Aus alt mach (fast wie) neu: Stadionbeschallung Aachener Tivoli
von Jörg Küster, Artikel aus dem Archiv vom
Ein bemerkenswertes Beispiel zum Thema „Pimp my Stadionbeschallung“ findet sich im Aachener Tivoli: Vorhandene Aktivlautsprecher wurden in Bezug auf die Elektronik entkernt, neu vermessen und anschließend mit externen Endstufen verbunden, wobei im gleichen Atemzug ein betagtes Audionetzwerkprotokoll durch Dante abgelöst wurde. Das Maßnahmen-Gesamtpaket inklusive umfangreicher Neuverkabelung sorgt heute rund um das Fußballfeld für Sicherheit und überzeugt auch hinsichtlich der Kosten/Nutzen-Relation.
Vergnügungspark, Lichtspieltheater, südkoreanisches Automodell oder italienische Stadt – sobald der Begriff „Tivoli“ fällt, stehen rasch vollkommen unterschiedliche Assoziationen im Raum. Hiesigen Fußballfans kommt in aller Regel die Heimspielstätte von Alemannia Aachen in den Sinn, welche die Grenzstadt im äußersten Westen Nordrhein-Westfalens mit einem großzügig dimensionierten Stadion bereichert. 32.960 Plätze, davon 11.681 Stehplätze, bieten reichlich Raum für Ballbegeisterte und werden durch 1.348 Business-Seats sowie 28 Logen ergänzt.
Fußballfreund:innen schätzen den Umstand, dass sie in unmittelbarer Nähe zum Spielfeld sitzen oder stehen können: Die erste Zuschauerreihe befindet sich gerade einmal 80 cm über Spielfeldniveau. Hinter den Toren sind Fans in der ersten Reihe nur 7,50 Meter vom Spielfeld entfernt, während es an den Seiten lediglich 6 Meter sind.
Das Aachener Tivoli ist Deutschlands größtes Ein-Rang-Stadion. Das markante gelbe Metalldach ist vergleichsweise tief platziert und befindet sich als Besonderheit unter der Tragekonstruktion, ist also nicht auf Letztere aufgelegt. Das Stadion wurde im August 2009 fertiggestellt und hat seither eine wechselvolle Geschichte durchlebt, die an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden soll.
Das Stadion besteht aus einem Materialmix, an dem Stahl, Beton und Glas wesentliche Anteile haben. Das tief heruntergezogene Trapezblech-Stadiondach bildet eine riesige Reflexionsfläche für Schall, was bei gutbesuchten Spielen Anfeuerungsrufe und sonstige Begeisterungsbetätigungen der Fans außerordentlich präsent wirken lässt: Gezielt wird ein Hexenkessel-Effekt begünstigt, wenn sich Emotionen auf den Tribünen vieltausendfach Bahn brechen.
Um mit der elektroakustischen Beschallung keine unnötige Anregung des Innenraums zu verursachen, sind die rundum verteilten Lautsprecher auf die Publikumsflächen ausgerichtet – dort stehende oder sitzende Fans bilden bei Spielen ein vorzügliches „Absorptionsmaterial“ (vulgo: Dämmfleisch) und sorgen dafür, dass das Dach für elektroakustisch erzeugte Schallanteile nicht störend als Reflektor in Erscheinung tritt. Die Lautsprecherpositionen sind in Aachen durch fixe Hängepunkte an den schwarz lackierten Querträgern des Stadiondachs vorgegeben.
Ursprünglich war im Tivoli eine passend dimensionierte Prosound-Anlage (so nennt sich das in Fußballtempeln …) von Renkus-Heinz installiert, welche von der als Systemintegrator auftretenden Scanvest Deutschland GmbH aus Köln-Frechen konzipiert und vom damaligen deutschen Distributor Atlantic Audio geliefert wurde. Verwendung im Innenraum des Stadions fanden (und finden) 57 Lautsprecher mit gelber Sonderlackierung, darunter 17 × Renkus-Heinz ST7/94R, 17 × Renkus-Heinz ST 7M/94 und 12 × Sygma SG151. Die Modelle ST7 und ST7M (ohne Tieftöner; das „M“ steht für Medium) sind alternierend aufgehängt, wobei die kleineren Modelle leicht nach oben weisen und die oberen Tribünenbereiche beschallen. Die Zweiwege-Systeme der Sygma-Serie hingegen beschallen die vier Tribünenecken (Fills). Weiterhin werden 6 × SG121 (Fullrange-Fill zur Beschallung der VIP- und Pressetribünen) und 5 × SG121 (Fullrange-Fill zur Beschallung hinter den Videowänden) verwendet. Bei den Lautsprechern handelte es sich zum Zeitpunkt der Auslieferung um Self-Powered-Modelle, die vormals über RHAON (Renkus-Heinz Audio Operations Network) angesprochen wurden und digitale Audiosignale via CobraNet erhielten.
