Sicherheit & AV: Medientechnik in Justizgebäuden

OLG Stuttgart – Mehr Sicherheit im Neubau des Prozessgebäudes in Stuttgart-Stammheim

Medientechnik nach Maß gehört im neuen Prozessgebäude des OLG Stuttgart fest zum Sicherheitskonzept und vereinfacht die Arbeit der Justiz.

OLG Stuttgart-Stammheim(Bild: Jörg Küster)

Inhalt dieser Case Study:

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Seit April 2019 verhandeln die Staatsschutzsenate des Oberlandesgerichts Stuttgart in einem neuen Prozessgebäude. Das nach Plänen von Müller Reimann Architekten (Berlin) errichtete Bauwerk befindet sich in unmittelbarer Nähe der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim und ersetzt das 1975 in Betrieb genommene „Mehrzweckgebäude“, das bundesweit vorrangig durch Verfahren gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannt wurde.

Safety first!

Unter Leitung von Vermögen und Bau, Amt Ludwigsburg, wurde in Stuttgart-Stammheim für rund 29 Millionen Euro das derzeit modernste Gerichtsgebäude in Deutschland errichtet. Der monolithisch wirkende Baukörper verfügt über ein weitgehend geschlossenes, massiv ausgeführtes Erdgeschoss mit verputztem Mauerwerk, auf das ein mit Fensterelementen strukturiertes Obergeschoss aufgesetzt ist. Die Wegeführung im Inneren sowie die Raumanordnung sind den komplexen Prozessabläufen geschuldet und garantieren höchstmögliche Sicherheit.

Besucher gelangen nach dem Durchschreiten einer Vereinzelungsdrehtüre, dem Passieren eines mit Röntgenscanner und Metalldetektor ausgestatteten Kontrollbereichs sowie einer gründlichen Leibesvisitation in Foyers, welche den Sitzungssälen vorgelagert sind. Durch Fensterflächen im Obergeschoss strömt Tageslicht ein – das helle Ambiente mit zeitgeistigem Farbkonzept überrascht und unterscheidet sich deutlich von der oft als beklemmend beschriebenen Atmosphäre im alten Mehrzweckgebäude.

Kernelemente des neu errichteten Prozessgebäudes sind zwei für Hochsicherheitsverfahren geeignete Gerichtssäle: In Gerichtssaal 1 finden neben Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern, Nebenklägern, Zeugen und Sachverständigen bis zu 24 Angeklagte, 90 Besucher und die Presse Platz. Der kleinere Gerichtssaal 2 ist für bis zu neun Angeklagte und 62 Besucher ausgelegt.

Die großvolumigen Prozesssäle verfügen trotz ihrer Lage im Inneren des Gebäudes über Tageslicht, das durch in die Dachebene integrierte, umfangreich gesicherte Oberlichter einfällt. Beiden Sälen gemeinsam sind großflächige, zwei Meter hohe Sicherheitsscheiben, welche sowohl die Angeklagten als auch Besucher und Presse von den übrigen Prozessbeteiligten trennen.

Die Sitzungssäle sind zeitgleich unabhängig voneinander nutzbar, so dass zwei Gerichtsverfahren parallel verhandelt werden können. Die Medientechnik ermöglicht bei großem Besucherandrang nach einer Sicherheitsabfrage die Ton- und Bildübertragung von einem Saal in den anderen.

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Medientechnische Planung

Mit der Planung der medientechnischen Ausstattung und der Informations- und Kommunikationstechnik war die Günthner Ingenieure GmbH aus Leinfelden-Echterdingen befasst; federführend Verantwortung als Projektleiter trugen Dipl.-Ing. Jens Birkenstock und Dipl.-Ing. Christoph Hahlweg. Die Elektroplanung oblag dem Planungspartner Kienle Beratende Ingenieure GmbH aus Ostrach. Als Errichter wurde die Aveo Konferenzsysteme GmbH aus Wolfegg aktiv.

OLG Stuttgart-Stammheim
Besucher gelangen nach dem Durchschreiten einer Vereinzelungsdrehtüre, dem Passieren eines mit Röntgenscanner und Metalldetektor ausgestatteten Kontrollbereichs sowie einer gründlichen Leibesvisitation in das Gebäude. (Bild: Jörg Küster)

„In der Vergangenheit haben wir die technische Ausstattung diverser Gerichtsgebäude, Leitstellen, Polizeipräsidien und Justizvollzugsanstalten geplant – dass derart hohe Sicherheitsanforderungen wie in Stuttgart-Stammheim zu beachten sind, ist die absolute Ausnahme“, erklärt Werner Linder, langjähriger Projektleiter bei der Günthner Ingenieure GmbH. Zu berücksichtigen waren über das Übliche hinaus Anregungen und spezielle Anforderungen, die von im Justizwesen bewanderten Praktikern (Justiz, BKA, LKA, Polizei, Feuerwehr, Landesamt für Verfassungsschutz) an die Günthner Ingenieure GmbH herangetragen wurden.

