EUMETSAT LEO MCC: Medientechnik für Satelliten-Missionen
von Jörg Küster, Artikel aus dem Archiv vom
Seit Sommer 2021 nutzt EUMETSAT das vollständig neugestaltete LEO Mission Control Centre zur Steuerung von auf niedrigen Umlaufbahnen um die Erde kreisenden Satelliten. Moderne Medientechnik sorgt im Kontrollraum für angenehme Arbeitsbedingungen und motivierte Mitarbeitende.
Christiana Figueres, frühere Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), äußert sich in dramatischen Worten: „Der Klimawandel besitzt das Potenzial, die Menschheit, wie wir sie kennen, auszulöschen.“ Auch in einer aktuellen Studie der in Genf ansässigen Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnen Wetterexpert:innen der Vereinten Nationen eindringlich davor, dass bereits bald so genannte Kipppunkte erreicht werden könnten, welche irreversibel „schädlich für die Menschheit und den gesamten Planeten“ sind.
Keine Frage: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Klima und Wetter sind wichtiger denn je. Um die Entstehung von Wetterphänomenen noch besser erkennen sowie mögliche Gefahren genauer vorhersagen und lokalisieren zu können, sind Spezialist:innen der in Darmstadt ansässigen „European Organisation for the Exploitation of Meteorological Satellites“ (EUMETSAT) rund um die Uhr mit dem Betrieb von Wettersatelliten befasst.
Wetterbilder und Daten der zwischenstaatlichen Organisation sind primär dazu bestimmt, von nationalen Wetterinstituten (z. B. Deutscher Wetterdienst) und hydrologischen Diensten der 30 EUMETSAT Mitgliedsstaaten verwendet zu werden. Darüber hinaus wurden Lizenzen an eine Reihe weiterer Nutzer (z. B. Universitäten) vergeben. EUMETSAT selber liefert keine Wettervorhersagen, leistet mit seiner Arbeit jedoch einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit der in den EUMETSAT-Mitgliedsstaaten lebenden Menschen und dient darüber hinaus dem Schutz kritischer Volkswirtschaftssektoren.
Essenzielle Bestandteile von EUMETSAT sind zwei moderne Kontrollräume, die übereinander auf zwei Etagen des Darmstädter Gebäudekomplexes untergebracht sind und sich auf unterschiedliche Satellitentypen konzentrieren. Das vollständig neu gestaltete LEO Mission Control Centre widmet sich Low-Earth-Orbitern, deren vergleichsweise niedrige Erdumlaufbahnen üblicherweise in Höhen zwischen 500 und 1.200 km verlaufen.
Im Gegensatz zu Low-Earth-Orbitern kreisen geostationäre Satelliten in einer Höhe von 35.786 km parallel zum Äquator und damit aus Sicht des Kontrollzentrums ähnlich wie Fernsehsatelliten „ortsfest“ an stets gleichen Positionen – die Umlaufgeschwindigkeit der künstlichen Himmelskörper und die Rotationsgeschwindigkeit der Erde stimmen überein. Bei EUMETSAT ist für geostationäre Satelliten aus der Meteosat-Serie das GEO Mission Control Center zuständig, über dessen medientechnische Besonderheiten bereits in Ausgabe 8/2018 von PROFESSIONAL SYSTEM berichtet wurde.
Die Ausschreibung für die medientechnische Ausstattung sowie für die Möblierung des neu gestalteten LEO MCC konnte die SWiCA Conference Technology e. K. für sich entscheiden. Das anspruchsvolle Projekt wurde federführend von Inhaber Markus Schürmann betreut. SWiCA wurde im Jahr 2000 gegründet; der Firmenname steht als Akronym für „Schürmann Worldwide Integration of Conference Applications“. Von EUMETSAT wurde Markus Schürmann bereits Mitte der 1990er-Jahre mit der medientechnischen Erstausstattung des Darmstädter Gebäudes betraut. SWiCA verantwortete auch die Medientechnik im ein Stockwerk höher befindlichen GEO Mission Control Centre.
