Uwe Röddinger spricht Klartext

Noise Masking – Sei mal still, bitte!

C5-Senke: Vernichtende Diagnose für einen Musikliebhaber, Audiospezialisten und Perfektionisten in Bezug auf Lautsprecherwiedergabe. Aber nicht zu ändern: Bekanntlich zählen die Zellen in unserem Gehör, die Geräusche in Nervenimpulse wandeln, zu den wenigen Zellen, die sich nicht regenerieren können. Oder anders – das Tinnitus-Pfeifen, das Sie nach dem Rockkonzert lange Zeit „gehört“ haben, ist die Frequenz, die Sie ab sofort nie wieder hören werden!

Uwe Röddinger
Uwe Röddinger (Bild: Comm-Tec)

C5-Senke bedeutet im Prinzip Schwerhörigkeit, ich kann einer Unterhaltung in unruhigen Räumen fast nur dann folgen, wenn ich die Lippen meines Gesprächspartners sehen und damit lesen kann. Nun ist es so, dass unser Gehirn in Lage ist, derartige Handicaps weitestgehend zu kompensieren. Das Hörzentrum in meinem Gehirn leistet die meiste Zeit Schwerstarbeit, um Unterhaltungen zu verstehen.

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Dummerweise tut es das aber immer, rund um die Uhr! Wenn ich also in meinem Büro sitze (800 m2, 5 m Deckenhöhe, Glas, Beton, Stahldecke, Alu-Wände, Blech regale) und versuche mich zu konzentrieren, arbeitet mein Gehirn mit Hochdruck daran, die vier im Hintergrund geführten Telefonate zu VERSTEHEN. Wenn dann die Wogen etwas höher schlagen, summiert sich das an meinem Arbeitsplatz zu fünf bis sechs Stimmen und einem Geräuschpegel von 55 bis 60 dB (unbewertet, iOS App).

Ich weiß, dass eine Reihe von normal hörenden Kolleginnen und Kollegen dann auch „einen Vogel kriegen“. Mache ich dann den Fehler und verwende meine Hörgeräte, die in einer normalen Umgebung prima funktionieren, dann geht gar nichts mehr. Nach einer Stunde bin ich so erschöpft wie nach einem achtstündigen Seminar als Referent.

Wenn es mal wieder richtig schlimm ist, wende ich einen Trick an. Ich habe mir eine Audiodatei gebastelt: Rosa Rauschen, meinem Ohr-Frequenzgang angepasst, als Loop endlos abgespielt. Dann per Knopfhörer, oft auch nur mit einem 1-seitigen Headset auf die Ohren. Und zwar gerade so laut, dass die Verständlichkeit meiner Kolleginnen und Kollegen gerade verloren geht. Es wird zwar nicht leiser dadurch – ganz im Gegenteil! Aber mein Gehirn versucht nicht mehr zu verstehen! Das fühlt sich etwa so an, wenn Sie Ihr Auto auf die Autobahn beschleunigen, die Gänge voll ausdrehen, um dann mit Reisegeschwindigkeit bei fast Leerlaufdrehzahl über die Autobahn zu cruisen. Die Arbeit geht mir sofort leichter von der Hand.

Wenn Sie so wollen, habe ich mir eine DIY Noise Masking App gebaut. Die Idee zu Noise Masking ist ja nicht neu oder besonders. Anfang der 90er schon habe ich mit amerikanischen Herstellern gesprochen, die diese Technologie in den USA erfolgreich vermarktet haben. Aber alle Versuche, derartige Produkte nach Europa zu holen, sind gescheitert. Warum? Nun, niemand wollte sie haben! Ich habe mehrfach Marktanalysen erstellt, habe mich mit Architekten, Planern und Systemintegratoren unterhalten und die Frage gestellt: Warum wollt ihr das nicht?

Die Antworten waren vielfältig: Zu teuer, Erfolg nicht garantiert, Betriebsräte laufen Sturm (Mikrofone messen Pegel, um Noise Masking zu steuern – mit Mikrofonen kann abgehört werden!), falsch eingepegelte Systeme haben der Anwendung geschadet, statt den Menschen zu helfen, und und und. Die Gründe waren vielfältig, lagen aber immer in der theoretischen Akzeptanz. Keiner meiner Gesprächspartner hat auch nur darüber nachgedacht, sich selbst davon zu überzeugen!

Erst letztes Jahr habe ich wieder eine hochinteressante, technische Lösung gefunden und mit einem im Markt bekannten Fachplaner über das Thema gesprochen. Sein Kommentar: „Vergiss es! Das will keiner, egal wie viel wir darüber reden.“ Liebe Bauherren, Architekten, Planer: Setzen Sie sich mal in ein Großraumbüro und schreiben Sie eine Kolumne! Wenn im Hintergrund gerade das Geschäft brummt, alle Telefone belegt sind und die Kolleginnen und Kollegen sich für ihr Unternehmen einsetzen.

Dabei ist die Lösung so einfach! Der Aufwand ist im Vergleich zu Dämmmaßnahmen gering, die Verkabelung simpel, die Einrichtung durch ein Fachunternehmen problemlos. Und alle arbeitenden Menschen danken es Ihnen mit höherer Leistungsfähigkeit und weniger Stresssymptomen. Speziell die Mitarbeiter mit Hörproblemen laufen zur Höchstform auf. Ehrlich!

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Mittlerweilen ist eine DIY-Lösung nicht mehr notwendig.

    Besteht die oben beschriebene Problematik Schwerhörigkeit, so ist ohnehin ein Hörgerät fällig. Diese gibt es auch mit “Tinnitus-Masker”, der selbstverständlich auch als “Bürogeräusch-Masker” genutzt werden kann. Leider sind solche Hörgeräte nur im zuzahlungspflichtigem Segment angesiedelt.

    Allerdings sollte dennoch nicht an Schallschutz-Maßnahmen im Büro gespart werden, denn Lärm, der nicht entsteht, muss auch nicht maskiert werden.

    Jedes Geräusch, das unsere Ohren trifft, verschleißt unser Gehör. Deshalb wachsen unsere Ohrmuscheln auch das gesamte Leben lang, um die durch den natürlichen Verschleiß geringere Empfindlichkeit durch das Einfangen von mehr Schallenergie auszugleichen.

    Nur ist es heutzutage leider so, dass aufgrund unserer lärmerfüllten Welt der Verschleiß schneller vonstatten geht als die Ohren wachsen können und könnten. Wir müssen also mit einem Hörgerät die Ohrmuscheln auf technischem Wege vergrößern.

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