Mit den Planungen wurde bereits 2009 begonnen, wie Werner Linder berichtet: „Über den langen Zeitraum hinweg gab es Regierungswechsel in Baden-Württemberg, und mit Partner-Bundesländern getroffene Absprachen standen zwischenzeitlich auf dem Prüfstand.“ Angesichts der außergewöhnlich langen Zeitspanne war bei der Planung Voraussicht vonnöten: „Wir haben frühzeitig eine digitale AV-Übertragung in Full-HD spezifiziert, was seinerzeit geradezu revolutionär erschien – die Infrastruktur hatten wir sogar bereits für 4K ausgelegt“, so Linder. Dipl.-Ing. Christoph Hahlweg ergänzt: „Im Lauf der Zeit kamen neue Technikkomponenten hinzu, und von der Nutzerseite wurden uns aktualisierte Anforderungen übermittelt. Die digitale Aktenführung beispielsweise besitzt inzwischen große Bedeutung, was zu Beginn der Planungsarbeiten in dieser Dimension überhaupt noch nicht absehbar war. Für die Richterbank etwa hatten wir anfangs nur ein einzelnes Anschlussfeld für einen Laptop vorgesehen; heute ist für jeden Richterplatz ein eigener PC verfügbar, mit dessen Hilfe auf die digitalen Prozessakten zugegriffen werden kann.“

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Sprechen

Die beiden Sitzungssäle machen mit ihrer schieren Dimension auf sich aufmerksam: Das vorhandene Platzangebot wirkt großzügig, und die Oberlichter sowie das omnipräsente helle Eichenholz tragen maßgeblich dazu bei, dass die Atmosphäre nicht als „drückend“ empfunden wird. Der Gesamteindruck ist sachlich.

Aufgrund der Größe der Säle ist der Einsatz einer Diskussionsanlage unabdingbar. Hinzu kommt, dass die oft als gewaltbereit geltenden Angeklagten „hinter Glas“ sitzen, weshalb die Kommunikation mit den Verteidigern über Sprechstellen erfolgt. Eine Alternative zur elektroakustischen Kommunikation bieten in die Scheiben eingearbeitete Sprechöffnungen.

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Großflächige, zwei Meter hohe Sicherheitsscheiben trennen sowohl die Angeklagten als auch Besucher und Presse von den übrigen Prozessbeteiligten. (Bild: Jörg Küster)

Die Diskussionsanlage basiert auf einem CDSVAN All-in-one-Konferenzsystem von Brähler, das vom Hersteller für den Einsatz in Stuttgart-Stammheim speziell modifiziert wurde. Um insbesondere vertrauliche Gespräche zwischen Verteidigern und ihren hinter der Glasscheibe sitzenden Mandanten zu ermöglichen, lassen sich innerhalb des Systems Intercom-Gruppen einrichten, die nicht von anderen Teilnehmern mitgehört werden können. Presets sind hinterlegt, die beispielsweise definieren, dass Angeklagter 1 ausschließlich mit den Verteidigern 1 bis 6 kommunizieren kann – die Sitzordnung ist bei Prozessen im Vorfeld festgelegt. Neben fest implementierten Voreinstellungen sind im System sechs frei programmierbare Presets verfügbar, die von entsprechend geschulten Justizmitarbeitern zusammengestellt werden können.

Dass die Wahl auf Produkte von Brähler fiel, hat einen einfachen Grund: „Andere renommierte Marktteilnehmer, bei denen wir uns nach geeigneten Lösungen erkundigt haben, sahen sich außerstande, die besonderen Anforderungen des OLG Stuttgart mit ihren Produkten zu erfüllen“, sagt Jens Birkenstock und verweist auf die Integration einer mithörsicheren internen Intercom-Funktion in eine klassische Konferenzanlage.

