Nicht zuletzt als Reaktion auf die DIN EN ISO 20109 hat Bosch die DICENTIS-Produktlinie um ein neues Dolmetscherpult erweitert, das in zwei Ausführungen erhältlich ist und sämtlichen Anforderungen der Norm entspricht.
Anlässlich der ISE hat Bosch das neue Dolmetscherpult DCNM-IDESK vorgestellt, das die DICENTIS-Produktfamilie erweitert und gegen Ende 2018 lieferbar sein wird. Das Pult ist in zwei Ausführungen erhältlich, die sich lediglich in einem wichtigen Punkt unterscheiden: Die Variante DCNM-IDESKVID verfügt über einen HDMI-Ausgang, an den sich ein Bildschirm anschließen lässt. Videos, Präsentationen oder ein Live-Kamerabild (H.264-Komprimierung) können gemeinsam mit Audiosignalen (Delay-Anpassung für lippensynchrone Wiedergabe möglich) über die ohnehin angeschlossene Cat-Leitung zugespielt werden. So ist jenseits einer kurzen HDMI-Strippe keine separate Verkabelung für das Bild erforderlich – die Vorteile liegen auf der Hand.
Belastbare Preisinformationen über die beiden Pulte waren bis zum Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Variante mit HDMI-Output nennenswert oberhalb des Schwestermodells angesiedelt sein wird; die Gerüchteküche spricht von 20 bis 25 Prozent.
Die Designer der neuen DCNM-IDESK-Dolmetscherpulte haben ganze Arbeit geleistet: Die Produkte sehen nicht nur schick aus und fühlen sich bei der Bedienung gut an, sondern sind auch übersichtlich gestaltet und aussagekräftig beschriftet. Dem Vernehmen nach erfolgte die Entwicklung in Kooperation mit international tätigen Dolmetscherverbänden sowie Vertretern renommierter Rental-Companies. Weiterhin sind die von Bosch mit dem beliebten DCN Interpreter Desk gesammelten Erfahrungen eingeflossen. Die neuen Single-User-Pulte erfüllen alle Anforderungen der im Dezember 2016 veröffentlichten DIN EN ISO 20109, welche die technische Ausstattung für das Simultandolmetschen zum Thema hat. Die Bosch DCNM-IDESK wurden bereits mit dem iF DESIGN AWARD 2018 ausgezeichnet.
Besonderes Merkmal der Bedienung ist das vertikale User-Interface: „Links rein, rechts raus“, lautet die Kurzformel für zwei Reihen untereinander angeordneter Hardware-Tasten, die links und rechts einen farbigen, in seiner Helligkeit regelbaren TFT-Screen (800 x 480 Bildpunkte) mit einer Diagonale von 7 Zoll flankieren. Hinzu gesellen sich drei flexibel zuweisbare Funktionstasten – darunter ein Button, der dem Redner an dessen Sprechstelle „speak slowly“ signalisiert und ihn darauf hinweist, dass er sein Sprachtempo bitte reduzieren möge. Der Replay-Button ruft den Inhalt eines FIFO-Buffers ab, in welchem die letzten drei Sekunden des Vortrags gespeichert sind. Mithilfe von „Video Select“ kann am Modell DCNM-IDESKVID zwischen Live-Kamerabild und Präsentation umgeschaltet werden – individuell pro Dolmetscherpult.
Anwender mit eingeschränktem Sehvermögen finden am Pult taktile Orientierungsmöglichkeiten und dürften erfreut zur Kenntnis nehmen, dass für die Bedienung kein Touch- Display verwendet werden muss. Auch Dolmetscher mit normalen Sehfähigkeiten müssen im Einsatz dank gut fühlbarer Erhebungen nicht auf die Tasten schauen und können sich somit besser auf Mimik und Gesten der/des Vortragenden konzentrieren.