Markus Schürmann berichtet über besondere Herausforderungen, die mit dem Umbau des LEO MCC im laufenden Betrieb einhergingen: Sukzessiv wurde im Kontrollzentrum ein Arbeitsbereich nach dem anderen vollständig umgestaltet, während in den übrigen Arealen die normale 24/7-Tätigkeit fortgeführt wurde, da Ausfallzeiten in einem Mission Control Centre nicht akzeptabel sind. Wände mussten entfernt oder versetzt werden, und gemäß gesetzlicher Vorgaben war innerhalb des 1986 eröffneten Gebäudeteils die Elektroinstallation zu erneuern. Die vormals im LEO MCC vorhandene Löschanlage konnte entfernt werden, da im neugestalteten Raum keine nennenswerten Brandlasten mehr vorhanden sind. Kurzgefasst: Während der Umbauphase blieb im Kontrollzentrum kaum ein Stein auf dem anderen, und den Beteiligten machten zusätzlich massive pandemiebedingte Einschränkungen zu schaffen, welche die ursprüngliche Zeitplanung in Gefahr brachten.
Allen Widrigkeiten zum Trotz konnte das LEO Mission Control Centre im Sommer 2021 fristgerecht fertiggestellt werden. „Damit hatte aufgrund der besonderen Umstände eigentlich niemand gerechnet, und SWiCA gebührt ein wirklich großes Lob!“, sagt Jörg Schmittroth, langjährig mit der Arbeit in Kontrollzentren vertrauter System Operation Engineer sowie Projektleiter auf Seite von EUMETSAT. „Die geplante große Einweihungsfeier für das neue LEO MCC musste wegen der Pandemie allerdings leider entfallen …“
Grundlegende Ideen zur Arbeitsplatzgestaltung sowie zur medientechnischen Ausstattung konnten für das LEO MCC aus dem bereits erfolgreich realisierten GEO Mission Control Centre übernommen werden: „Salopp könnte man sagen, dass wir eine Etage höher erst einmal geübt haben“, merkt Jörg Schmittroth schmunzelnd an. „Aber im Ernst: Viele Ideen, die wir vor sieben bis acht Jahren entwickelt haben, konnten sich in der täglichen Praxis bewähren und wurden daher auch im neu gestalteten LEO MCC umgesetzt.“
Einzelne Modifikationen und Verbesserungen wurden selbstverständlich dennoch vorgenommen: So werden im LEO Mission Control Centre heute beispielsweise akustische Alarme selektiv auf einzelne Arbeitsbereiche geschaltet, wobei sogar zwischen den zu jedem Funktionsbereich gehörenden Tischen unterschieden wird. Hintergrund ist, dass ein akustischer Alarm mit klarem Richtungsbezug die Aufmerksamkeit in gewünschter Art und Weise lenkt. Lediglich Alarmmeldungen, die sich nicht eindeutig einem bestimmten Aufgabensegment zuordnen lassen, sind weiterhin im gesamten Raum zu vernehmen. Passend zum lokal fokussierten Beschallungskonzept werden die Bildwände der einzelnen Funktionsbereiche im Gegensatz zum GEO MCC nicht mehr von Lautsprechern flankiert, sondern es kommen stattdessen fest an den Arbeitstischen montierte Eck-Modelle von Cornered Audio (an umluftgekühlten QSC SPA-4 Verstärkern) sowie kompakte Aktiv-Tischlautsprecher aus dem Portfolio von Yamaha zum Zuge. Letztere werden genutzt, um Audioalarme ohne spezielles Routing auszugeben.
Verantwortlich für Distribution und Bearbeitung von digitalen Audiosignalen (AES67) sind zwei leistungsstarke, für 256 Kanäle ausgelegte QSC Q-SYS Core 510i Prozessoren (Master/Slave), die abgesetzt in einem Technikraum betrieben werden. Analoge Audiosignale werden den 19″-Geräten über QSC Q-SYS I/O-8 Flex Expander zugeführt, und auch die Audioausspielung im Kontrollraum erfolgt über Wandlereinheiten dieses Typs. Um ein Audiosignal als relevant einzustufen, muss der Pegel für eine festgelegte Dauer einen definierten Schwellenwert überschreiten – auf diese Weise wird eine Weiterleitung von Störgeräuschen aus den als Quellen dienenden Shuttle PCs (siehe unten), Sat-Receivern und lokalen Rechnern vermieden. Als akustische Alarme dienen diverse Signaltöne sowie mit einem professionellen Sprecher in unterschiedlichen Betonungen aufgenommene Voice-Messages. Steuerbefehle erhalten die QSC Q-SYS Core 510i aus einer AMX-Mediensteuerung. Insgesamt 30 Q-SYS I/O-8 Expander werden im LEO MCC eingesetzt. Die Übertragung findet via Netzwerk statt, in welches HP Aruba-Switches integriert sind. Die separate logische Audioorientierung läuft über ein Script im Core und entlastet somit das Steuerungssystem erheblich.