OLG Stuttgart-Stammheim
Im den Angeklagten zugewiesenen Bereich werden aus naheliegenden Gründen fest installierte Sprechstellen eingesetzt, die ohne scharfe Kanten oder lose Kabel auskommen und nahtlos in die Tischoberflächen eingelassen sind. Die Schwanenhalsmikrofone sind besonders robust ausgeführt und lassen sich nicht abnehmen, so dass sie nicht als Waffen zweckentfremdet werden können. (Bild: Jörg Küster)

Die Brähler Sprechstellen im Innenbereich des Gerichtssaals sind als Auftischmodelle (DV9) ausgeführt und über Kabel an die in die Tische integrierten Anschlussfelder angebunden. Letzteres war ein expliziter Nutzerwunsch, damit sich die Geräte bei Bedarf zur Seite räumen lassen, wenn beispielsweise größere Aktenberge auf den Tischen abgelegt werden sollen. Im den Angeklagten zugewiesenen Bereich werden aus naheliegenden Gründen fest installierte Sprechstellen eingesetzt, die ohne scharfe Kanten oder lose Kabel auskommen und nahtlos in die Tischoberflächen eingelassen sind. Die Schwanenhalsmikrofone sind besonders robust ausgeführt und lassen sich nicht abnehmen, so dass sie nicht als Waffen zweckentfremdet werden können. Die von Brähler für den Angeklagtenbereich gelieferten Sprechstellen-Sonderanfertigungen sind bezüglich ihrer Funktionalität auf das Wesentliche (Channel up/down, Volume up/down, Microphone, Intercom) reduziert.

Für besondere Gelegenheiten sind im Gerichtssaal zwei Funkstrecken aus der Shure ULXD-Serie verfügbar, die bei einem Ausfall der Sprechstellen auch als Backup dienen. Die Funkstrecken arbeiten mit einer AES-verschlüsselten Übertragung; die potentiell als Waffen verwendbaren Hand- und Taschensender werden Angeklagten nicht ausgehändigt. Die Shure Drahtlossysteme sind in die Konferenzanlage eingebunden.

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Der monolithisch wirkende Baukörper verfügt über ein massiv ausgeführtes Erdgeschoss, auf welches ein mit Fensterelementen strukturiertes Obergeschoss aufgesetzt ist. (Bild: Jörg Küster)

An den großen Saal grenzen zwei Dolmetscherkabinen, die von bis zu vier Dolmetschern belegt werden können; alternativ können Dolmetscher auch im Inneren beider Säle Platz nehmen. Als Pulte kommen Brähler DOLV-Units mit Sennheiser Hör-/Sprechgarnituren zum Einsatz. Darüber hinaus kann bei Prozessen ein im Saal bei den Anwälten sitzender Vertrauensdolmetscher hinzugezogen werden. „Die Amtssprache am Gericht ist Deutsch, aber da zur Zeit oft mutmaßliche Terroristen aus Syrien auf der Anklagebank sitzen, sind Dolmetscher relativ häufig zugegen“, berichtet Florian Obereicher, stellvertretender Einsatzleiter am Oberlandesgericht Stuttgart. „Selbst wenn Angeklagte leidlich gut Deutsch sprechen, heißt das nicht unbedingt, dass sie vor Gericht auf diese Kenntnisse zurückgreifen.“ Angeklagte nutzen kabelgebundene Kopfhörer, um den Worten der Dolmetscher folgen zu können – zwei Justizbeamte flankieren in dieser Situation jeden Verdächtigen.

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Hören

Zur Beschallung finden pro Saal sechs Linienstrahler von Fohhn Verwendung, die sich visuell unauffällig hinter weißen Gazen verbergen. Verbaut wurden sechs Fohhn Linea Focus LFI-120 (kleiner Saal) bzw. sechs LFI-220 (großer Saal). Neben der Beschallung werden die Lautsprecher auch zur Alarmierung über das ENS (Elektroakustisches Notfallwarnsystem) genutzt. Dieser Umstand bedingt, dass eingehende digitale Dante-Signale über Wandler von Attero Tech in analoge Signale umgesetzt und in Funktionserhalt übertragen werden müssen. In einer mit EASE durchgeführten Akustiksimulation wurde die Lautsprecheranordnung in den Sälen optimiert.