Die Bedienung der Mikrofontaste kann auf Wunsch eine akustische Rückmeldung („audible feedback“) im Kopfhörer auslösen. Insgesamt drei Kopfhörerausgänge (2 x seitlich links/rechts, 1 x unten) sind vorhanden. Falls gewünscht, lässt sich eine gehörschonende Pegelbegrenzung für die Kopfhörerausgänge aktivieren, wofür sich dem Anwender auf dem Bildschirm eine Auswahlliste gängiger Produkte unterschiedlicher Hersteller präsentiert. Die Liste erscheint, sobald ein Kopfhörer in eine der 3,5-mm-Klinkenbuchsen eingesteckt wird. Ein griffiger Hardware-Pegelsteller ist vorhanden, der Klang lässt sich über zwei Potis (Bass/Treble) mit Rastung in der Neutralposition nach persönlichem Geschmack beeinflussen. Ein Mithörlautsprecher samt Volume- Poti ist für besondere Gelegenheiten ebenfalls an Bord.
Die neuen Bosch Dolmetscherpulte unterstützen bis zu 100 Sprachkanäle, was für alle Aufgaben mehr als ausreichend sein sollte – in der EU werden derzeit 24 Amtssprachen sowie ungefähr 60 Regional- und Minderheitensprachen gezählt. Von den DCNM-IDESK-Dolmetscherpulten werden sieben vorwählbare Relais-Sprachen unterstützt, weshalb auf der linken Seite des Bildschirms sieben Tasten zu finden sind – drei Tasten (A, B und –C–) auf der rechten Seite weisen auf drei Output- Kanäle hin. Parametereingaben lassen sich über einen Push-Endlosdrehgeber tätigen.
Aktuell werden Bezeichnungen auf dem Bildschirm ausschließlich in englischen Begriffen dargestellt; weitere Sprachversionen dürften mit künftigen Firmware-Updates folgen. An der breiten Mic-Taste signalisiert eine grüne LED Bereitschaft – schaltet die Leuchtdiode auf Rot, befindet sich das Mikrofon auf Sendung. Eine entsprechende Farbgebung ist auch auf der kontraststarken Display-Grafik rund um die Uhrzeitanzeige zu sehen. Die mittig angeordnete Mic-Taste wird von einer ebenfalls breiten Mute-Taste und einer Floor/Auto- Relais-Taste (mit Status-LEDs) flankiert. Teil der Ausstattung ist ein NFC-Kartenleser, der Dolmetschern wie Veranstaltungstechnikern das Leben einfacher machen soll: Individuell bevorzugte Konfigurationen lassen sich mit der passenden Karte an jedem beliebigen Pult abrufen, was auch bei einem (unerwarteten) Kabinenwechsel hilfreich sein sollte. Zu sehen sind für den Anwender lediglich die für ihn relevanten Parameter, was eine übersichtliche Handhabung begünstigt. Ein USB-Anschluss auf der Geräteunterseite ist künftigen Verwendungen vorbehalten.
Die separat zu erwerbenden Mikrofone werden über eine proprietäre Steckverbindung (verriegelbar) mit den Dolmetscherpulten verbunden. Zur Wahl stehen ein langer und ein kurzer Schwanenhals (DCNM-MICL mit 480 mm Länge und DCNM-MICS mit 310 mm Länge); das kompakte Bosch Array-Mikrofon DCNM-HDMIC kann nicht angeschlossen werden. Ein DCNM-IDESK-Tabletop-Pult misst 104 x 326 x 168 mm (Höhe x Breite x Tiefe); die Oberfläche neigt sich dem Anwender ergonomisch angenehm in einem Winkel von 30 Grad entgegen. Das Gewicht von 1.500 Gramm trägt zu einem rutschsicheren Stand auf Tischoberflächen bei. Für den Transport hat Bosch passende Koffer (DCNM-TCIDESK) im Programm.