Zehn Jahre nach der Installation machten sich in der Beschallungsanlage Malaisen unterschiedlicher Art bemerkbar, welche den Verantwortlichen Sorgenfalten auf die Stirn trieben – immerhin ist die Prosound-Anlage sicherheitsrelevant, da sie im Fall einer eventuell erforderlichen Stadionevakuierung eine zentrale Funktion innehat. „Es bestand Handlungsbedarf, da wir zunehmend mit Ausfällen einzelner Komponenten zu kämpfen hatten“, berichtet M.Sc. Wirtschaftsingenieur Jan Knörnschild. Knörnschild ist im Rahmen seines Studiums aus Franken ins „Öcher Land“ übersiedelt und arbeitet heute im Tivoli als Projektleiter sowie als Referent von Geschäftsführer Bernhard Deil. Mit Aufgaben rund um die Beschallungstechnik (und anderem mehr …) ist auch Stefan Reitz befasst, der unter anderem für Stromplanung und Leitungsverlegung verantwortlich zeichnet. Knörnschild und Reitz sind für die Aachener Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH tätig. Die ASB ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt Aachen und kümmert sich seit 2015 um den kaufmännischen, technischen und organisatorischen Betrieb des Tivoli Stadions.
Jan Knörnschild lässt sich Details entlocken: „Immer wieder haben wir Endstufenmodule ausgebaut und in Solingen von Hermann Daun (früherer Werkstattleiter von Atlantic Audio; Anm. d. Red.) reparieren lassen. In diesem Zusammenhang wurde klar, dass die Probleme mit den Aktivlautsprechern vorrangig auf dem Eindringen von Feuchtigkeit beruhten.“ Zwar waren die Elektronik-Module passend zum Outdoor-Einsatzort mit Silikon abgedichtet, doch der für CobraNet gedachte Abschnitt erwies sich als Schwachstelle, über welche Wasser Zugang zum Boxeninneren fand – steter Tropfen höhlte in diesem Fall nicht den Stein, sondern die Leiterplatten, und einzelne Platinen waren derart stark geschädigt, dass keine Reparatur mehr möglich war. Beim US-amerikanischen Hersteller wurden nach zehn Jahren keine Ersatzteile mehr vorgehalten.
Als Lichtstreif am Horizont erwies sich der Umstand, dass die Elektronik zwar marode war, Tieftöner und Treiber jedoch noch anstandslos ihren Dienst verrichteten und auch die Gehäuse die Dekade im Dach ohne nennenswerte Blessuren überstanden hatten. Der Gedanke, neue Elektronikmodule – welcher Art auch immer – in die gelben Gehäuse einzubauen, wurde verworfen, um nicht in zehn Jahren erneut vor einem ähnlich gelagerten Problem zu stehen. „In einem Stadion machen Aktivlautsprecher meist nur Ärger“, bringt Anselm Goertz seine Auffassung auf den Punkt. Goertz war von den Verantwortlichen kontaktiert worden, um mögliche Lösungsansätze für die missliche, den Stadionbetrieb zunehmend gefährdende Situation zu finden.
Das IFAA – Institut für Akustik und Audiotechnik übernahm schließlich unter Leitung von Anselm Goertz die Planung für eine Revitalisierung der Beschallungsanlage in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der Aachener Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH. Mit der Ausführung wurde im März 2021 begonnen, und die Abnahme erfolgte im August des gleichen Jahres, so dass die runderneuerte Anlage zu Saisonbeginn spielbereit war.