Von der lokal verbauten Technik wird im LEO Mission Control Center kaum noch Abwärme erzeugt, so dass die im Raum vorhandene Lüftungsanlage nur sporadisch an heißen Sommertagen hörbar ist. Aufgrund der Pandemie wird die Anlage derzeit allerdings durchgängig mit voller Leistung betrieben. „Dass man die Lüftung überhaupt hört, ist dem Umstand zu verdanken, dass im Rahmen der Neugestaltung des LEO MCC alle Rechner ausgelagert werden konnten“, so Jörg Schmittroth. „Das Geräusch-Level im Raum besaß vorher eine vollkommen andere Dimension.“
Das rund 270 m² messende LEO Mission Control Centre ist in sechs so genannte Ovals (ovale Arbeitsinseln, OVAL 100 – OVAL 600) unterteilt, welche unterschiedlichen EUMETSAT-Programmen zugewiesen sind: Das Hauptprogramm hört auf die Bezeichnung EPS (EUMETSAT Polar System, Metop-Satelliten und Bodenstation). Zum Copernikus-Programm gehören die Satelliten Sentinel-3 und Sentinel-6. In Planung befinden sich die Programme EPS-SG (EUMETSAT Polar System Second Generation) und CO2M (Copernicus CO2 Monitoring Mission), welche das LEO MCC in naher Zukunft vollständig auslasten werden. „Bereits jetzt finden Coordination-Meetings statt, bei denen überlegt wird, wie das Kontrollzentrum in zwei Jahren aussehen soll“, berichtet Jörg Schmittroth. „Das LEO MCC haben wir bewusst derart gestaltet, dass wir uns unkompliziert mit künftigen Aufgaben arrangieren können. Durch ein ausgeklügeltes Remote-Konzept lassen sich den Ovals flexibel gewünschte Signale aus dem Rechenzentrum zuweisen. Aufwendige Umbauten im Raum sind durch diese Lösung bei einer Neustrukturierung nicht mehr erforderlich.“
Die Ovals dienen den mit den einzelnen Satelliten-Programmen befassten Teams als Kommandozentralen und besitzen im LEO MCC nicht nur exakt gleiche Abmessungen, sondern sind auch in Bezug auf die Medientechnik identisch ausgestattet. Die namensgebende ovale Grundform wird von maßangefertigten Arbeitstischen gebildet, welche die Schweizer welco AG hergestellt hat. „Die Ergonomie der Arbeitsplätze hat bereits im GEO Mission Control Centre so gut gepasst, dass für das LEO MCC niemand etwas ändern wollte“, kommentiert Markus Schürmann. „Der Abstand der einzelnen Ovals zueinander wurde aufgrund des verfügbaren Platzangebots ein wenig verringert, aber darüber hinaus konnten wesentliche Aspekte aus der oberen Etage übernommen werden – Aspekte wie die Beinfreiheit, aber auch der Einbau der Technik haben schlichtweg perfekt gepasst!“
Zur Ausstattung jeder Arbeitsinsel gehören vier Lautsprecher, zwei Shure-Schwanenhals-Tischmikrofone und zwei AMX-Touchpanels (Modero MT-2002 mit 20,3″-Diagonale und Modero MT-1002 mit 10,1″-Diagonale). Die berührungsempfindlichen Oberflächen sind übersichtlich strukturiert, und die Bedienung ist in Form einer Matrix (Menü/Quellenbänke/Einzelquellen) organisiert. Adressiert werden als Senken u. a. 5 × 2 Monitore der Bildwand (siehe unten) und die Tisch-Bildschirme samt KVM-Funktionen. Einstellmöglichkeiten für die Tonwiedergabe sind ebenfalls vorhanden. In Tests mit EUMETSAT-Mitarbeitenden wurde im Vorfeld festgelegt, welche Darstellungsformen sich am besten für die Arbeit im LEO MCC eignen.
