Pandemiebedingt weicht der Große Rat des Canton du Valais (Schweiz) für Zusammenkünfte von seiner angestammten Wirkungsstätte auf wechselnde Veranstaltungsorte aus. Ein Bosch Dicentis-Konferenzsystem mit IP- und Server-basierter Architektur sorgt bei den Sitzungen für eine perfekte Verständlichkeit der Redebeiträge, welche in deutscher und französischer Sprache zu vernehmen sind.
(Bild: Caline Sian (Studio Photo „L’Instant d’un regard“))
Der Große Rat des Kantons Wallis ist die gesetzgebende Behörde (Legislative) des gleichnamigen Schweizer Kantons. Zum Walliser Kantonsparlament gehören 130 Abgeordnete, welche vom Volk im Proporzsystem für vier Jahre gewählt werden. Kernaufgaben des Großen Rats sind die Gesetzgebung, das Budgetrecht, die Aufsicht über die Regierung sowie die Geschäftsführung der obersten Gerichte (parlamentarische Oberaufsicht).
Ausweichquartiere für Abgeordnete
Um den pandemiebedingten Social-Distancing-Geboten gerecht werden zu können, tagt der Große Rat des Canton du Valais bis auf Weiteres nicht im denkmalgeschützten Großratsgebäude der Kantonshauptstadt Sitten, sondern in der Simplonhalle in Brig sowie alternierend in weiteren Locations des deutsch- und französischsprachigen Kantons.
Die so genannten Extra-Muros-Sessionen (in etwa: „ Sitzungen außerhalb der Stadtmauern“) des Großen Rats sind in Blöcken strukturiert und erstrecken sich über jeweils vier Tage. Die Zusammenkünfte werden durch die Niederlassung Genève der PKE Electronics AG technisch betreut – die renommierten AV-Spezialisten waren vor rund drei Jahren für die Ausstattung des Sittener Parlamentssitzes mit einem fest eingebauten Bosch DCN-NG-System verantwortlich. Während der Extra-Muros-Sessionen nutzen Abgeordnete, Vorsitzende und Simultandolmetscher Produkte aus der Bosch Dicentis-Serie.
Dicentis setzt auf eine von Bosch mit dem Namen OMNEO (AES 67 und AES 70/ OCA) bedachte Software-Architektur, welche auf TCP/IP-Technologie und somit auf offenen Standards basiert und neben der Übertragung von Steuerdaten Protokolle wie Audinate Dante unterstützt. Mithilfe kostenpflichtiger Softwarepakete lassen sich Dicentis und die zugehörigen Pulte elegant vom PC aus konfigurieren/ überwachen/fernsteuern.
Wesentliche Funktionen können auch ohne Rechner direkt an der Hardware eingerichtet werden; die Möglichkeiten mit Softwarepaket sind allerdings deutlich umfangreicher. Angeboten wird u. a. die Dicentis Simultaneous interpreting license (DCNM-LIPM), mit deren Unterstützung sich die Pulte umfassend vorbereiten sowie im Einsatz überwachen und fernsteuern lassen. Die Dicentis Dante software license (DCNM-LDANTE) wird benötigt, um einzelne Sprachkanäle an Dante-Devices von Drittanbietern weiterzuleiten oder von diesen zu übernehmen.
Mobileinsatz mit 144 Pulten
Bei den Extra-Muros-Sessionen finden unterschiedliche Dicentis-Komponenten Verwendung: Zentrales Element ist ein DCNM-APS2 Audio Powering Switch (Audioprozessor-Hardware mit 2 × XLR-In/Out, integriertem Ethernet-Switch und Stromversorgung), zu dem ein komplett ausgestatteter, von Bosch vorkonfigurierter Server (DCNM-Server) gehört.
Für die Abgeordneten sind 140 DCNM-DE Diskussionseinheiten mit kapazitiven 4,3″-Touchscreens verfügbar, welche u. a. Abstimmungsfunktionen und Sprachauswahl unterstützen. Für die im zweisprachigen Kanton obligatorischen Simultandolmetscher sind bei den Sessionen vier ergonomisch vorteilhaft gestaltete DCNM-IDESK Dolmetscherpulte verfügbar. Pandemiebedingt sind die DCNMIDESK in vier Dolmetscherkabinen untergebracht – zwar sind lediglich zwei parallel zu dolmetschende Sprachen gefordert, aber nach je 45 Minuten konzentrierter Arbeit werden die beiden aktiven Dolmetscher von Kollegen abgelöst, die nicht unbedingt in den gleichen Kabinen Platz nehmen sollen.