Die Entscheidung, die „unendliche Reparaturgeschichte“ (Zitat Goertz) zu beenden, fiel bereits im Jahr 2019, als unübersehbar wurde, dass auch die über das Stadiondach verlegten CobraNet-Netzwerkkabel verrotteten: „Bei der ursprünglichen Installation wurden Innenraumkabel verlegt, die den Unbilden des Wetters sowie dem UV-Licht nach zehn Jahren nichts mehr entgegenzusetzen hatten“, berichtet Stefan Reitz. „Die Außenisolierung der Netzwerkkabel zerbröselte, sobald man sie anfasste.“ Jan Knörnschild ergänzt: „Es stand außerhalb jeder Diskussion, dass nun wirklich etwas passieren musste – die Frage lautete, wie die Aufgabe am besten zu lösen wäre.“
Line-Arrays oder Speaker-Cluster aufzuhängen, ist im Tivoli keine Option: „Die Beschaffenheit des Dachs macht es unmöglich, mehr als die bereits vorhandenen Lasten einzubringen“, erklärt Jan Knörnschild. Auch finanzielle Erwägungen fanden Eingang in die Audio-Gedankenspiele: „Hätten wir neue Lautsprecher angeschafft, wären wir bei Kosten von mehr als einer Million angelangt, was den verfügbaren Budgetrahmen gesprengt hätte“, sagt Jan Knörnschild. Für die Revitalisierung der Audioanlage wurden letztlich mit allem Drum und Dran rund 370.000 Euro ausgegeben, also deutlich weniger als die Hälfte der bei einer Neuanschaffung zu entrichtenden Summe.
Viele Arbeiten wurden vom Stadion-Team in Eigenleistung erledigt: So baute die Crew mit Unterstützung der Firma Lightemotions und deren Eigentümer Leo Künne unter anderem die alten Endstufenmodule aus den Lautsprechern aus und verschloss die offenen Rückseiten anschließend mit Alu-Dibond-Verbundplatten, welche in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Brandschutzbeauftragten gewählt wurden. Die Arbeiten mussten in luftiger Höhe auf einem Steiger vorgenommen werden, da im Aachener Stadion kein Catwalk vorhanden ist – alle Lautsprecher abzuhängen und auf dem Boden zu modifizieren, wäre laut Stefan Reitz zu aufwendig gewesen. An den neu angebrachten Deckplatten ist heute lediglich eine abgedichtete Öffnung für die zu den Chassis führenden Kabel vorhanden, welche intern über WAGO-Installationsklemmen angeschlossen sind. Letztere ersetzen die im Originalzustand zum Einsatz kommenden Klemmen aus der US-amerikanischen Autoindustrie.
Die Aktivlautsprecher wurden vormals mit Netzwerkleitungen und Strom versorgt. Während der Umbauphase waren in einem ersten Schritt alle nicht mehr benötigten Leitungen aus den um das Dach führenden Kabelbrücken zu entfernen. Anschließend wurden von einer Fachfirma in einem zeit- und kostenintensiven Prozess für den Outdoor-Einsatz spezifizierte Lautsprecherleitungen aus dem Portfolio von Sommer Cable verlegt, die in ihrer Beschaffenheit sämtlichen Brandschutzanforderungen genügen.
Früher auf dem Dach befindliche Verteilerschränke mit Netzwerk-Switches wurden demontiert und durch neue, 2,50 Meter hohe Schränke ersetzt, welche heute unterhalb des Dachs am oberen Ende des Tribünenbereichs platziert sind und von Gittern gegen Vandalismus geschützt werden. Hintergrund ist, dass die Dachkonstruktion keine zusätzlichen Lasten (konkret: jeweils fünf bis sechs Endstufen, drei Switches und weitere Elektronik) getragen hätte. Geeignete Kabelwege für die neuen Positionen mussten geschaffen werden, wobei die Brandschutzbestimmungen zu berücksichtigen waren.
