Medieninstallation

Jam Capsule: In den Fußstapfen der Gebrüder Lumière

In Paris gibt es eine in Europa einzigartige immersive Installation zu erleben: Jam Capsule – Kultur in einer audiovisuellen „Kapsel“: Die Macher, das Atelier JAM, verstehen sich als Szenografen, die mit ihrer Kunst der Inszenierung im Raum mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen. 23 Laser-Projektoren von Epson werfen mit 20.000 Lumen künstlerisch gestaltete Bilder an die Wände, untermalt von sphärischen Klängen.

Immersive Installation in Paris
Immersive Installation in Paris: „Eine sinnliche Entdeckungsreise durch die schönsten visuellen Welten“ (Bild: www.aichberger.de)

In den Fußstapfen der Lumières

Paris ist bekannt für Glamour und Spektakel. Oper, Theater, Kabarett, Chanson. Paris ist aber auch bekannt für Innovation. Zwischen 1855 und 1937 fanden hier insgesamt 6 Weltausstellungen statt. Der von 1899 verdankt die Stadt ihr Wahrzeichen, den Eiffelturm – damals das höchste Bauwerk der Welt. Für Innovation und Spektakel stehen auch die Gebrüder Auguste und Louis Lumière, die unter anderem einen der ersten Filmprojektoren erfanden. Am 28. Dezember 1895 führten sie im Grand Café Capucines gegen Eintrittsgeld einige Kurzfilme vor. Kurz bedeutete wirklich kurz. Die Filme waren zwischen 38 und 49 Sekunden lang. Auf Instagram nennt man das heute „Reels“.

Anzeige

Das Event wird oft als erste kommerzielle Kinovorführung der Welt bezeichnet, was allerdings nicht gesichert ist. Dort soll auch der Kurzfilm „Die Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof von La Ciotat“ gezeigt worden sein, und es hieß dazu, die Zuschauer hätten fluchtartig den Saal verlassen, so realitätsnah sei die Projektion gewesen. Nun, das ist natürlich eine Legende. Geflüchtet werden sie sicher nicht sein, aber hätten sie die Bedeutung des Wortes „immersiv“ bereits gekannt, dann hätten sie ihr Erlebnis bestimmt damit beschrieben.

Kurzfilm „Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat“ von den Gebr. Lumière
Virtual Reality im Jahr 1895/96: Kurzfilm „Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat“ von den Gebr. Lumière (Bild: Foto: Auguste und Louis Lumière, Public Domain, via Wikipedia)

125 Jahre später in derselben Stadt, die auch als „Ville Lumière“ – „Stadt des Lichts“ bezeichnet wird – Der Nachname der Brüder Louis und Auguste ist tatsächlich das französische Wort für „Licht“ –  das Atelier JAM präsentiert ein weiteres innovatives und immersives Spektakel: Jam Capsule.

Die Macher von Jam Capsule verstehen sich als Szenografen. Szenografie ist laut Wikipedia die Kunst der Inszenierung im Raum, meist mehrere Sinne gleichzeitig ansprechend. Jam Capsule wurde erstmalig 2020 auf dem Gelände „Parc de la Villette“ aufgebaut … doch dann kam Covid, und man musste direkt wieder schließen. Seit Mai 2022 hat die Installation auf dem Messegelände „Paris Expo Porte de Versailles“ eine neue Heimat gefunden.

Der Vorführraum von JamCapsule ist ein Oval – 25 m lang und 16 m breit – und allseitig von 9 m hohen Projektionsflächen umschlossen. Bespielt werden die Seitenflächen und der Boden. Die Oberseite des Raums musste aus Brandschutzgründen offen bleiben und kann daher nicht als Projektionsfläche verwendet werden, es wurden allerdings Spiegel an der Decke montiert, um den „Himmel“ dennoch in die Szenografie einzubeziehen.

Gitternetzdarstellung der Installation
Ovale Kapsel 25 × 16 × 9 m: Gitternetzdarstellung der Installation (Bild: Michael von Aichberger)

23 Projektoren, 1.000 m² Projektionsfläche

Eingesetzt werden 23 Laser-Projektoren von Epson mit einer „Helligkeit“ (Lichtstrom) von 20.000 Lumen. 14 davon bespielen die Seitenwände, 9 (3 × 3) den Boden. Die Bilder der Projektoren überlappen sich und sind perfekt justiert; Nähte zwischen den Bildfeldern sind nicht wahrnehmbar. Selbstverständlich wird der Raum mit Surround-Sound beschallt. Vollständig umgeben von Bild und Ton taucht man buchstäblich in die Präsentation ein, wie es der Begriff „immersiv“ ausdrückt (to immerse = eintauchen).

Bis zu 300 Personen können sich im Raum frei bewegen. Sie können sitzen, stehen, gehen oder sogar tanzen. Neben den öffentlichen Vorstellungen können auch Vorstellungen für geschlossene Personengruppen gebucht werden. Auch können die Räumlichkeiten für eigene Events gemietet werden. Bei festlichen Essen können bis zu 200 Personen an Tischen bewirtet werden.