Spare-Units aller vorgenannten Dicentis-Geräte hält die PKE Crew für potenziell mögliche Ausfälle einzelner Komponenten bereit – selbstverständlich in den für den konkreten Einsatz erforderlichen Konfigurationen, welche vorab überprüft wurden.
Dass eine kabelgebundene Anlage statt einer drahtlosen Lösung Verwendung findet, liegt unter anderem daran, dass die bei PKE bereitgehaltenen Wireless-Lösungen maximal 120 Einheiten verwalten können, was für die Extra-Muros-Sessionen nicht ausreichend wäre. Darüber hinaus lassen sich keine unterschiedlichen Sprachenkanäle einspeisen.
„Der Kanton Wallis stellt spezielle Anforderungen an seine Konferenzanlage, weshalb das bei den Extra-Muros- Sessionen zum Einsatz kommende Dicentis-System modifiziert werden musste“, berichtet Manuel Rauch, Leiter der Genfer PKE Niederlassung. „Im zweisprachigen Kanton Wallis sind sowohl die französische als auch die deutsche Sprache gebräuchlich, und der Einsatz von Simultandolmetschern ist im Großen Rat gesetzlich vorgeschrieben: Für alle Parlamentarier und auch für die Presse müssen sämtliche Redebeiträge in zwei Sprachen verfügbar gemacht werden. Ähnliches gilt für die Bedienung der Sprechstellen: Deutschsprachige und französischsprachige Personen müssen einschränkungslos mit der Konferenzanlage respektive den ihnen zugewiesenen Bedienoberflächen zurechtkommen.“
Um den im Wallis geltenden Vorschriften gerecht zu werden, beauftragte PKE die niederländische MVI Audio-Visual B.V. mit einer Sonderprogrammierung: Die gemäß der gewünschten Features parametrisierte MVI-Software wird bei den Extra-Muros-Sessionen für den Betrieb der Dicentis-Anlage genutzt und ersetzt das normalerweise zum Einsatz kommende User-Interface.
Michael van Ingen, Gründer und Geschäftsführer von MVI AudioVisual, musste für die Sonderprogrammierung auf Basis der von ihm entwickelten „EasyConf“-Steuersoftware nicht eigens in die Schweiz reisen, sondern konnte die gewünschten Anpassungen aus der Ferne vornehmen. „Das hat wunderbar geklappt!“, stellt Manuel Rauch zufrieden fest und berichtet über die reibungslose Remote-Zusammenarbeit mit dem versierten Programmierer.
Rauch verzweigt in Details: „Wir haben eine speziell auf die Bedürfnisse des Vorsitzenden zugeschnittene Bedienoberfläche programmieren lassen. Er kann auswählen, ob er auf eine Oberfläche in deutscher oder französischer Sprache zugreifen will. Außerdem kann er einzelne Abgeordnete selektieren, denen er das Wort erteilen oder entziehen möchte. Weitere Spezialfunktionen sind verfügbar und können über eine Custom-Bedienoberfläche abgerufen werden, die eine bemerkenswert gute Usability aufweist.“ Für die Bedienung der Sonderoberfläche wird bei den Sitzungen ein Touch-Display verwendet; die Anbindung an Dicentis erfolgt über ein offenes API („application programming interface“).
Anmerkung: Die zu Dicentis gehörenden Bosch DCNM-MMD2 Multimedia-Einheiten sind mit Android als Betriebssystem ausgestattet. Ähnlich wie bei Smartphones lassen sich auf ihnen Apps ausführen, welche speziell programmierte Bedienoberflächen auf den geräteeigenen 7″-Touchscreens anzeigen können. Bei den DCNM-MMD2-Units ist ein externes Touch-Display für die Nutzung einer Modifikation im Stil der oben beschriebenen Sonderprogrammierung also nicht erforderlich.
Bei den Extra-Muros-Sessionen kommt als Besonderheit eine Speech-to-Text-Software zum Einsatz, die automatisiert Transkriptionen aller Redebeiträge erstellt. Verwendung findet die Cloud-basierte Lösung mediaparl der Walliser recapp IT AG, welche sich im Gegensatz zu manch anderer Transkriptionslösung auf eine zuverlässige Erkennung von Schweizerdeutsch versteht. Der zugehörige Matrox Encoder erhält vom PKE Team analoge Audiosignale mit Line-Pegel. Künftig sollen in einer erweiterten mediaparl-Version als Ergänzung die Anfangs- und Endzeiten von Redebeiträgen sowie die Namen der Sprechenden automatisch dokumentiert werden.
