Ist die IT für AV ein Fressfeind oder wertvoller Partner?
von Helga Rouyer-Lüdecke , Artikel aus dem Archiv vom
Derzeit erleben Hersteller von AV-Produkten und AV-Systemintegratoren das Vordringen von IT-Firmen auf den eignen Markt. Ist dies eine Bedrohung oder gar eine Chance? PROFESSIONAL SYSTEM hat sich mit Björn Jensen, geschäftsführender Gesellschafter der macom GmbH, über die aktuelle Marktentwicklung unterhalten.
Spätestens seit der ISE im Februar 2019 dürfte auch den bisher stärksten Zweiflern aufgegangen sein, dass die IT-Industrie auch den AV-Markt für sich entdeckt hat. Auf der weltweit größten Messe für audiovisuelle Systemintegration waren Collaboration und Education die Top-Themen, und die Zahl der IT-Aussteller bzw. der vorgestellten Produkte, die in Kooperation mit IT-Herstellern entwickelt wurden, noch einmal deutlich gestiegen.
Dabei ist dieser Trend nicht von heute auf morgen entstanden, sondern ist im Kontext eine Jahrzehnt lange Entwicklung zu sehen. Die derzeitige Heftigkeit dieser Entwicklung ist der Digitalisierung geschuldet, die sich weltweit in Firmen und Institutionen Bahn bricht. Und wer könnte diese Entwicklung besser beurteilen als ein erfahrenes Fachplanungsunternehmen, das die Bedürfnisse seiner Kunden kennen muss, um in medientechnische Lösungskonzepte umzusetzen. Als ein europaweit führendes Expertenteam in Sachen Fachplanung und Consulting gilt dabei die macom Gruppe mit über 20 Jahren Business-Erfahrung. Im folgenden Interview reflektiert Björn Jensen, geschäftsführender Gesellschafter der macom GmbH, die derzeitige Marktsituation und legt den Finger dabei auf manchen wunden Punkt…
Herr Jensen, mehr denn je mischen IT-Firmen wie Cisco, Microsoft oder Google im AV-Markt mit – Firmen, die sehr strukturiert und weltweit vernetzt arbeiten. Frisst IT letztendlich die AV-Branche?
Björn Jensen: Jain. Die großen IT-Firmen bringen auch einen Vorteil mit sich. Die AV-Branche hat jetzt endlich einen Unterstützer in den Unternehmen, jemand, der strukturiert an das Thema Digitalisierung in neuen Arbeitswelten herangeht. Hier kann die IT ein wertvoller Partner der Medientechnik-Branche sein. IT-Unternehmen, aber auch die IT-Abteilungen in Kundenunternehmen, denken schon seit Jahren in Prozessen und Standards und nicht in Produkten. Das birgt große Vorteile, von denen die AV-Branche profitieren kann, weil es die Akzeptanz erhöht.
Aber natürlich birgt das auch eine Gefahr für die AV-Branche. IT-Unternehmen wie Cisco, Google und Microsoft bieten sehr standardisierte Lösungen, von unternehmensweiten Infrastrukturen bis hin zu kleinen Räumen. Hier entsteht eine direkte Konkurrenz und hier muss die AV-Branche nachziehen, sonst wird sie überrollt. Das gilt für Hersteller im Bereich der Signalübertragung und auch für Systemintegratoren. Die AV-Branche muss sich bewusst werden, dass beispielsweise Cisco seit 30 Jahren im Markt von Videokonferenz-Systemen unterwegs ist. Die Branche hatte genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten. Sie hat es weitestgehend aber nicht getan.
Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die „klassischen“ Hersteller von AV-Signalmanagement. Wie können sich diese Unternehmen am Markt behaupten?
Der größte Markt für die Anbieter von AV-Signalmanagement, die kleineren bis mittleren Meetingräume, sind durch das Thema Wireless Presentation stark eingebrochen. Hier haben die Anbieter große Marktanteile verloren. In Bezug auf die Technik sehen wir als nächsten Schritt, dass die Applikationen direkt in die Displays wandern werden. Das wird den Markt weiter einbrechen lassen. Zukünftig bringen die User ihren digitalen Arbeitsplatz auf dem Laptop, Tablet oder Smartphone einfach mit in den Meetingraum und verbinden diesen direkt mit den Ausgabegeräten. Das wird in diesem Segment das Thema Integration voraussichtlich komplett unnötig machen.