Blick nach oben
Blick nach oben Aus Feuerschutzgründen keine Projektion, sondern
Spiegel
(Bild: Michael von Aichberger)

Für solche Nutzungen werden die Projektionsflächen mit abstrakten, atmosphärischen Inhalten bespielt. Die oft kaleidoskopartigen, animierten Bilder wirken zusammen mit sphärischen Klängen psychedelisch. Für Firmenveranstaltungen stehen neben dem Projektionsraum weitere Räume zur Verfügung. Eine solch ausgefallene audiovisuelle Spielfläche erfordert natürlich maßgeschneiderten Content. Alle Programme für dieses außergewöhnliche Format wurden von den Agenturen der beauftragten Künstler in Zusammenarbeit mit dem Atelier Jam eigens geschaffen.

Die Programme dauern circa 50 Minuten. Es handelt sich nicht um Spielhandlungen, sondern eher um dokumentarische, kulturelle Inhalte mit einem künstlerischen Anspruch oder „eine immersive Ausstellung, die uns auf eine sinnliche Entdeckungsreise durch die schönsten visuellen Welten mitnimmt“ – so die Selbstbeschreibung der Macher.

Programme mit kulturellem Anspruch

Bisher hat JAM Capsule folgende Programme realisiert:

  • „Legacy, der Mut zur Wahrheit“ von Yann Arthus- Bertrand. Yann Arthus-Bertrand ist ein französischer Fotograf, Journalist und Umweltschützer. Der 78-Jährige wurde 1993 durch seinen Bildband „Die Erde von oben“ international bekannt.
  • „Woman“ von Anastasia Mikova & Yann Arthus-Bertrand, versteht sich als „Ode an die innere Stärke, Widerstandskraft und Mut von Frauen rund um den Globus, seien sie reich oder arm, mächtig oder ausgebeutet, in Städten oder auf dem Land lebend“.
  • „On Stage with the Rolling Stones“ von The Rolling Stones, Mercury Studios & Atelier JAM. Eine Reise in die Geschichte der Rock-Musik und ein immersives Erlebnis des legendären Hyde-Park-Konzertes der Rolling Stones von 2013.
  • „Japan, ein anderer Blick“ von Pierre Goismier. Eine Reise ins Herz von Japan in Zusammenarbeit mit NHK, der japanischen Rundfunkanstalt.
  • „Flämische Maler“ von Tom Volf. Dieses Programm dekonstruiert 30 Werke flämischer Maler, setzt sie quasi als Polyptychon neu zusammen und offenbart so nie gesehene Details.
360-Grad Polyptychon
360-Grad Polyptychon: Ein Ausschnitt aus dem Programm „Flämische Maler“ von Tom Volf (Bild: Atelier JAM)

Es geht den Autoren nicht um bloße Effekthascherei, sondern um Vermittlung von Inhalten. Den Künstlern bleibt allerdings selbst überlassen, wie sie die Installation bespielen. Während Pierre Goismier in seinem Programm über Japan das umlaufende Bild und das Bodenbild auch mal abwechselnd nutzt, bespielt Yann Arthus-Bertrand dauerhaft beides.

Bildauflösung auf Augenhöhe mit Meta Quest 3

Die Bildinhalte werden für Boden und Wände in getrennten Dateien gespeichert. Die Bilddaten für die Wand sind 20.338 × 2.276, die für den Boden 4.400 × 7.132 Pixel groß. Diese Bildauflösung klingt nach viel, ist es aber nicht unbedingt. Die Pixel verteilen sich auf die gesamte Projektionsfläche von ca. 1.000 m². Steht man in der Mitte des Raumes, ist man ca. 8 m von der Projektionsfläche entfernt.

Die 2.276 „Zeilen“ der Wandprojektion verteilen sich auf 9 m Wandhöhe. Das entspricht einem Pixel Pitch von 4 mm, was bei dem geringen Betrachtungsabstand doch etwas grob ist. Es ist in etwa die Auflösung einer Meta Quest 3-VR-Brille (2.208 px in der Höhe).

Pixelpitch circa 4 mm
Pixelpitch circa. 4 mm: Einzelne Pixel sind deutlich zu erkennen. (Bild: Atelier JAM)

Als wie „realistisch“ so ein Bild wahrgenommen wird, hängt von den Erwartungen des Betrachters ab. Aber mehr Auflösung würde Jam Capsule sicher gut tun, wo es doch heute kein Problem mehr ist, in 8K oder gar 12K zu drehen … Aber 2024 ist ja nicht das Ende der Geschichte. Was mit Lumière anfing, hört mit Jam Capsule nicht auf. Jam Capsule ist ein weiterer innovativer Meilenstein in der Stadt des Lichts auf dem Weg zum ultimativen immersiven Erlebnis. Und sehenswert ist die Installation allemal.

Anzeige

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.