OLG Stuttgart-Stammheim
Der Dell Touch-Bildschirm zeigt einen Grundriss des Saals mit allen relevanten Sitzplätzen; rote Punkte mar-kieren aktive Sprechstellen oder Sprechwünsche, die mit Zustimmung des vorsitzenden Richters freigeschaltet werden können. (Bild: Jörg Küster)

Jeweils zwei Lautsprecher sind rechts und links oberhalb des Richtertischs in die Wand eingelassen; zwei weitere Pärchen flankieren die Screen-Ensembles (siehe unten) an den Seitenwänden der Säle. Durch die Anordnung lässt sich zum einen ein Richtungsbezug herstellen, und zum anderen wird dafür gesorgt, dass die Glasscheiben nicht als akustische Hindernisse in Erscheinung treten und störende Reflexionen bedingen.

Die Möglichkeiten zum elektronischen Beamsteering werden im Gerichtssaal genutzt, um die Zuhörer möglichst zielgenau zu beschallen und den Raum mit der Lautsprecherwiedergabe nicht unnötig anzuregen. Bemerkenswert ist die gute Akustik in den Sälen: Sie korrespondiert nicht unbedingt mit dem optischen Eindruck und begünstigt die Sprachverständlichkeit – die Wände wurden während der Bauphase entsprechend der Vorgaben des frühzeitig involvierten Bauphysikers ausgestaltet.

OLG Stuttgart-Stammheim
Beweismittel können via Visualizer (Wolfvision VZ-8plus4) als Großbilder auf den Display-Walls angezeigt werden – früher mussten Verteidiger und Ankläger sich stets an den Richtertisch begeben, wenn sie einen tatrelevanten Gegenstand näher in Augenschein nehmen wollten. (Bild: Jörg Küster)

Backbone der digitalen Audiotechnik ist eine QSC QSYS-Plattform, die sich pro Saal um einen Q-SYS Core 510i (plus Backup im Zusammenspiel mit der Konferenz- und Diskussionsanlage) gruppiert. Wie an dieser Stelle bereits deutlich geworden sein sollte, ist im neuen Prozessgebäude Audinates Dante das digitale Audioprotokoll der Wahl.

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Sehen

Insgesamt drei Panasonic PTZ-Kameras des Typs AW-HE130 sind in jedem der beiden Gerichtssäle installiert. Der Zugriff auf die Steuerung ist am Arbeitsplatz des Saalwachtmeisters über einen Panasonic AW-RP50 Remote Camera Controller möglich. Meist finden am Hardware-Pult lediglich kleinere Positionierungskorrekturen statt, da die Ausrichtung automatisch zum mittels Touch-Bildschirm angewählten Sitzplatz erfolgt. Der Bildschirm zeigt einen Grundriss des Saals mit allen relevanten Sitzplätzen; rote Punkte markieren aktive Sprechstellen oder Sprechwünsche, die mit Zustimmung des vorsitzenden Richters freigeschaltet werden können. Zur Bedienung der Medien- und Raumtechnik (Licht) verfügen sowohl der vorsitzende Richter als auch der Saalwachtmeister über einen reflexionsarmen Dell 23,8“-Touchscreen (P2418HT).

Obwohl im Saal drei Kameras installiert sind, ist stets nur eine einzelne Kamera aktiv und wird auf den Display-Wänden wiedergegeben. Ansonsten könnte möglicherweise ein Verteidiger beanstanden, dass er oder seine Unterlagen unerwünscht in den Fokus geraten könnten. Aufgeschaltet wird stets die gegenüber der aktiven Sprechstelle installierte Kamera. Die Videotechnik ist über eine strukturierte Datenverkabelung vernetzt; Glasfaserleitungen wurden bis zu jedem Endpunkt verlegt.

OLG Stuttgart-Stammheim
Sollen beim Prozess Personen befragt werden, die den Saal aus Sicherheitserwägungen nicht betreten können oder sich entfernt in einer ausländischen Haftanstalt befinden, besteht die Möglichkeit, eine Videokonferenz einzurichten. In diesem Zusammenhang findet ein Medienmobil Verwendung, das mit einem Panasonic 70“-Bildschirm und einer Polycom Kamera ausgestattet ist. (Bild: Jörg Küster)

Eine Aufzeichnung der Videosignale findet in Stammheim nicht statt. Die bewegten Bilder werden auf rechts und links im Saal angebrachten Display-Wänden sowie auf Monitoren in den Dolmetscherkabinen angezeigt. In den Sälen installiert wurden Samsung Smart-Signage-Displays (UD55E-ALED) mit schmalen Rahmen und Diagonalen von 55 Zoll. Im größeren der beiden Gerichtssäle kommt eine 4×4-Konfiguration zum Einsatz; im kleineren Saal verrichtet ein Aufbau mit 3×3 quer montierten Bildschirmen seinen Dienst.