Zum Einsatz kommen in den Schränken heute achtkanalige IPX10:8-Endstufen aus dem Portfolio von Dynacord, welche die Verantwortlichen mit Aspekten wie einem modernen Class-D-Schaltungskonzept inklusive hohem Wirkungsgrad, praxisbekannter Zuverlässigkeit sowie einem vergleichsweise geringen Stromverbrauch in den Ruhephasen überzeugen konnten. Letzteres ist (nicht nur in Zeiten explodierender Strompreise) ein wichtiger Punkt, da sich die sicherheitsrelevante Prosound-Anlage auch jenseits von Spielen rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche im Standby-Modus befindet. Das integrierte DSP-System der IPX10:8-Endstufen stellt Filterfunktionen für digitale IIR- und FIR-Filter sowie mehrstufige Limiter zum Schutz der Lautsprecher vor Überlastung bereit.
Jeder Schrank verfügt über zwei unabhängige Zuleitungen für Strom (doppelt gepuffert über Akku/Generator) und Netzwerk, welche getrennt voneinander unterschiedliche Verstärker versorgen, so dass bei einem unerwartet auftretenden Fehler mit großer Wahrscheinlichkeit nicht alle Amps gleichzeitig tangiert werden. Die Ausgänge der Verstärker treiben darüber hinaus die Lautsprecher derart an, dass bei einem eventuellen Ausfall einer Endstufe keine größeren Versorgungslöcher im Stadionrund entstehen.
Insgesamt wurden vier Amp-Cities an unterschiedlichen Positionen eingerichtet, wodurch die Kabellängen zwischen Endstufen und Lautsprechern überschaubar ausfallen und maximal Längen von 110 Meter erreichen. Die Rittal-Schänke sind selbstverständlich klimatisiert und somit für den zuverlässigen Betrieb der Elektronik im Sommer wie im Winter gerüstet.
Da erwartungsgemäß keine Controller-Settings für die vormals self-powered betriebenen Renkus-Heinz-Speaker existierten, wurden die im Stadion zum Einsatz kommenden Lautsprechertypen von Anselm Goertz im IFAA-Messlabor analysiert. Für die Erstellung neuer Controller-Funktionen mit Filtern und Limitern wurden exakte Messwerte ermittelt, was nur in reflexionsfreier Umgebung möglich ist, da die Messungen andernfalls durch Reflexionen aus dem Umfeld verfälscht werden würden. Von jedem Lautsprechertyp wurde daher eine Box im Stadion demontiert und ins Messlabor gebracht. Der Raum ist oberhalb von 100 Hertz reflexionsfrei und erlaubt Messentfernungen von bis zu 8 Meter, so dass auch größere Lautsprecher wie das Modell ST7 problemlos gemessen werden können. Alle Wege jedes Lautsprechertyps wurden im Labor separat ohne Filter gemessen. Ermittelt wurden der Frequenz- und Phasengang sowie der Impedanzverlauf in Amplitude und Phase. Aus den Messergebnissen konnten geeignete Einstellungen für einen externen Controller abgeleitet werden.
Das Modell ST7 (2 × 12″ plus 1 × 10″ und 1 × 2″ in Koax-Anordnung an 90×40-Horn) wird mit vier Endstufenkanälen betrieben (LF1, LF2, MF, HF). Die anderen RH-Lautsprecher nutzen jeweils zwei Endstufenkanäle, so dass rein rechnerisch 148 Endstufenkanäle erforderlich sind. Im Stadion verbaut wurden letztlich jedoch 21 achtkanalige Endstufen mit insgesamt 168 Kanälen. Die 20 nicht genutzten Kanäle ergaben sich durch die Aufteilung der Endstufen auf die vier Schränke sowie die Zuordnung der Lautsprecher.
Die Entzerrung der einzelnen Lautsprecherwege sowie die Crossover-Funktionen wurden mit linearphasigen FIR-Filtern realisiert. Erstellt wurden Letztere mit der Four Audio System-Software, anschließend in die IRIS-Net Software-Plattform und von dort in die DSP-Module von Dynacord IPX10:8-Endstufen übertragen. Bei der Einmessung wurden IIR-Filter behutsam zur Anpassung des Gesamtsystems genutzt: „Wenn Lautsprecher in sich schon stimmig sind, sind nur noch kleine Korrekturen erforderlich“, so Anselm Goertz.