Nach Eingabe eines Codes ist an den Touchpanels der Zugriff auf den Bereich „Support“ möglich, in welchem Detaileinstellungen vorgenommen werden können. Die Bezeichnungen der einzelnen Quellen und Senken wurden von EUMETSAT Mitarbeitenden in eine Excel-Tabelle („Config List“) eingetragen, welche zwecks Touchscreen-Darstellung der gewünschten Begrifflichkeiten in den Master-Controller eingelesen wird. Über ein KNX-Gateway ist via Touchpanel der Zugriff auf Lichttechnik und Jalousien möglich.
Um Dongles, welche für den Zugriff auf die Daten eines Satelliten zwingend erforderlich sind, einfach handhaben zu können, wurden von SWiCA Extron USB-Transmitter/Receiver (USB Extender Plus mit integriertem Hub und Emulationsmodus für Peripheriegeräte, insgesamt 12 × Empfänger und 32 × Sender, freie Verbindungsmöglichkeiten über Cisco Switch) verbaut, die mit den relevanten Rechnern vernetzt sind. In jedem Oval können Dongles in USB-Ports eingesteckt werden, welche sich in per Deckel verschließbaren Bachmann-Tischeinbaurahmen befinden. In den Tischtanks sind auch HDMI-Anschlüsse untergebracht, die über einen SVSI NMX-ENC-N1133 Encoder aus der AMX N1000-Serie mit dem Netzwerk respektive einem Cisco Nexus-Switch verbunden sind.
Die Technik der Ovals wurde bewusst in zwei unterschiedlichen Kreisen strukturiert, so dass bei einem eventuellen Ausfall stets nur ein Teilbereich einer Arbeitsinsel betroffen ist. Passend dazu sind auch die Bildwände an zwei unterschiedliche Stromkreise angeschlossen, welche jeweils fünf Monitore versorgen. Zu jedem Oval gehört ein Patchfeld, das in einem Bodentank verborgen ist.
Jedem Oval fest zugeordnet ist eine Bildwand, die sich aus zehn LG 55LV75D Ultra-Narrow-Bezel-Displays mit Diagonalen von 55 Zoll in einer 5 × 2-Anordnung (B x H) zusammensetzt. „Die Videowände dienen in erster Linie dazu, auf bestimmte Ereignisse aufmerksam zu machen – konkrete Aktionen werden dann mithilfe der auf den Arbeitstischen stehenden Bildschirme ausgelöst“, erläutert Jörg Schmittroth. Da in das LEO MCC nur wenig Tageslicht über längliche Fensterelemente eintritt, werden die Bildschirme meist mit geringer Helligkeit betrieben, wofür die Leuchtdichte von 500 cd/m² ausreichend ist. Die Fenster lassen sich bei Bedarf mit Jalousien verdunkeln. Die Displaywalls verfügen an ihren Rändern über eine RGB-LED-Beleuchtung, welche durch unterschiedliche Farben die visuelle Orientierung im Raum begünstigt und den Weg zu einzelnen Programm-Teams weist.
Die mechanische Unterkonstruktion der Videowände wurde gegenüber dem GEO MCC modifiziert: Damit Servicearbeiten im Fall der Fälle so schnell wie möglich erledigt werden können, wurden die eine Etage höher zum Einsatz kommenden Push/Pull-Halterungen im LEO MCC durch eine von der welco AG angefertigte Sonderkonstruktion ersetzt. Letztere sorgt dafür, dass die gesamte Wand auf Knopfdruck elektromotorisch nach vorne abgesenkt werden kann, was den raschen Zugriff auf einzelne Bildschirme und die Verkabelung begünstigt.
Die Bildschirme, die auf den Arbeitstischen der Ovals aufgestellt sind, stammen ebenfalls von LG Electronics. Pro „Tisch-Banane“ sind zehn IPS-Displays des Typs LG 24BK550Y verfügbar. Mitarbeitende müssen pro Arbeitsinsel also 20 Screens bzw. insgesamt 30 Displays im Blick behalten, sofern man die Videowand mit in die Rechnung einbezieht. Welcher Bildschirm aktuell mit Tastatur und Maus verbunden ist, wird an den Arbeitstischen im GEO MCC über ein farbiges LED-Downlight angezeigt. AMX Relay-Interfaces des Typs EXB-REL8 steuern die LED-Downlights sowie Alarm-LEDs an der Bildwand an.