Laut Florian Obereicher macht sich das von oben einfallende Tageslicht bei der Bilddarstellung selbst an sonnigen Tagen nicht störend bemerkbar. LED-Technik wäre aus heutiger Sicht eine möglicherweise noch attraktivere Anzeigelösung gewesen, stand zum Zeitpunkt der Planung jedoch aufgrund der seinerzeit noch immens hohen Kosten für Lösungen mit geringem Pixelpitch nicht zur Debatte. Eine Aufprojektion hätte bei großflächig von oben einströmendem Tageslicht nicht den erwünschten Kontrast erreicht.

Sollen beim Prozess Personen befragt werden, die den Saal aus Sicherheitserwägungen nicht betreten können oder sich entfernt in einer ausländischen Haftanstalt befinden, besteht die Möglichkeit, eine Videokonferenz einzurichten. In diesem Zusammenhang findet ein Medienmobil Verwendung, das mit einem Panasonic 70“-Bildschirm (für die Richter gut erkennbar in unterschiedlichen Distanzen bis zum Zeugentisch) und einer Polycom Kamera ausgestattet ist. Der Codec stammt von Polycom; die IT-Infrastruktur wird von der BITBW (IT-Dienstleister für die Landesverwaltung) verantwortet. Die Videokonferenz ist in das Dolmetscher- und Konferenzsystem integriert. Das auf dem Screen zu sehende Bild wird parallel auf die seitlichen Videowände aufgeschaltet, wobei das Gesicht des externen Teilnehmers in besonderen Fällen auf Anweisung des LKA verpixelt wird – mitunter muss sogar die Stimme elektronisch verfremdet werden.

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Technikzentrale

Im Untergeschoss des Neubaus befindet sich der zentrale Technikraum, in dem das Herz der Medientechnik in großen 19“-Schränken schlägt. Schaltzentralen sind zwei Crestron DM-MD32X32-RPS, die jeweils einem der beiden Prozesssäle zugewiesen sind. Die DigitalMedia-Matrizen sind in Stammheim nicht komplett ausgelastet, so dass Erweiterungsmöglichkeiten gegeben sind. Auf zukunftsweisende AV-over-IP-Lösungen wie etwa Crestron NVX angesprochen, sagt Dipl.-Ing. Jens Birkenstock: „Wir haben firmenintern schon darüber gesprochen, dass dieses möglicherweise die beiden letzten Matrix-Switcher sind, die wir in einem Projekt verplant haben.“

OLG Stuttgart-Stammheim
An den großen Saal grenzen Dolmetscherkabinen. (Bild: Jörg Küster)

Das neue Prozessgebäude ist mit einem elektroakustischen Notfallwarnsystem (ENS) gemäß DIN EN 60849 (VDE 0828) ausgestattet. Verwendung findet ein Dante-fähiges Sprachevakuierungssystem von Innovative Electronic Designs (IED GLOBALCOM 5400, im Vertrieb bei der MediasPro Medientechnik GmbH), zu dem per Dante/Ethernet mit dem zentralen IED 5400AC Controller verbundene Touchscreen-Sprechstellen des Typs 5450 CSG in den Wachen und den Sälen gehören. Vierkanalige Class-D-Verstärker von IED treiben in einem 100-V-System zahlreiche Deckeneinbaulautsprecher im Inneren des Gebäudes sowie an dessen Zugängen an. „Für den Nutzer ist es wichtig, Durchsagen in definierte Areale absetzen zu können, um beispielsweise im Foyer wartende Besucher darauf aufmerksam zu machen, dass eine Sitzung in Kürze beginnt“, erklärt Jens Birkenstock. „Einzelne zu beschallende Areale lassen sich als Untergruppen gezielt auswählen. In den großen Gerichtssälen sind die Fohhn Lautsprecher an das ENS angebunden.“

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Weitere Infrastruktur

Die Außenanlage vor dem Gebäude des OLG Stuttgart wird vollflächig videoüberwacht; innerhalb des Neubaus sind bestimmte Bereiche in die Überwachung eingebunden. Die Bilder der Dome- und Fixkameras werden in Full-HD übertragen und ausgespielt.