DICENTIS setzt auf die von Bosch mit dem Namen OMNEO (AES 67 und AES 70/OCA) bedachte Software-Architektur, die auf TCP/IPTechnologie und somit auf offenen Standards basiert und neben der Übertragung von Steuerdaten Protokolle wie Dante von Audinate unterstützt – im Gegensatz zu proprietären Verfahren ohne Frage ein zukunftsweisender Ansatz, zumal das Remote-Dolmetschen, bei dem Dolmetscher zu Hause oder in einem Mietstudio fern des Geschehens per VPN-Tunnelung aktiv werden, stetig zunimmt. Als Neuerung lassen sich einzelne Dante-Kanäle aus dem Stream extrahieren oder in Letzteren einbinden. Bei einer großen Konferenz würden sich auf diese Weise beispielsweise die gedolmetschten Sprachen sowie die Mikrofonsignale der Redner separat in einem OB-Van aufzeichnen lassen.
Die Verkabelung der DCNM-Dolmetscherpulte erfolgt wie innerhalb des Bosch-Systems üblich mittels RJ45-Buchsen per Daisy Chaining – die Topologie ist flexibel und skalierbar. Sicherheitsbewusste Anwender können einen Ring (Redundanz) bilden. Dieser muss nicht unbedingt am zentralen DCNM-APS2 (siehe unten) geschlossen werden, sondern kann auch in einem Trunk mit lokal vorhandenen Bosch DCNM-PS2 Powering Switches gebildet werden. Die Units sind „hot-plugable“, können also im laufenden Betrieb an eine bestehende Kette angedockt werden.
In Festinstallationen kann man dank TCP/IP-Unterstützung auf handelsübliche PoESwitches (100 Mbps oder 1 Gbps) und die im Gebäude vorhandene Netzwerkinfrastruktur zurückgreifen. Auch Komponenten wie beispielsweise über IP adressierbare Dome-Kameras lassen sich einbinden. Sind unterschiedliche Räume mithilfe von DICENTIS verbunden, spricht Bosch von einem „Passive Room Coupling“.
Ein cleveres Helferlein zur Verlängerung von Daisy-Chain-Aufbauten ist das kompakte DCNM-CBCPLR Modul (CB für Cable, CPLR für Coupler), das sich mit ein wenig handwerklichem Geschick mit einem externen Steckernetzteil (48 Volt, 3 Ampere) verbinden lässt und dann als dezentrale Speisung dient. Innerhalb eines Trunks lassen sich maximal zwei DCNM-CBCPLR einsetzen.
Für den Betrieb des Bosch-Systems sind der zentrale DCNM-APS2 DICENTIS Audio Powering Switch (Audioprozessor-Hardware mit 2 x XLR-In/Out, integriertem Ethernet-Switch und Stromversorgung) sowie ein Server-PC erforderlich, wobei Letzterer vorzugsweise mit Windows Server 2012 oder Windows Server 2016 zu betreiben ist und für den 24/7-Betrieb ausgelegt sein sollte. Es bietet sich an, einen Industrie-PC mit 1 HE permanent gemeinsam mit dem DCNM-APS2 in ein 19″-Rack einzubauen, da Software-Lizenzen per Request-File fest an einen bestimmten Rechner gekoppelt sind. Am Einsatzort einfach kurz den Techniker- Laptop anzuschließen führt nicht zum Ziel, sofern vorab keine Lizenzübertragung auf das Gerät stattgefunden hat. Ist ein Server-PC mit Lizenzen vorhanden, lässt sich ein Laptop als Client andocken.
