin, die Latenzzeiten beim Zugriff auf das 5G-Netz zu reduzieren. Das ist beispielsweise bei der Anbindung von Sensoren, IoT-Systemen, Steuerungen und autonomen Transportsystemen in Fertigungsumgebungen wichtig.
Systemmanagement: Es umfasst das Monitoring des 5G-Netzes und das Netzwerkmanagement (Verwaltung der SIMs, Teilnehmer und Konfigurationen). Das Systemmanagement kann in eine Cloud verlagert werden. Bei Bedarf können auch externe Spezialisten, etwa von Serviceprovidern, IT-Häusern und Systemintegratoren, die private 5G-Infrastruktur verwalten.
User Equipment (UE): Dies können 5G-taugliche Tablets sein, die beispielsweise Mitarbeiter in Kliniken oder der Logistik einsetzen. Eine wichtigere Rolle spielen Sensoren, Aktoren und 5G-Module in vernetzten Maschinen, Kameras und weiteren IoT- oder IIoT-Komponenten (Industrial Internet of Things). Ebenso wie ein privates Smartphone oder Tablet sind die Endsysteme in P5G-Netzen mit SIMKarten oder einer eSIM ausgestattet.
Wichtige Standards und Projekte
Open RAN: Diese Spezifikation will erreichen, dass sich in einem 5G-Netz RAN-Komponenten unterschiedlicher Hersteller verwenden lassen. Zu diesem Zweck definiert Open RAN offene Schnittstellen zwischen den Komponenten des Zugangsnetzes. Außerdem werden Netzfunktionen virtualisiert, ähnlich wie bei Software-Defined Networking in Unternehmensnetzen. Diese Funktionen arbeiten unabhängig von der darunter liegenden Hardware. Mittlerweile führen Anbieter von 5G-Services und -Systemen Praxisversuche mit der Technik durch, etwa die Telekom, Vodafone, O2 Telefónica, Ericsson und Nokia. Auch NTT setzt laut Marcus Giehrl bei der Auswahl seiner Technologiepartner offene Standards wie Open RAN.
CampusOS: Das Leitprojekt will ein technologisch souveränes, herstellerunabhängiges und modulares CampusnetzÖkosystem in Deutschland aufbauen. Anwender sollen Zugang zu einem Technologie-Baukasten und Best Practices erhalten und damit private 5G-Netze einrichten können.
CampusDyna: Dieses Projekt will mithilfe offener 5GCampusnetzwerke Anwendungen in den Bereichen autonome mobile Robotik, Ressourceneffizienz von Produktionsanlagen und zivile Sicherheit von Produktionsstätten entwickeln. Ein Schwerpunkt ist die dynamische Anpassung von Netz- und Anwendungsverhalten, etwa die adaptive Steuerung von lokaler Netzkapazität und Datenvolumen oder Netz- und Anwendungsverhalten.