Uwe Röddinger spricht Klartext

Hören ist für unsere Wahrnehmung wichtiger als Sehen

WAS BITTE HABEN SIE GESAGT? Dieser Satz – geschrieben in Versalien – bedeutet geschriebenes Brüllen. Und genau das wollte ich: Ein paar Leute anbrüllen. Weil ich sie nicht verstehen kann. Akustisch.

UweRöddinger
(Bild: COMM-TEC)

Der auslösende Moment: 6:45, Flughafen Stuttgart, irgendwann 2015. Ich stehe am Gate 4711, Fluggesellschaft „Always Late“, es ist schon später als auf der Bordkarte vermerkt ist. Aber nix passiert. Dann greift einer der hektisch wuselnden, uniformierten Mitarbeiter am Counter des Gates zum Telefonhörer, dreht diesen so, dass er wie ein Ziegenbart nach unten zeigt, presst sich die Sprechkapsel gegen den Mund und erzeugt in der Folge eine Reihe von Geräuschen, die in Bruchstücken an menschliche Sprache erinnert.

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Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber als Vielflieger wissen wir, was allgemein zu diesem Zeitpunkt gemeint ist: Boarding beginnt. Also stehen viele auf, bilden eine Reihe und warten. Der Mitarbeiter hebt seine Stimme, nutzt die freie linke Hand für irgendeine Art von Handzeichen oder Signal und brüllt weiter in sein Telefon. Ich verstehe immer noch nichts, bleibe aber ruhig, mein Handtuch ist am Mann.

Immerhin habe ich nach einem Knalltrauma eine C5-Senke zurückbehalten und bin ich gewohnt, doof (doof = schwerhörig in Düsseldorfer Mundart) zu sein. Plötzlich höre ich aber, wie eine Frau (Ende 20, offensichtlich aufgeregt) in der Schlange vor mir zu ihrem Reisebegleiter (auch Ende 20, entspannt) sagt: „Hast Du das verstanden?“ Worauf der nur mit den Achseln zuckt und den Kopf schüttelt.

Mittlerweile hat der Angestellte noch mal 6 bis 12 dB nachgelegt, wohl in der Hoffnung, dass lauter besser sei. Wir verstehen aber immer noch nichts. Dann geht ein Mann vom Anfang der Schlange an den Counter, stellt eine Frage, die der Mitarbeiter beantwortet. Kurz danach erreicht uns dann die Info per stiller Post: „Das Boarding verzögert sich, irgendwas ist mit dem Flieger. Wir können uns wieder setzen. Oder so.“

Als wir dann 1,5 Stunden später im Flieger Platz nehmen, greift die Flugbegleiterin zum Telefon, macht den gleichen Wendegriff (Hörer nach unten, Sprechkapsel am Mund: Lernen die das in ihrer „Always Late“ Ausbildung?) und produziert eine ähnliche Schallfront wie ihr Kollege am Gate. Diesmal aber ist der Lautsprecher höchstens 30 cm über mir, und dass ich jetzt nichts verstehe, liegt wohl eher an der vollständigen Übersteuerung.

Ich halte mir die Ohren zu, warte, bis das Geräusch verebbt ist und frage dann meinen Sitznachbarn, was denn los sei. „Sie hat sich für die Verspätung entschuldigt und freut sich, uns an Bord begrüßen zu dürfen. Oder so.“

Habe ich schon erwähnt, dass am Gate die Durchsage „Bitte lassen Sie ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt, es wird sonst gesprengt!“ perfekt zu verstehen war? Habe ich ebenfalls schon erwähnt, dass die peinliche Comic- Sicherheits-Belehrung „So bescheuert siehst Du aus, wenn Du die Schwimmweste schon im Flieger auslöst!“ perfekt zu verstehen war? Falls nicht, tu ich das jetzt hier und jetzt: „ES GEHT DOCH!

Am Ziel meiner Reise angekommen, hielt ich einen Vortrag zum Thema AV over IP in einem Nobelhotel. Und raten Sie mal, was ich benutzen sollte: Ein drahtloses Handmikrofon. (zum Glück kein Telefon). Es stellte sich heraus, dass ich den Popschutz des Mikrofons mit den Lippen berühren musste, damit meine Teilnehmer etwas hören konnten. Sobald ich aber dann normal sprach, klang das auf der Bühne schon grauselig. Was mir dann auch flugs aus dem Publikum bestätigt wurde.

Der gerufene Haustechniker war überfordert, meinen Hinweis auf meine CTS-Zertifizierung und meinen Willen zur praktischen Hilfe wischte er mit der Bemerkung: „Das hat schon der Hersteller vergebens versucht!“ vom Tisch.

Die Zuhörer und ich einigten uns dann darauf, dass ich ohne Mikro halt ein wenig lauter sprechen würde. Wieder in Uhingen, sitze ich mit meinem Kollegen in einem unserer eigenen Seminarräume, den wir auch für Meetings nutzen, und erzähle von meiner Reise, als mein Blick an unsere eigene Raumdecke geht. Zwei motorisch(!) ausklappbare Deckenlautsprecher aus englischer Edelschmiede, so angeordnet, dass es für den Referenten keinen Platz gibt, den er ohne Rückkopplung für seinen Vortrag nutzen kann.

Also lege ich mich selbst an die Kette und frage mich, wie oft ich in meinem Berufsleben guten Ton nicht mit genügendem Nachdruck von Bauherren, Architekten und Planern gefordert habe. Und muss mir leider selber eingestehen: Viel zu oft!

Liebe Bauherren, liebe Architekten, liebe Planer! Hören ist für unsere Wahrnehmung und für das Verständnis einer Information wichtiger als Sehen. Das hörbare Ergebnis in einem Raum, Halle oder Hörsaal hängt zu 80 Prozent von der Raumakustik ab. Dafür seid Ihr zuständig!

Dann kommen die elekroakustischen Gerätschaften, dafür sind wir zuständig. Aber ihr müsst uns auch machen lassen! Ein solches System funktioniert nur dann gut, wenn ALLE Elemente aufeinander abgestimmt sind. Sparen an einer falschen Stelle, und nix geht mehr richtig.

JA, DAS KOSTET GELD! Nicht so viel, wie der Marmorboden im Foyer, aber immerhin. Aber wenn Sie genügend Geld für Akustik und ELA-Technik ausgeben, werden Ihre Vorträge gerne besucht, Ihre Veranstaltungen stets als gelungen beschrieben und Ihre Zuhörer verstehen die Botschaft! Und ich brauche nicht mehr zu brüllen.

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