Zur Prüfung der neuentwickelten Setups wurden im Labor Kontrollmessungen mit den Musterlautsprechern durchgeführt. Gemessen wurde neben dem Frequenzgang zum Test der Limiter auch die Maximalbelastung. Dazu wurde ein Multisinussignal mit EIA-426B-Charakteristik eingesetzt, dessen Signalspektrum dem eines durchschnittlichen Musiksignals entspricht. Gleiches gilt für den Crest-Faktor (Spitzenwert zu Effektivwert), der mit 4 (= 12 dB) ebenfalls einem üblichen Musik- oder Sprachsignal entspricht.
Das eher unkonventionelle Lautsprecher-Treatment wurde vom Hersteller unterstützt, wie Anselm Goertz berichtet: „Schon bei früheren Reparaturen haben wir von Renkus-Heinz alle Pläne erhalten, und die neue Nutzung der Lautsprecher im Aachener Tivoli wurde einschränkungslos für gut befunden“, sagt Goertz über den Kontakt mit Firmenchef (bzw. Sr. Vice President) Ralph Heinz.
Im Innenraum des Stadions wird die Prosound-Anlage im Notfall zur Alarmierung eingesetzt, während in anderen Arealen eine ELA-Anlage mit mehr als 1.000 verteilten Lautsprechern für Sicherheit sorgt. Das Sprachalarmierungssystem stammt von TOA Electronics (VX-2000) und beinhaltet Sprechstellen an unterschiedlichen Positionen.
Über die TOA-Brandmeldeanlage können mehrere Rufkreise (RK) angesprochen werden:
RK1 Osttribüne Zone 1
RK2 Nordtribüne Zonen 2, 3 und 4
RK3 Westtribüne Zone 5
RK4 Südtribüne Zonen 6, 7 und 8
Gästeblock Zone 4
Alarm von der Brandmeldezentrale alle Zonen
Die Rufkreise RK1 bis RK4 sowie der Gästeblock können über die Sprechstellen der TOA-Anlage ausgewählt und angesprochen werden. Ebenso kann ein Sammelruf getätigt werden.
Ein automatischer Alarm von der Brandmeldezentrale (BMZ) erfolgt nur dann, wenn die Leitstelle des Stadions nicht besetzt ist. Entsprechende Ansagen befinden sich im Sprachspeicher der BMZ und werden von dort abgespielt. Da eine automatische Alarmierung lediglich außerhalb von Veranstaltungen bei nicht besetzter Leitstelle erfolgt, ist der Alarmpegel gegenüber den direkt über die Sprechstelle abzusetzenden Ansagen im Pegel reduziert – es befinden sich ja keine größeren Personenzahlen im Stadion. Der Wert der Pegelabsenkung kann in der Bediensoftware im nicht frei zugänglichen Bereich (Ebene „Alarm“ mit Passwort) eingestellt werden.
Die Signalzuspielung aus der TOA Brandmeldeanlage erfolgt parallel an zwei Matrix-Mischer (siehe unten) und ist zwecks Überwachung mit einem Pilotton belegt. Da die TOA-Anlage keinen konstanten Pilotton an ihren Ausgängen erzeugen kann, wird dieser vom primären Matrix-Mischer erzeugt und über vier analoge Ausgänge an eine spezielle Direct-In-Karte (TOA VP-200VX-BGM) weitergereicht, von wo er in die vier Rufkreise der TOA-Anlage gelangt. Das TOA-System stellt seine Ausgangssignale über 100V-Endstufen bereit, deren Signale mit Übertragern (TOA ATT-100VI) auf Line-Pegel reduziert und auf die analogen Eingänge 1 bis 4 der beiden Matrix-Mischer geleitet werden.
Bei den erwähnten Matrix-Mischern handelt es sich um Dynacord MXE5 Matrix-Mix-Engines. Die 19″-Audiomatrix (1 HE) mit 24 × 24 Kreuzpunkten bietet umfassende Routing- und Mixing-Funktionen, verfügt über zwölf analoge Mikrofon/Line-Eingänge sowie acht Line-Ausgänge und unterstützt 24 Dante-Audiokanäle. Gleichzeitig ist die MXE5 Kommunikationszentrale für alle IP-basierten Peripheriegeräte und ermöglicht eine umfassende Überwachung aller systemübergreifenden Steuerungsfunktionen. Im Tivoli Stadion wird mit einer Abtastrate von 48 Kilohertz gearbeitet.