Um jeweils fünf Bildschirme respektive die zu ihnen gehörenden Rechner am Arbeitstisch zielsicher mit nur einer Tastatur und einer Maus bedienen zu können, hat SWiCA eine robuste Umschaltbox (Keypad) entwickelt, die per integriertem Bus-Koppler an eine AMX-Mediensteuerung angebunden sind: Fünf Taster (1–5 für fünf Displays) werden durch drei Taster zur Steuerung der Tonwiedergabe (lauter/leiser/Stummschaltung, Funktionen auch am Touchscreen verfügbar) ergänzt.
Dem Vernehmen nach kann die Hardware-Lösung auch langjährig im Kontrollraum tätige Mitarbeitende überzeugen, welche bislang eine separate Tastatur für jeden Bildschirm bevorzugt haben. Die Programmierung ist derart ausgelegt, dass es nicht möglich ist, mit einer Tastatur auf einen Rechner zuzugreifen, welcher bereits mit einer anderen Tastatur adressiert wird. AMX-Decoder für die Monitore sowie für Tastatur und Maus sind über Türen auf den Rückseiten der Arbeitstische zugänglich.
„Es kommt vor, dass sich ein Operator ein Videosignal von der Bildwand auf einen lokalen Monitor an seinem Arbeitstisch holen möchte, das Signal später aber wieder zurückgeschaltet werden soll“, berichtet Markus Schürmann. „Zu diesem Zweck haben wir eigens einen Speicherplatz geschaffen, auf dem das Setting zwischengelagert und später gelöscht wird – man kann dank der Zwischenspeicherung also bedenkenlos hin und her schalten, ohne sich merken zu müssen, welches Signal später wieder auf welchem Bildschirm erscheinen muss.“
Individuelle Settings, die sich ein Operator für seine Arbeit in einem Oval zurechtgelegt hat, lassen sich als Preset sichern. Ein solches Preset kann auch andernorts abgerufen werden, beispielsweise an einer anderen Arbeitsinsel. Es können sechs freie und sechs passwortgeschützte Speicherplätze belegt werden, so dass ein Operator unabhängig von seinem üblichen Arbeitsplatz in 20 bis 30 Sekunden einsatzbereit ist.
Im LEO MCC wird an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr gearbeitet. Damit beim Schichtwechsel eine möglicherweise veränderte Bilddarstellung schnell zurückgesetzt werden kann, ist per Touch-Befehl ein vollständiger Reset der Bildwände auf eine Default-Einstellung möglich. Eine Möglichkeit zur Anpassung der Helligkeit (25/50/75/ 100 Prozent) durch Mitarbeitende ist gegeben.
Bedingt durch die schiere Menge der im LEO MCC stattfindenden Vorgänge nehmen die Logfiles beachtliche Dimensionen an: Jeder Befehl aus jedem Oval wird protokolliert, und da die weiter oben erwähnten Presets intensiv genutzt werden, kommen bei etwa 240 Befehlen pro Preset und im Schnitt drei Nutzungen pro Oval während jeder Schicht größere Datenmengen zusammen. „Zur allgemeinen Überraschung hat sich herausgestellt, dass der Speicher nach sechs Wochen voll ist“, berichtet Markus Schürmann. „In Absprache mit AMX und dem deutschen Vertrieb Audio Pro haben wir eine Lösung gefunden, um die Unmengen der entstehenden Logfiles automatisiert oder per Touch-Befehl löschen zu können und auf diese Weise die Server nicht zu überlasten.“