Zum Aufgabenspektrum der Günthner Ingenieure GmbH gehörten jenseits der Gerichtssäle u. a. auch die Planung der Videoüberwachungs- und EDV-Arbeitsplätze sowie viele weitere Ausstattungsmerkmale, darunter die Überfall- und Einbruchmeldeanlage, die Türsteuerungsanlage, die SAT-Anlage (Mehrfachteilnehmer), die Gegensprechanlage, die Zellenkommunikationsanlage (zwischen Gefangenenzelle und Verteidiger im UG), die Haftraumrufanlage (Gefangene haben die Möglichkeit, in ihrer Zelle einen Ruf zu tätigen, der auf der Wache im UG eingeht), der Gebäudefunk (Feuerwehr, Polizei und Justiz), Zeiterfassung, Telefonanlage und das Personen-/Gepäckkontrollsystem.

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Mehr Sicherheit und mehr Komfort

Spektakuläre Verhandlungen stehen in Stuttgart-Stammheim auch mehr als vier Jahrzehnte nach den RAF-Prozessen auf der Tagesordnung. So wurde im Mai 2019 erstmals über eine deutsche IS-Rückkehrerin verhandelt: Sabine S. soll im Herrschaftsgebiet des so genannten „Islamischen Staats“ gelebt und unter der Überschrift „Köpfchen ab“ Fotos von Hinrichtungen und Waffen veröffentlicht haben – die deutsche Staatsbürgerin wurde am OLG Stuttgart aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Terrormiliz zu fünf Jahren Haft verurteilt.

OLG Stuttgart-Stammheim
von links: Jens Birkenstock, Christoph Hahlweg, Patrick Günthner, Werner Linder (Bild: Jörg Küster)

Unmittelbar nachvollziehbar ist, dass Sicherheit im neuen Prozessgebäude oberste Priorität genießt und daher in diesem Artikel nicht über alle Details der (medien-)technischen Ausstattung in sämtlichen Gebäudebereichen berichtet werden kann. Am OLG weist man jedoch gerne darauf hin, dass die neue Medientechnik die Arbeit des Gerichts in vielerlei Hinsicht vereinfacht und auch beschleunigt: So können etwa Beweismittel via Visualizer (Wolfvision VZ-8plus4, mit Vorschaumöglichkeit plus Freeze-Funktion) als Großbilder auf den Display-Walls angezeigt werden – früher mussten Verteidiger und Ankläger sich stets an den Richtertisch begeben, wenn sie einen tatrelevanten Gegenstand näher in Augenschein nehmen wollten. „Im alten Mehrzweckgebäude gingen die Prozessbeteiligten immer zum Richtertisch, wenn sie ein Asservat genauer anschauen wollten. Für meine Kollegen und mich war das stets eine brisante Situation – insbesondere, wenn sich Angeklagte dann in unmittelbarer Nähe der Richter aufhielten“, erinnert sich Florian Obereicher. „Nicht nur in dieser Hinsicht trägt die Ausstattung des Neubaus für die Mitarbeiter zu einer gewissen Entspannung bei, und in vielen Verhandlungen muss auch nicht mehr ganz so viel Personal wie früher eingesetzt werden.“

Obereicher fährt fort: „Bislang waren meine Kollegen und ich im beruflichen Umfeld noch nicht mit einer derart komplexen Medientechniklandschaft konfrontiert. Die Möglichkeiten sind vielfältig und erforderten zu Beginn eine intensive Auseinandersetzung mit der Materie. Wir wurden jedoch entsprechend geschult und haben uns auch aus eigenem Interesse an freien Wochenenden intensiv mit den neuen Optionen beschäftigt. Die Technik funktioniert im täglichen Betrieb einwandfrei, und die Arbeit im Neubau wird meiner Wahrnehmung nach von allen hier tätigen Personen im Vergleich zum alten Gebäude als wesentlich angenehmer empfunden.“

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Oberlandesgericht Stuttgart

Das Oberlandesgericht Stuttgart ist eines von 24 Oberlandesgerichten in Deutschland, gemessen an der Einwohnerzahl seines Bezirks (ca. 6,2 Millionen) das drittgrößte. Es ist – neben zahlreichen Sonderzuständigkeiten – sachlich als Berufungs- und Beschwerdeinstanz für Zivil- und Familiensachen sowie als Revisions- und Beschwerdeinstanz in Strafsachen zuständig. Im Staatsschutzstrafrecht, bei dem u. a. Anklagen wegen Spionage, Terrorismus und Kriegsverbrechen verhandelt werden, ist das Oberlandesgericht Stuttgart auch als erste Instanz für ganz Baden-Württemberg zuständig.

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Web-Links

www.olg-stuttgart.de

www.gig-stuttgart.de

www.aveo.de


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