Mithilfe von kostenpflichtigen Software- Paketen lassen sich DICENTIS und die DCNM-IDESK- Pulte elegant vom PC aus konfigurieren/ überwachen/fernsteuern. Wesentliche Funktionen können auch ohne Rechner direkt an der Hardware eingerichtet werden; die Möglichkeiten mit Software-Paket sind allerdings deutlich umfangreicher. Die Dolmetscherpulte werden von der DICENTIS System server software license (DCNM-LSYS) ab Version 3.0 erkannt. Weiterhin angeboten wird die DICENTIS Simultaneous interpreting license (DCNM-LIN), mit deren Unterstützung sich die Pulte umfassend vorbereiten sowie im Einsatz überwachen und fernsteuern lassen. Die DICENTIS Dante software license (DCNM-LSDANTE) schließlich wird benötigt, um einzelne Sprachkanäle an Dante-Devices von Drittanbietern weiterzuleiten oder von diesen zu übernehmen.
Für die nähere Zukunft sind laut Thomas Leonard (Bosch Security Systems, Business Development and Key-Account) diverse Funktionserweiterungen geplant, die sich über Firmware- Updates in die Dolmetscherpulte einspielen lassen. Anwender werden per Newsletter informiert, sobald ein Release verfügbar ist. Die Updates lassen sich von Nutzern in eigener Regie über den Server-PC bewerkstelligen. In Kürze verfügbar sein werden Funktionen wie „aktuelle Zahl der Zuhörer“, „Wahl zwischen Video- und Presentation-Stream“ oder „Textnachricht an den Dolmetscher“ und „External Phonecall“. Die Updates werden sukzessiv ausgerollt; vollständig soll das Feature-Set im Jahr 2019 mit der Firmware-Version 3.2 sein.
Das Bosch DICENTIS-System ist über die Jahre hinweg kontinuierlich gewachsen: Bei der Einführung im Jahr 2013 („DCN multimedia“, Bericht in PROFESSIONAL SYSTEM, Ausgabe 5.2013) waren zunächst die zentrale Technik sowie die 7″-Multimediaeinheiten verfügbar. Die Produktfamilie wurde später durch weitere Hardware-Komponenten erweitert, darunter eine 4,3″-Ausführung als Auftischsprechstelle und drei unterschiedlich parametrisierte Diskussionseinheiten.
Mit dem Neuzugang DCNM-IDESK und der Variante DCNM-IDESKVID ist die „Multimedia- Serie“ nun (fast) komplett: Eine sinnvolle Ergänzung wären Einbaulösungen (Flush Mount), wobei man mit einiger Sicherheit davon ausgehen darf, dass bei Bosch bereits an derlei Lösungen gearbeitet wird – entsprechende Projektausschreibungen wird man sich kaum entgehen lassen wollen. Es dürfte in diesem Zusammenhang übrigens nicht damit getan sein, die Elektronik einfach in andere Gehäuse zu packen: Der NFC-Kartenleser macht EMV-Tests erforderlich, und eine CE-Zertifizierung ist ebenfalls vonnöten. Offizielle Statements zum Einbauthema gibt es von Bosch derzeit nicht.
Ein schickes und dabei sinnvolles Design sowie eine flexibel skalierbare Topologie (eventuell unter Nutzung bestehender IT-Infrastruktur) sprechen ebenso für die neuen, in der Nomenklatur mit einem zusätzlichen „M“ gekennzeichneten Bosch Dolmetscherpulte wie der Umstand, dass sich bis zu 100 Sprachen, mehrere Videofeeds, Steuerdaten und die benötigte Spannung über ein einzelnes Netzwerkwerkkabel transportieren lassen.
Mit der hohen möglichen Sprachenzahl hat Bosch gegenüber anderen Marktteilnehmern derzeit die Nase vorne, und das vertikale User-Interface sowie die drei frei programmierbaren Buttons sind bislang Alleinstellungsmerkmale. Die Identifikation über NFC ist unter namhaften Wettbewerbern auch bei einem US-amerikanischen Hersteller zu finden. Addiert man zu den Hard-Facts die Beliebtheit hinzu, welcher sich die langjährig etablierten Bosch DCN Interpreter Desks in der Branche erfreuen, sollte einem kommerziellen Erfolg des nun zum „DICENTIS-Interpreter- Solution-System“ erweiterten Konzepts nichts im Wege stehen.