In größeren Konferenz-, Event- und Veranstaltungs-Locations, in denen multifunktionale Räume benötigt werden, sieht die Sache anders aus. Hier werden auch in Zukunft kabelgebundene Systeme vorhanden sein, schon aus Gründen der Betriebssicherheit. Hier wird es immer Geschäft für die Hersteller und Integratoren geben. Aber das Wachstumspotenzial dieses Marktes ist weitgehend ausgeschöpft. Das Hauptgeschäft liegt bzw. lag in kleinen und mittleren Meeting-Räumen. Mit der Zunahme an Huddle-Spaces wird dieser Bereich auch weiterwachsen. Aber das Thema kabellose Signalübertragung macht diesen Markt in Zukunft immer schwieriger. Hier müssen sich die Anbieter bewegen.
Es ist auch sind auch die Integratoren von dieser Entwicklung betroffen. Hinzu kommt, dass deren Kunden inzwischen generell mehr Service und Support erwarten. Wie muss sich dieses Marktsegment aufstellen, damit die Integratoren für die Zukunft gerüstet sind?
Integratoren müssen ihre gesamten Services auf den Prüfstand stellen. Kunden erwarten zusätzlich zur Integration ein umfassendes Service-Management für den Betrieb Ihrer Anlagen. Dazu gehören ein First-Level-Support, ein Ticketsystem und die Möglichkeit, Tickets vor Ort oder Remote zu bearbeiten. Weiterführende Service-Leistungen sind zudem ein Asset-Management für den Kunden inkl. End-of-Live-Monitoring. Integratoren müssen hier komplett umdenken. Die Projekte enden nicht mehr, wenn sie installiert sind.
Die Ansprechpartner bei den Kunden kommen immer häufiger aus der IT. Diese sind viel umfassendere Service-Konzepte gewohnt, als die meisten Medientechnik-Unternehmen derzeit leisten können. Die IT denkt immer zuerst an den Betrieb. Zudem erwarten die Kunden Partner, die die Sprache der IT sprechen. Wer das in der AV-Branche nicht leisten kann, ist sehr schnell raus aus dem Geschäft.
Auf ihrer Homepage stellt sich die macom Gruppe mit einem besonderen Claim vor – welchen Mehrwert verspricht die macom ihren Kunden mit „creating added value in AV & IT”?
Die Medientechnik ist nicht mehr nur reine technische Infrastruktur. In Future Workspaces, Huddle Rooms oder Innovation Labs stellt sie heute einen Produktivitätsfaktor dar. Sie muss dafür sorgen, dass Kunden schneller, effektiver, agiler und kollaborativer arbeiten können. Oder sie muss es ermöglichen, dass Kunden neues Business generieren können. Hier erhält die Medientechnik ganz klar eine betriebswirtschaftliche Perspektive. Wir analysieren diese Mehrwerte, die Medientechnik zukünftig bringen kann und muss, um sie unseren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Zudem unterstützen wir die Leistungserbringung der Corporate AV-Abteilungen in unseren Kundenunternehmen. Ebenso wie die Technik müssen auch diese Abteilungen zu einem Leistungserbringer werden. Standardisierung ist hier ein großes Stichwort. Diese kann einen effizienteren, günstigeren Betrieb und eine höhere Usability und damit Nutzerakzeptanz ermöglichen. In Future Workspaces, Huddle Rooms oder Innovation Labs stellt die Medientechnik heute einen Produktivitätsfaktor dar.
Was kann man sich bei der macom unter „Beratung zur digitalen Transformation im Raum“ vorstellen?
In unserer Projektpraxis der letzten 25 Jahre haben wir erlebt, wie sich das Arbeiten in Firmengebäuden verändert hat. Durch die digitale Transformation haben sich die Gründe für Mitarbeiter verändert, ein Firmengebäude zu betreten. War es früher der zentrale Platz, an dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, ist dies heutzutage von überall aus möglich. Der Mehrwert, das Firmengebäude zu betreten, liegt darin, dass man dort Kollegen treffen kann, um sich mit diesen abzustimmen, zu besprechen und gemeinsam im Team Innovationen zu entwickeln. Das hat die Anforderungen an Arbeitsräume verändert.
Die digitale Transformation im Raum erfordert ein Zusammenwachsen des digitalen Arbeitsplatzes, der die Mitarbeiter auf mobilen Devices überallhin begleitet, mit den physischen Räumen in den Firmengebäuden. Dafür benötigt es Räume, die sich direkt mit dem digitalen Arbeitsplatz der Mitarbeiter verknüpfen und so einen nahtlosen Übergang von der Einzel- zur Teamarbeit ermöglichen. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, diese digitale Transformation in ihren Arbeitsräumen zu vollenden.