Dreh- und Angelpunkt der IP-basierten Signaldistribution im LEO Mission Control Centre ist die SVSI-Produktfamilie von AMX, mit der SWiCA laut Markus Schürmann bereits seit 2012 in diversen Projekten gute Erfahrungen sammeln konnte. „Bezüglich der Komponentenauswahl war es wichtig, auf Kompatibilität mit den im GEO MCC verbauten Produkten zu achten“, so Markus Schürmann. „Das vereinfacht die Bevorratung beziehungsweise Bestellung von Ersatzteilen und stellt sicher, dass allerorts die gleiche hohe Qualität verfügbar ist. Das SVSI-System von AMX hat sich bereits im GEO MCC bewährt. Die Latenz wirft keinerlei Probleme auf, und die Full-HD-Auflösung mit 1.920 × 1.080 Pixeln ist für alle anfallenden Aufgaben ausreichend. SVSI ermöglicht das unabhängige Multicasting von Audio-, Video- und USB-Signalen, und das Management ist bei SVSI wirklich sehr ausgereift. Meines Wissens nach ist die Installation im LEO MCC das bislang größte in Europa realisierte AV-over-IP-Projekt.“
Als Master-Controller dient im LEO MCC ein AMX Netlinx NX-3200, zu dem ein AMX NX-1200 Controller als Slave gehört. Jedem Oval sind zwei NX-1200 zugewiesen, welche den Master entlasten und dafür sorgen, dass bei einem eventuellen Defekt nicht ein gesamtes Oval ausfällt. Der AMX Videocontroller SC-N8002 steuert als Web-basierte Steuerzentrale des SVSI-Systems alle Encoder (AMX MNX-ENC-N1133A), Decoder (AMX NMX-ENC-ENC1233A), Windowing-Prozessoren (AMX NMX-WP-N1512) und Audio-over-IP-Transceiver (AMX NMX-TR-N4321). Die meisten Encoder sind als Einschubkarten Frames (AMX NMX-ACC-N9206, jeweils sechs Karten) untergebracht. Der Videocontroller detektiert und managed sämtliche innerhalb des Systems angeschlossenen Geräte. Letztere sind in einer Datenbank hinterlegt, so dass Fremdgeräte selbst dann nicht gesteuert werden können, wenn die IP-Adresse übereinstimmen sollte. Der SC-N8002 wird im Hot-Standby mit einem zweiten Gerät des gleichen Typs betrieben (Master/Slave), welches im Fall der Fälle die Aufgaben der Master-Unit übernimmt – bei einem Ausfall dauert es etwa 40 Sekunden, bis der Ersatz-Controller das Geschehen vollständig kontrolliert. Der AMX Windowing Processor SVSI NMX-WP-N1512 aus der N1000-Serie fasst auf Wunsch bis zu vier eingehende Streams zu einem neuen Stream mit eigener IP-Adresse zusammen. Per Touchpanel kann ein Operator so beispielsweise in einem Quad-Layout vier unterschiedliche Bildinhalte gemeinsam auf einen Screen (Bildwand oder Arbeitsplatz) schalten.
Im vom Kontrollzentrum abgesetzten Technikraum konzentriert sich die Medientechnik in acht 19″-Schränken, in denen die Komponenten zwecks besserer Übersicht farbcodiert verkabelt und aussagekräftig beschriftet sind. Zu entdecken sind u. a. zahlreiche Shuttle Mini-PCs, auf denen Anwendungen von EUMETSAT in virtuellen Umgebungen laufen – die Remote-Terminals spiegeln entfernt im Rechenzentrum untergebrachte Workstations. Die Shuttle PCs stellen HDMI-Anschlüsse mit Bild und Ton (sowie parallel dazu analoge Audioausgänge für QSC Q-SYS I/O-8 Flex Expander) bereit, welche mithilfe von AMX SVSI in den Kontrollraum übertragen werden. Auch eine USB-Verbindung wird hergestellt. „Zu den Besonderheiten des Projekts gehört, dass keine externe Software auf den Rechnern von EUMETSAT laufen darf: Die in Darmstadt zum Einsatz kommenden Applikationen wurden speziell für die Steuerung von Satelliten geschrieben, und im Hintergrund dürfen auf gar keinen Fall Programme aktiv werden, welche die Funktion eventuell beeinträchtigen könnten“, erläutert Markus Schürmann. Zum SVSI-Netzwerk im LEO MCC gehören Cisco Switches.
Für eventuelle Ausfälle einzelner Komponenten ist man in Darmstadt gerüstet: Sowohl Bildschirme als auch Encoder und Decoder werden als Spare-Parts vorgehalten. Das für die Infrastruktur verantwortliche EUMETSAT-Team ist in der Lage, Geräte in eigener Regie auszutauschen und eine reibungslose Funktion innerhalb des Gesamtverbunds sicherzustellen.
