Audio: Modernisierung der AV-Technik im Deutschen Bundestag

Neue Beschallung im Deutschen Bundestag

1999 zog der Deutsche Bundestag in das historische Reichstagsgebäude – ausgestattet mit zur damaligen Zeit wegweisender Konferenz- und Medientechnik. Nun wurde die audiovisuelle Kommunikationstechnik innerhalb von fünf Jahren einer umfassenden Modernisierung unterzogen.

Glasdecke(Bild: Pixabay)

Inhalt dieser Case Study:

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Er war spektakulär, der Umzug des Bundestags 1999 in das historische Reichstagsgebäude des wiedervereinten Deutschlands. Außen und innen renoviert und mit einer wegweisenden Konferenz- und Medientechnik ausgestattet, setzte er damals Maßstäbe. Audioseitig wurden sämtliche Leitungsführungen, Mischpulte, Signalverteiler und sogar die Mikrofone digital ausgelegt. Im letzten Jahrtausend war dieses Konzept eine echte Ausnahme in der Konferenzwelt, die mit Blick auf die außerordentlich langen Kabelwege in dem Gebäude eine sehr sinnvolle Maßnahme war.

Seit der technischen Erstausstattung sind nun zwei Jahrzehnte vergangen. Gemessen am Alter des Gebäudes mag das kurz erscheinen, für aktuelle Technik steht diese Zeitspanne hingegen für mindestens zweimalige Erneuerung. Wie ist das Technikteam des Bundestags mit diesem ständigen Drang nach technischer Modernisierung umgegangen, in einem Gebäude mit strengsten Denkmalschutzbestimmungen und Sicherheitsauflagen? Es war weniger eine extravagante Systementscheidung oder ein kompletter Systemwechsel. Vielmehr hat das Haus über die Jahre eine Strategie der Weiterentwicklung gefahren, die den durchgängigen Betrieb sichergestellt und die Systemtechnik nach wie vor an die aktuellen Entwicklungen angepasst hat.

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In fünf großen Schritten erneuert

Innerhalb von fünf Jahren hat das Haus unter der Leitung von Christian Pranger, Sachbereichsleiter Konferenz- und Medientechnik, Referat IT 3 – Kommunikationstechnik des Deutschen Bundestags, fünf große Anpassungen vorgenommen. Sie reichen von der Erneuerung der beiden digitalen Mischpulte, über eine Flexibilisierung der Mikrofonanschlussmöglichkeiten und neuer Dolmetschertechnik bis hin zu einer neuen Mediensteuerung und schließlich einer neuen digitalen Signalverteilung. Die Erstausstattung beinhaltete zwei CANTUS-Mischpulte des Berliner Herstellers Stage Tec, die in den beiden Regien des Plenarsaals installiert waren. Sie gehörten damals mit zu den ersten großen Digitalpulten und zeichneten sich durch eine enorme Flexibilität aus. Das zugrundeliegende Konzept, Mischpult und Audio-Signalverteiler miteinander zu verzahnen, war damals eine bahnbrechende Neuheit. Sie ermöglichte die Abkehr des Systemgedankens aus analogen Zeiten hin zu einem Audionetzwerk mit integrierter Mischtechnik. Die Signaleingänge des digitalen Routers NEXUS waren gleichzeitig die Mischpulteingänge der CANTUS- Konsolen, das somit in einem verteilten Netzwerk arbeitete.

AURATUS-Mischpult im Zusammenspiel mit der Siemens S7-Steuerung
Das heutige AURATUS-Mischpult im Zusammenspiel mit der Siemens S7-Steuerung
in einer der beiden Regien des Plenarsaals
(Bild: Stage Tec)

Nach über 15 Jahren Betriebsdauer waren diese beiden Pulte die ersten Komponenten, die ersetzt werden mussten. „Wir haben den Erneuerungsprozess nach Ersatzteilversorgung, Bauteil-Abkündigungen und Serviceumfang priorisiert“, erläutert Christian Pranger die Herangehensweise. „Im Grunde gab es kaum neue Anforderungen an die Mischtechnik; wir waren mit CANTUS und dem zugrunde liegenden Konzept sehr zufrieden.“ Nur mussten jetzt halt neue, aktuelle Mischpulte her, zu denen noch lange Ersatzteile lieferbar sein werden. Die Wahl fiel auf zwei AURATUS-Pulte von Stage Tec, die ebenfalls in den Signalrouter NEXUS integriert sind.