Die Dicentis-Ausstattung wird bei den Extra-Muros-Sessionen durch weitere von PKE bereitgestellte Medientechnikkomponenten ergänzt: Zum Einsatz kommt unter anderem ein kompaktes Beschallungssystem, das bei Bedarf das Floor-Signal wiedergeben kann. „Im Normalfall reichen die integrierten Lautsprecher der Dicentis-Sprechstellen allerdings vollkommen aus“, hat Manuel Rauch festgestellt.
Projektoren oder an Stelen montierte Bildschirme werden genutzt, um von der MVI-Software visuell aufbereitete Abstimmungsergebnisse „in groß“ gut sichtbar darzustellen – sowohl in Zahlenform wie auch grafisch veranschaulicht. Den Dolmetscherkabinen sind mobil einsetzbare Displays zugeordnet, welche schräg nach oben weisend auf Rollwagen montiert sind.
Der Öffentlichkeit zugängliche Live-Streams der Extra-Muros-Sessionen werden vom Lokalfernsehen produziert. Das TV-Team erhält in diesem Zusammenhang drei Audiosignale (Floor sowie deutscher und französischer Dolmetscherkanal), welche dem Dante-Output des Dicentis DCNM-APS2-Audioprozessors entnommen werden. Da das Lokalfernsehen analoge Audiosignale bevorzugt, werden nach einer D/A-Wandlung ganz klassisch Analogsignale mit Line-Pegel übergeben.
Die Extra-Muros-Sessionen ermöglichen es dem Großen Rat des Kantons Wallis, in schwierigen Zeiten einsatzbereit zu bleiben und unter Berücksichtigung aller geltenden Vorschriften effizient zu arbeiten. „Ursprünglich wurde bei PKE lediglich die Ausstattung für drei einwöchige Sessionen angefragt“, verrät Manuel Rauch und weist darauf hin, dass der Auftrag aufgrund des Pandemiegeschehens inzwischen mehrfach verlängert wurde. Wann genau für das Walliser Kantonsparlament eine Rückkehr in den „Normalbetrieb“ am Standort Sitten möglich sein wird, war zum Redaktionsschluss noch nicht mit Sicherheit vorherzusagen.
Die während der Extra-Muros-Sessionen zum Einsatz kommende Konferenzanlage wird von den Volksvertretern gut angenommen: „In der Praxis hat es sich zum Glück als relativ einfach herausgestellt, die den Abgeordneten durch DCN-NG vertraute Bedienung auf Dicentis umzumünzen“, berichtet Manuel Rauch zufrieden. „Wir können den Volksvertretern bei den Sessionen die gewohnten Werkzeuge mobil, aber mit allen Vorteilen des bekannten festinstallierten Systems zur Verfügung zu stellen.“
Die Genfer PKE Niederlassung tritt im Kontext der Extra-Muros-Sessionen wie eine Rental-Company auf, und mittlerweile sind sämtliche Vorgänge derart gut eingespielt, dass der aufwendige Aufbau in lediglich einem Tag bewerkstelligt wird, was gleichermaßen für den noch ein wenig schneller umsetzbaren Abbau gilt. Das Daisy-Chaining der 140 DCNM-DE-Diskussionseinheiten wird von den Techniker*innen selbstverständlich ohne potenziell gefährliche Kabel-Stolperfallen realisiert. Die Verkabelungstopologie variiert passend zu den räumlichen Gegebenheiten des jeweiligen Saals.
Mit kompetenter Unterstützung durch das PKE-Team laufen die Sessionen „wie am Schnürchen“, nachdem im Frühjahr 2020 anberaumte Experimente mit Pandemie- Konferenzkonzepten anderer Marktteilnehmer dem Vernehmen nach nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigten.
„Der explizit geäußerte Wunsch der Verantwortlichen lautete, dass das Parlament in jeder externen Location so gut und flexibel wie im Sittener Großratsgebäude arbeiten kann“, konstatiert Manuel Rauch. „Zeit ist auch in Kantonsparlamenten kostbar – je zielführender Abgeordnete ihrer Arbeit nachgehen können, desto besser für den Kanton Wallis.“
Parlamentsdienstchef Claude Bumann äußert sich zu den Extra-Muros-Sessionen wie folgt: „Der riesige Vorteil der Lösung von PKE besteht darin, dass wir wie gewohnt weiterarbeiten können. Das Dicentis-System mit seinen Touch-Displays ist dazu noch bedienerfreundlicher als das DCN-NG-System in unserem Ratssaal. Die Abgeordneten werden vermutlich ein bisschen murren, wenn sie wieder auf „richtige“ Tasten drücken müssen.“
PKE-Mitarbeiter Manuel Rauch findet abschließend prägnante Worte: „Das Bosch Dicentis-System funktioniert bei den Extra-Muros-Systemen zuverlässig und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk!“