Inhalte einzelner im LEO MCC vorhandener Bildschirme können gezielt zur externen Ansicht durch weitere Personen freigegeben werden, beispielsweise für Gästegruppen, die sich im durch eine Glasfront vom Kontrollraum getrennten Besucherbereich befinden. Jörg Schmittroth verwendet die Bezeichnung „House TV“, wobei die Begrifflichkeit im ersten Moment ein wenig irreführend ist, da keine Live-Kamerabilder aus dem Kontrollraum übertragen werden.
Genutzt wird „House TV“ nicht nur für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch, um Personengruppen am Geschehen teilhaben zu lassen, die sich nicht zwangsläufig im Kontrollraum aufhalten müssen: Stehen beispielsweise besondere Manöver wie ein Launch an, werden bis zu sechs Bildsignale („Channels“) über das Hausnetzwerk in entsprechend ausgestattete Büros des EUMETSAT Gebäudes übertragen. Die Übertragung erfolgt ausschließlich nach außen; aus Sicherheitsgründen ist ein Rückkanal nicht vorgesehen.
„Bei wichtigen Manövern war der Kontrollraum früher voll mit Personen, was nun nicht mehr unbedingt der Fall ist“, berichtet Jörg Schmittroth und weist darauf hin, dass sich die Möglichkeit zur Außenübertragung von Bildsignalen während der pandemiebedingten Zugangsbeschränkungen als außerordentlich hilfreich erwiesen hat. Möglicherweise wird es in Zukunft sogar gang und gäbe sein, Videosignale gesichert via VPN zu Entscheidungsträger:innen in deren Home-Offices zu übertragen. Interessant ist das „Advanced House TV“ sicher auch, um mit der Konstruktion von Satelliten befasste Unternehmen bzw. deren Test-Teams aus der Ferne in das lokale Geschehen einbinden zu können.
Da im Jahr 2025 aller Voraussicht nach eine hundertprozentige Auslastung des LEO Mission Control Centre erreicht werden wird, denkt man in „Hessens Tor zum Weltall“ (unter Lokalpolitikern beliebte Metapher) bereits laut darüber nach, wie sich GEO und LEO möglicherweise verbinden lassen – bei Wartungsarbeiten beispielsweise wäre es dann möglich, Fachkräfte vorübergehend im jeweils anderen Bereich unterzubringen.
„Wir sind unserer Zeit voraus!“, sagt Jörg Schmittroth mit einem Schmunzeln, bevor er zu einer Erläuterung ansetzt: „In beiden Mission Control Centren haben wir mehr Möglichkeiten, als wir aktuell benötigen. Allerdings ist jetzt schon absehbar, dass die Kapazitäten bald vollständig ausgeschöpft sein werden. Wenn im Jahr 2025 neue Satelliten an den Start gehen, bedeutet das für uns, dass die betreffenden Teams bereits ab 2023 ihre Technik einbauen und in den Kontrollräumen nutzen, um sich praxisnah vorzubereiten sowie bestmögliche Verfahrensweisen für ihre verantwortungsvollen Aufgaben festzulegen.“
„Alle sind glücklich!“, sagt Jörg Schmittroth über Reaktionen der Mitarbeitenden auf die umfassende Umgestaltung des LEO Mission Control Centre. „Wenn neue Leute zu uns kommen, sind sie immer ganz begeistert, in welchem Environment sie hier arbeiten dürfen.“
In der Tat ist das Erscheinungsbild des neu konzipierten Satellitenkontrollzentrums keineswegs nüchtern-konservativ oder gar altbacken. Vielmehr wirkt das sorgsam gestaltete Ambiente mit seiner tendenziell futuristischen Anmutung auf Erstbesucher:innen oft derart beeindruckend, dass sich nicht wenige Gäste dem Vernehmen nach spontan an die Kommandobrücke eines Raumschiffs erinnert fühlen – First Officer Spock von der USS Enterprise würde beim Blick auf das LEO MCC vermutlich „Faszinierend.“ sagen. Dabei geht es im neu gestalteten Kontrollzentrum trotz eines spektakulären Looks nicht um plakative Effekthascherei: Sämtliche Gestaltungsmaßnahmen sind begründet, so dass man bei EUMETSAT entspannt auf kritische Fragen zur Verwendung von Steuergeldern antworten kann.