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Steckfeld für Wahlumbauten

Im langjährigen Betrieb hat sich gezeigt, dass die Konferenztechnik außerordentlich flexibel eingesetzt werden muss. Zum Beispiel wird der Plenarsaal für die Wahl des Bundespräsidenten komplett leergeräumt und ohne Tische mit verketteten Stühlen eng bestuhlt, um den über 1.200 Mitgliedern der Bundesversammlung Platz zu schaffen. Bei jedem Umbau ergeben sich völlig neue Mikrofonstandorte. Da in dem Gebäude nichts provisorisch verkabelt werden darf, existiert schon von Beginn an eine Vielzahl von Mikrofon-Anschlusspunkten. Insgesamt 250 mögliche Anschlüsse sind vorhanden, die auf die 140 digitalen Mikrofoneingänge des Audiorouters gesteckt werden können. Um dieses Patchen zu vereinfachen, integrierte Christian Pranger ein neues Ghielmetti-Steckfeld. Es verteilt die 250 ankommenden Signalleitungen auf die 140 Signaleingänge des Audiosystems. Da es auch zentral im Geräteraum installiert ist, benötigte es kaum neue Verkabelung und war zügig, nahezu im laufenden Betrieb, eingebaut. Die relevanten Kabelstrecken vom Geräteraum in den Plenarsaal sind nach wie vor die bei der Erstausstattung verlegten Digitalkabel. Sie zu erneuern wäre auch ein immenser Aufwand, da aus Sicherheitsgründen und aufgrund des Denkmalschutzes in den öffentlichen Bereichen kein Doppelboden und keine frei zugänglichen Kabelschächte vorhanden sind.

CANTUS
CANTUS: Zwei dieser Mischpulte – in kleinerer Ausführung – wurden nach über 15 Jahren Betrieb durch AURATUS-Mischpulte ersetzt. (Bild: Stage Tec)

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Infrarot-Standards vereinfachen Dolmetschertechnik

Die Original-Dolmetschertechnik hatte damals der Hersteller Siemens geliefert, der sich inzwischen aus diesem Geschäftsbereich zurückgezogen hat. Damals musste man ein System aus einer Hand kaufen, da es an Hersteller-übergreifenden Standards mangelte. Das hat sich heute geändert. Der Bundestag kam über eine produktneutrale Ausschreibung an ein neues, gemischtes System. Da ein Teil der Infrarotstrahler sehr klein sein musste, fiel die Entscheidung auf den Hersteller Televic und sein Produkt Aladdin, während die Dolmetschersprechstellen und deren Zentrale von Beyerdynamik stammen. Bei einem weiteren Teil der Infrarotstrahler spielte die Baugröße keine Rolle, so dass es hier vor allem auf die Sendeleistung ankam. Diese Strahler wurden von Bosch geliefert. Die Empfänger können dank der Normierung der InfrarotÜbertragung nun von beliebigen Herstellern stammen.

Der Bundestag hält daher nur noch einen kleineren Teil, nämlich 400 statt der früher vorhandenen 1.200 Empfängern vor und mietet bei großen Veranstaltungen punktuell die nötige Anzahl hinzu. Das kann zum Beispiel die Sitzung der OSZE sein, einer internationalen Veranstaltung mit Dolmetschern für 800 Personen im Saal und 600 weiteren Personen auf der Tribüne. Da solch große gedolmetschte Veranstaltungen rar sind, stellt sich die Verkleinerung der eigenen Anlage als weit wirtschaftlichere Alternative dar. Der Wartungsaufwand hat sich deutlich verringert, und das System ist insgesamt einfacher geworden.

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Steueranlage für richtungsbezogene Beschallung

Das Herzstück der Medien- und Konferenzanlage ist die programmierbare Steuerung, welche die Wortanmeldungen und Redezeiten verwaltet. In der Erstinstallation war dies eine Simatic S5, die inzwischen durch eine S7 ersetzt wurde. Auch hier hat man sich weniger nach neuen Funktionen gesehnt, als vielmehr der Produktabkündigung seitens Siemens vorgegriffen. Trotzdem sind natürlich einige Neuheiten enthalten: Mit der neuen Steuerung konnten die Schalthandlungen deutlich beschleunigt werden, was vor allem Fehlbedienungen vorbeugt. Der Freischaltbefehl für ein Mikrofon ist jetzt in der Hälfte der Zeit möglich, also quasi ohne wahrnehmbare Verzögerung. Gleichzeitig wurde ein neues Feature aufgenommen: Der Präsident kann nun alle Mikrofone abschalten und damit selbst, ohne die Regie informieren zu müssen, jemandem das Wort entziehen.