Die MXE5 Matrix-Mix-Engines sind aus Sicherheitserwägungen doppelt vorhanden: Beide Geräte (Main/Backup) laufen permanent mit exakt gleichen Einstellungen. Detektiert eine Endstufe, dass sie von der primären MXE5-Matrix keinen 20-kHz-Pilotton mehr erhält, wird automatisch auf die zweite verfügbare MXE5-Unit umgeschaltet. Der Pilotton wird vor dem Leistungsteil der Endstufen durch ein Notch-Filter aus dem Audio-Content entfernt. Beide Matrix-Mischer spielen jeweils acht Signal-Feeds in das Netzwerk, welche sich auf folgende Tribünenbereiche (Zonen) beziehen:
Zone 1: Ost-Tribüne
Zone 2: Ecke Nord-Ost
Zone 3: Nord-Tribüne
Zone 4: Ecke Nord-West (Gästeblock)
Zone 5: West Tribüne (mit VIP und Presse)
Zone 6: Ecke Süde West
Zone 7: Süd Tribüne
Zone 8: Ecke Süd-Ost
Die MXE5-Matrix lässt sich über die neue Sonicue Sound-System-Software adressieren, welche bei Bosch Communications künftig die Steuerung aller vernetzten Geräte innerhalb eines Systemverbunds übernehmen soll. Produkte wie die MXE5 sind bereits vollständig eingebunden, während Endstufen wie das Dynacord Modell IPX10:8 lediglich in Teilbereichen mit der neuen Software programmierbar sind. Erwünschte Funktionen wie die Überwachung einzelner Endstufenkanäle wurden von Anselm Goertz daher unter Einbindung der etablierten IRIS-Net Software-Plattform realisiert.
Aus der Regie ist im normalen Spielbetrieb der Zugriff auf die Sound-System-Software Sonicue mittels einer übersichtlich gestalteten Bedienoberfläche mit Stadion-Grundriss möglich – beispielsweise, um nicht mit Personen besetzte Areale von der Beschallung auszuklammern. Da Alemannia Aachen aktuell in der vierten Liga spielt, können bei Matches im Tivoli durchschnittlich 6.000 Gäste begrüßt werden, so dass viele Tribünenplätze frei bleiben und aus naheliegendem Grund nicht beschallt werden sollen. „Wir schalten einfach die Bereiche ab, die nicht genutzt werden“, erklärt Jan Knörnschild. Detailliertere Eingriffe in das Beschallungssystem bleiben bei der Sonicue Sound-System-Software dem geschützten Administrator-Modus vorbehalten.
Statt dem inzwischen in die Jahre gekommenen CobraNet ist im Aachener Tivoli heute Audinate Dante das Audioprotokoll der Wahl. Zuspielungen und Mikrofonsignale aus der Stadionregie (zurzeit insgesamt zehn Feeds) oder aus einem Medienwagen werden per Dante in die MXE5 überspielt und von dort ebenfalls via Dante den Endstufen zugeführt. Sowohl MXE5 als auch die Leistungsverstärker sind mit dem Dante Brooklyn-II-Modul ausgerüstet und unterstützen die Übertragung von Primary- und Secondary-Port samt automatischer Umschaltung. „Wir haben konsequent auf Redundanz und eine doppelte Verkabelung bis in die Endstufen geachtet“, merkt Jan Knörnschild an.
In jedem Verstärkerschrank sowie in die Zentrale sind je zwei Switches des Typs Cisco SG350-10 zu finden, welche mit den primären bzw. sekundären Netzwerkschnittstellen der Geräte verbunden sind. Die Switches der vier Schränke sind dabei sternförmig über LWL mit der Zentrale verbunden. Somit existieren zwei vollständig unabhängige Netzwerke, die vom Dante-System als primäre und sekundäre Struktur genutzt werden. Sobald das primäre Netzwerk eine Störung aufweist, schaltet das Dante-Netz automatisch verzögerungsfrei auf das sekundäre Netz um. Alle Geräte im Dante-Netz wurden dazu im „Glitch Free“-Modus konfiguriert.
