Anruf eines Partners: „Ich brauche ganz dringend Ihre Hilfe. Das Projekt muss Freitag angeboten werden, und ich habe da ein Verständnisproblem. Können Sie morgen nach Hamburg kommen und das Projekt mit mir und meinen Kollegen durchgehen?“ Wenn Sie nun in Pinneberg Ihren Firmensitz hätten, wäre nur Ihr Terminkalender das Problem. Ist Ihre Firma aber in Uhingen in Baden-Württemberg, dann wird es kompliziert, teuer und extrem nervig. Aber der Kunde ist König, also geben Sie Ihr Bestes …
(Bild: COMM-TEC)
Inhalt dieser Kolumne:
Anfang der 1980er-Jahre habe ich zum ersten Mal eine solche Herausforderung technisch gelöst: mit einer Videokonferenz. Dazu musste ich nur knapp 50 km von Iserlohn nach Dortmund fahren und das dortige Bundespost Videokonferenzstudio betreten. In dem aufwendig gestalteten Raum wurde von einer zentralen Vermittlungsstelle – es gab nur eine in Deutschland – über ein posteigenes Glasfasernetzwerk die Verbindung zu einer Gegenstation in Frankfurt hergestellt.
Die Prozedur erinnerte ein wenig an eine Eurovisions-Schaltung von „Spiel ohne Grenzen“. Als dann die Verbindung stand, konnte ich mit meinem Zeitlupengegenüber, der von Oberursel nach Frankfurt gefahren war, das technische Problem diskutieren, eine Lösung skizzieren und Vorschläge unterbreiten.
Auf der Rückfahrt habe ich dann überlegt: Die Zeitlupe resultierte aus den verwendeten Kompressionsalgorithmen, weil selbst die gigantische Datenrate von 2 Mbit/s der Glasfaserverbindung für unkomprimiertes Video nicht ausreichte. Da außer der Post niemand ein Glasfasernetzwerk in Deutschland hatte, war Videokonferenz ähnlich exotisch wie ein Flug mit der Concord nach New York: teuer, unbequem, aber sexy. Doch was wäre, wenn in jedem Büro …
Heute alles easy, oder?
Zeitsprung zurück zu meinem Partner in Hamburg: 35 Jahre Entwicklung, 300 Mbit per LTE, Kompressionsverfahren vom Feinsten, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher in jedem Laptop, Phablet oder Smartphone. Sollte doch kein Problem mehr sein, oder?
Ohhhhh doch! Es gibt eigentlich nur eine Situation, die problemlos ist: Wenn eine Seite über keine Lösung verfügt. Hört sich bekloppt an, ist aber so. Denn dann muss die eine, unbeleckte Seite einen Was-auch-immer installieren, die Verbindung wird aufgebaut, und dann steht sie. OK, bis dann keine Rückkopplung mehr das Großraumbüro akustisch lahmlegt, die richtige der drei verfügbaren Kameras ausgewählt wurde und die Beleuchtung und Sitzposition so gewählt ist, dass die andere Seite etwas erkennen kann, dauert es schon ein wenig. Aber hey: In der Regel kostet das weniger Zeit als die Parkplatzsuche am Flughafen Stuttgart.
Schwierig wird es, wenn beide Seiten eine eigene Lösung haben und noch nie miteinander konferiert haben. Das führt dann zu skurrilen Situationen. Wir setzen hausintern eine fantastische Lösung ein, die ohne „spezielle“ Hardware funktioniert. Auf PCs in unseren Konferenzräumen sind diese Lösungen installiert, unsere Kollegen im Außendienst und unsere Kollegen im Homeoffice konferieren auf Knopfdruck mit Uhingen. In dringenden Fällen fährt der Kollege, der im Auto unterwegs ist, auf den nächsten Rastplatz, stellt sein Handy durch das Lenkrad quer in sein Armaturenbrett und nimmt an einer Sitzung teil, als wäre er dabei. Schöne neue Welt.
Wenn Fremdsysteme ins Spiel kommen
Ganz anders aber, wenn die Gegenstation über ein anderes, genauso fantastisches System verfügt. Dann beginnt nämlich der Albtraum. Natürlich haben alle Hersteller einen Zettel/PDF, wo genau drinsteht, was zu tun ist, damit die Gegenseite eine Verbindung bekommt.
Beispiel gefällig? „Wählen Sie die folgende IP-Adresse, um auf das Gateway zu gelangen: 44.225.168.175. Das Gateway wird Sie nun grafisch als auch akustisch fragen, ob Sie einem Raum beitreten oder jemanden direkt anrufen wollen. Wählen Sie nun ,1‘ und geben die folgende Raumnummer ein 4711007.“
Alles verstanden? Wunderbar. Schon mal gemacht? Nein: Viel Spaß! Ja: Ich wette, es hat nicht beim ersten Mal funktioniert! Und der Kollege, der sich damit auskennt, ist entweder im Urlaub, telefoniert oder macht eine Videokonferenz. Natürlich funktioniert es irgendwann mal, und wer dann die Technik nutzt, ist begeistert. Bild und Ton sind gut, die Verbindung stabil – wenn Sie nicht gerade im ICE sitzen.
Aber warum muss der Verbindungsaufbau mit Fremdsystemen so kompliziert sein? Stellen Sie sich vor, Sie müssten beim Mobiltelefonieren diesen Blues vollziehen, wenn Sie jemanden anrufen, der bei einem anderen Provider Kunde ist. Moment mal: Ist das vielleicht der Sinn dahinter? Machen die Hersteller das bewusst so kompliziert? Frei nach dem Motto: „Warum nutzt du nicht mein System, dann hast du diese Probleme nicht!“
Wie dem auch sei: Ich wünsche mir, dass sich die Hersteller der Systeme entweder an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Schnittstelle definieren. Oder aber, dass Brüssel eingreift und sich mal zur Abwechslung nicht über den maximalen Biegeradius von mittelgroßen Schlangengurken Gedanken macht, sondern über eine Richtlinie, die die Hersteller eines zeitgemäßen Kommunikationsmediums zwingt, kompatibel zu sein. Und zwar anrufkompatibel. Aber ich träume ja auch noch von aufrollbaren OLED-Folien.
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