Eine wichtige Aufgabe der Simatic besteht darin, eine Wortmeldung auf den aktiven Kanalzug des AURATUS- Mischpults und dann über NEXUS auf die Lautsprecher zu schalten. Da es bis zu drei aktuelle Wortmeldungs-Anmeldungen geben kann, sind die Kanäle in drei Farben farbcodiert, sowohl in der S7, als auch im Kanalzug des AURATUS. Sobald der/die Bundestagspräsident/ in jemandem das Wort erteilt, schaltet die Crew in der Regie diesen Mikrofonweg per Mausklick auf den offenen Mischpultkanal. Gleichzeitig, gesteuert von der S7, wird im Audiorouter NEXUS ein vorab definiertes Lautsprecher-Setup geladen und aktiv geschaltet.

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NEXUS mit Pegel-Delay-Matrix

Mit 709 Sitzen ist der deutsche Bundestag heute so groß wie noch nie. Für die Abgeordneten im Saal kann es bei einer Debatte schwierig sein zu erkennen, wer gerade von seinem Abgeordnetenplatz aus eine Frage stellt oder eine Anmerkung macht. Um diese Orientierung zu erleichtern, wurde schon bei der Erstausstattung des Gebäudes eine richtungsbezogene Beschallung installiert. Sie sorgt dafür, dass die Lautsprecherbeschallung für die Abgeordneten aus der Richtung kommt, aus der der Sprecher spricht. Technisch gesehen bedeutet das, dass für jedes Mikrofonsignal genau festgelegt werden muss, aus welchen Lautsprechern es mit welchem Pegel und welchem Delay wiedergegeben werden soll.

Aufgrund der komplexen akustischen Situation im Plenarsaal mussten beim Einmessen der Anlage für jede Mikrofon-/Lautsprecherkombination individuelle Einstellwerte für Pegel und Delay ermittelt werden. Diese Werte sind als Datensätze zusammengefasst in den Nexus-Basisgeräten abgelegt. Die Signalverarbeitung für die richtungsbezogene Beschallung erfolgt auf Basis einer Pegel-Delay-Mischmatrix, welche inzwischen auf den so genannten XDSP-Karten als Standardlösung verfügbar ist.

Simatic S7
Eine Simatic S7 verwaltet als programmierbare Steuerung die Wortanmeldungen
und Redezeiten.
(Bild: Stage Tec)

Als Sonderprogrammierung für dieses Projekt wurde von Stage Tec eine dynamische Aussteuerung dieser Mischmatrix entwickelt und implementiert. Sie lädt die Parameter der Mischmatrix aus den hinterlegten Datensätzen, und zwar in Abhängigkeit davon, welche Mikrofone von der S7-Steuerung aktuell freigeschaltet sind.

Das bei der Originalausstattung installierte NEXUS lief unter dem Betriebssystem Matrix 4 aus dem Jahr 1993. Nach über zwanzig Jahren hat Stage Tec im Mai 2017 die Abkündigung dieses Betriebssystems und der darunter laufenden Systembestandteile bekanntgegeben.

Damit war auch für den Bundestag klar, dass NEXUS erneuert und auf das aktuelle Betriebssystem Matrix 5 umgestellt werden musste. Grundsätzlich wäre eine Überarbeitung des Bestandssystems möglich gewesen. So hätte man einige der Modulkarten weiter verwenden können. Allerdings hatte sich auch hier die Technik so stark verändert, dass der vollständige Ersatz der fünf NEXUS Basisgeräte durch neue Matrix-5-Systeme vorteilhafter und langlebiger war. Noch dazu, da es auch einige Bauteilabkündigungen der verwendeten Karten gab. Durch diesen Schritt wurde die Miniaturisierung und Steigerung der DSP-Leistung der letzten Dekaden deutlich: Anstelle der 63 XDSP-Karten des alten Systems benötigt das neue Matrix-5-System mit sechs Karten nur gut ein Zehntel. „Wir haben viele Vorteile durch die Erneuerung bekommen, was die Betriebssicherheit, Support, Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Funktion angeht. Das System ist heute leistungsfähiger und kompakter“, kommentiert Christian Pranger. Die Programmierung der Richtungsbeschallung konnte dabei natürlich in das neue System portiert werden.