Auch die sicherheitsrelevante Ansteuerung aus der Brandmeldezentrale erfolgt doppelt über Dante. Um unerwünschte Manipulationen durch stadionfremde Techniker:innen zu unterbinden, die sich bei Veranstaltungen auf das Dante-Netzwerk aufstecken und anschließend möglicherweise Freude am Experimentieren mit der Netzkonfiguration entwickeln, kommt ein Dante-Gateway Bosch OMN-DANTEGTW zum Einsatz. Das Gateway reicht Dante-Feeds gemäß seiner Konfiguration unverändert bidirektional weiter, verhindert aber den netzwerkübergreifenden Zugriff (Regie-Netz vs. „Dynacord-Netz“ für die Beschallungsanlage) auf die Konfigurationseinstellungen. „Eine Hardware-Lösung ist mir an dieser kritischen Stelle deutlich lieber als der Dante Domain Manager“, kommentiert Anselm Goertz.
Da es sich bei der Beschallungstechnik im Stadion um eine sicherheitsrelevante Anlage handelt, wurde sie abschließend durch einen sachverständigen Prüfer abgenommen. Dieser beschrieb die Anlage gemäß Aussage von Bernhard Deil als „eine der besten Stadionbeschallungsanlagen“, die er in den vergangenen Jahren prüfen durfte, und bescheinigte ihr „eine hervorragende Sprachverständlichkeit und Klangqualität“. Der Geschäftsführer der Aachener Stadion Beteiligungsgesellschaft mbH zeigt sich ob des Lobs aus berufenem Munde erfreut: „Sehr gute und motivierte Mitarbeitende, gepaart mit geballter Kompetenz aus Wirtschaft und Wissenschaft, haben im Tivoli eindrucksvoll aufgezeigt, dass Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und ein sehr gutes Ergebnis keine Gegensätze sein müssen“, konstatiert Bernhard Deil.
In einer Zeit, in der nachhaltiges Wirtschaften nicht nur bei jungen Angehörigen der „Generation Greta“ hoch im Kurs steht, präsentiert sich das Aachener Tivoli-Stadion als Trendsetter: „Upcycling“ lautet das hippe Buzzword der Stunde. Auch andere deutsche Stadien haben entsprechende Möglichkeiten bereits erkannt und die Aufwertung von vorhandenem Technikmaterial in Angriff genommen. Die Maßnahmen überzeugen dabei auch Menschen, die mit oft unter dem Kürzel ESG zusammengefassten Kriterien eher wenig anfangen können: Werden in Stadien etwa rund um die Uhr laufende „19-Zoll-Heizkraftwerke“ durch Endstufen neueren Typs ersetzt, kann unter Verweis auf rasant steigende Strompreise überzeugend dargelegt werden, in welch kurzer Zeit sich eine Investition alleine in Bezug auf den Stromverbrauch amortisiert.
Im Aachener Tivoli Stadion wurde durch das „Upcycling“ der Beschallungsanlage nicht nur der Verbrauch von Ressourcen reduziert, sondern auch das Budget wurde erheblich geringer strapaziert, als es bei einem Komplettaustausch aller Komponenten der Fall gewesen wäre. Losgelöst von pekuniären Aspekten kommt die überarbeitete Beschallungsanlage in puncto Klang hervorragend an: Jan Knörnschild berichtet sichtlich angetan über durchweg positive Rückmeldungen, die von ganz unterschiedlichen Personen an ihn herangetragen wurden und werden. Hörbare Beeinträchtigungen der Wiedergabe, welche vor dem Umbau immer wieder bedingt durch den Ausfall einzelner Komponenten oder nicht korrekt funktionierende Übertragungswege auftraten, konnten erfolgreich ausgeräumt werden. Insbesondere die Sprachverständlichkeit hat sich nach Knörnschilds Worten wesentlich verbessert, und auch die Musikwiedergabe überzeugt inzwischen wieder auf ganzer Linie. Jan Knörnschild fasst zusammen. „Wir freuen uns, dass das komplexe Vorhaben preislich stemmbar war und wir eine hervorragende Qualität erreichen konnten. Alle Beteiligten haben in absolut angenehmer Art und Weise harmonisch zusammengearbeitet, was dem Ergebnis ohne Frage zuträglich war. Wir sind absolut zufrieden!“