Meint „Beratung zur digitalen Transformation im Raum“ auch die Aktivitäten des Unternehmens in Bezug auf das macomLAB – was wird dort entwickelt?
Mit unserer strategischen und konzeptionellen Beratung schaffen wir dafür das Bewusstsein bei unseren Kunden. Unser macomLAB ist hier einerseits eine Forschungsumgebung, in der wir das Zusammenspiel von Hard- und Softwarekomponenten für den Arbeitsplatz der Zukunft unter realen Bedingungen selbst erforschen. Die hier gewonnene Erfahrung setzen wir direkt in unseren Kundenprojekten ein. Zudem können unsere Kunden diese neuen Arbeitsweisen in unserem LAB direkt testen.
Als Researchplattform ermöglicht das macomLAB es uns, alles nicht nur theoretisch zu betrachten, sondern es zu testen, auszuprobieren und selbst zu leben. Das unterstreicht unseren Experten-Status bei unseren Kunden. Zudem haben wir mit dem macomLAB den einzigen herstellerunabhängigen Innovation Hub für Future Workspaces in ganz Europa geschaffen.
Zum Thema Branchen-Nachwuchs: Auch die AV-Branche klagt über Fachkräftemangel. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
macom hat keinen Fachkräftemangel. Wenn ein Unternehmen hier einen Mangel hat, dann liegt das an einem schlechten Arbeitgeber-Branding. macom war beispielsweise das erste Unternehmen in der Branche, das Hochschulmarketing betrieben hat. Seit mehreren Jahren haben wir eine Mitarbeiterin, die sich nur um das Thema Nachwuchsgewinnung an Hochschulen kümmert. Damit haben wir auch heute noch die Pole-Position in unserem Markt. Dabei haben wir festgestellt: Es gibt genügend Fachkräfte auf dem Markt. Klar muss man die suchen, aber die müssen mich als Unternehmen auch finden können. Wenn ich mich als attraktiver, agiler und vor allem zugänglicher Arbeitgeber darstelle, dann klappt das auch mit den Fachkräften.
Um auf das Eingangsthema „IT frisst AV“ zurückzukommen: Welche Weichen muss die AV-Branche Ihrer Meinung nach stellen, damit sie sich auch in Zukunft behaupten kann?
Die Hersteller sollten ihre Produkte stärker auf die Anforderungen ihrer Kunden ausrichten – und die kommen nun mal immer häufiger aus der IT. Use-Case-bezogen, Deployment-fähig und zentral managebar in einem IT-Umfeld sind hier die Schlagworte.
Die Hersteller sollten mit den großen Produktschlachten aufhören und eher Produkte auf den Markt bringen, die auf Anwendungen und Lösungen einzahlen. User suchen nach Themen und Produkten, die ihnen eine Lösung für ihre Anwendungen bieten. Deshalb muss die Branche mehr in Anwendungen und Use-Cases denken.
Zudem müssen die Produkte Deployment-fähiger werden. Besonders international tätige Unternehmen benötigen Produkte, die weltweit ausgerollt werden können. Für den Betrieb wird zusätzlich ein internationaler Service benötigt. Medientechnische Produkte müssen genauso wie IT-Produkte zentral managebar und steuerbar sein. Sie müssen in einem IT-Umfeld nutzbar sein. Das heißt, sie müssen sich nach den Regeln der IT richten. Ein paar Hersteller sind hier schon auf einem guten Weg, aber die meisten müssen noch nachziehen. Dasselbe gilt auch für Integratoren.
Die macom Gruppe bündelt mit drei Unternehmen seit über 20 Jahren Erfahrung in der internationalen Medientechnikbranche. Dies schlägt sich auch bei medientechnischen Fachplanungen in Neu- und Bestandsbauten, für Events und temporäre Installationen nieder. Im Folgenden sind beispielhafte Referenzen aufgeführt.
Arbeitswelten, Conferencing
Digitales Service Design für neue Service-Konzepte im 10X Service Design Lab von der Volkswagen Digitalisierung in Wolfsburg
Collaboration- und Arbeitswelten des Vodafone Campus in Düsseldorf
Neue Konferenztechnik für das BMW Forschungs-und Innovationszentrum (BMW FIZ) in München
AV-Technik im Traditionsbankhaus Metzler in Frankfurt
Markenwelten, Showrooms, PoS
AV-basierte Markenkommunikation in der BMW Welt in München
Multimedialer Showroom im Siemens Healthineers Experience Center in Forchheim
Virtuelle Erlebnis-Plattform myAudi Sphere der AUDI AG am Flughafen München.