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Noch viele kleine Schritte zwischendurch

In denkmalgeschützten Gebäuden ist es üblich, die Beschallung möglichst unsichtbar in die Architektur zu integrieren. Bei einem Saal, in dem das gesprochene Wort und dessen Sprachverständlichkeit im Vordergrund stehen, ist dies eine besondere Herausforderung. Im großen Sitzungssaal des Reichstags sind nur zwei Doppelhelix und Halbampeln über dem Präsidenten sichtbar. Alle anderen 308 Lautsprecher wurden versteckt untergebracht. Eine Besonderheit ist dabei die Beschallung der ersten Tribünenreihe. Christian Pranger hat sich hier für einen flexiblen Array-Lautsprecher mit dem passenden Namen „Anakonda“ des Herstellers K-Array entschieden, der wie ein zwei Meter langer Schlauch unten an der Brüstung installiert werden konnte. Er erhöht in der ersten Reihe jeder Tribüne die Sprachverständlichkeit nochmals und ist ebenfalls in die Richtungsbeschallung eingebunden.

Eine absolute Besonderheit waren 1999 die digitalen Mikrofone an den Abgeordnetenplätzen. Sie kamen zum Einsatz, um die Störanfälligkeit der langen Mikrofonkabelwege zu minimieren. Das Mikrofonsignal wurde direkt am Mikrofon digital gewandelt und dann über die lange Kabelstrecke bis zum Maschinenraum stabil übertragen. In der Erstausstattung kamen digitale Mikrofone der ersten Stunde zum Einsatz, die MCD 803 von Beyerdynamic, die über eine speziell dafür angepasste Digitalschnittstelle an NEXUS angeschlossen waren.

K-Array Anaconda
K-Array Anaconda – dieser flexible Array-Lautsprecher
von K-Array wurde in der ersten Tribünenreihe
wie ein zwei Meter langer Schlauch unten an der
Brüstung installiert.
(Bild: K-Array)

Die alten Mikrofone, die von Beyerdynamik schon lange nicht mehr produziert werden, ersetzt das Technikreferat des Bundestags schrittweise gegen Neumann KMS 104, deren Schnittstelle dem heutigen AES42-Standard entsprechen. Momentan sind bereits 80 der 150 Mikrofone auf Neumann umgestellt. Zu den installierten Neuerungen der Medientechnik gehören mehrere Induktionsschleifen für Hörgeschädigte (die Induktionsschleifenverlegung wurde inzwischen normiert) sowie die Medienwände hinter der Regierungs- und Bundesratsbank, die eine größere Transparenz auch für die Besucher einer Sitzung bieten. Die LCD-Wand aus 3×3-LCDModulen mit einer resultierenden Stegbreite von nur 3,5 mm zeigt im Alltag die Rednerliste, die Dauer der Rede und die Tagungsordnungspunkte. Sie wird bei Sonderveranstaltungen aber auch für Fotos, Logos oder andere Full-HD-Signale eingesetzt. In dem vergleichsweise hellen Saal bewähren sich die Module des Herstellers eyevis mit ihrem hohen Kontrast von 3.000:1 und einer Helligkeit von 700 cd/m².

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Zwischen Beständigkeit und Moderne

Das Bundestagsgebäude ist nicht nur Sitz und Tagungsraum des Parlaments, sondern ein Konferenzzentrum mit 60 Räumen. Es muss ständig betriebsfähig sein. Selbst bei den Umbauten, dem Ersatz des Matrix-4-NEXUS durch ein neues oder auch dem Austausch der digitalen Mischpulte, musste die Betriebsfähigkeit innerhalb von fünf Tagen gewährleistet sein. Aus dieser Situation heraus ist die Strategie der stetigen Weiterentwicklung und vorausschauenden Erneuerung entstanden. Der Umbau der digitalen Audiokreuzschiene ist die aktuellste Systemerneuerung, aber sicher nicht die letzte. Mit der Maßgabe, dass alle Komponenten stets noch mehrere Jahre Support haben und bei Inbetriebnahme für mindestens zwei Legislaturperioden einsatzfähig bleiben sollen, bleibt auch in Zukunft noch viel für das Technikteam zu tun.

Es sind übrigens viele technische Berufsfelder im Bundestag angesiedelt: Veranstaltungstechniker und IT-Techniker sind nur zwei davon, und das Technikteam soll noch weiter vergrößert werden. Der Arbeitsplatz ist jedenfalls außergewöhnlich: Platziert im historischen Gebäude und inhaltlich immer am Puls der Zeit, mit ständigem technischen Wandel und modernster Technik.

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