Kolumne

AV-Experte Uwe Röddinger zum Thema AVB: Warten auf Godot

Samuel Becket schrieb 1949 das Theaterstück „Warten auf Godot“. Ich habe es nie gesehen, weiß noch nicht mal, worum es darin geht. Aber eins weiß ich: Der Titel wird zum geflügelten Wort immer dann, „wenn es mal wieder etwas länger dauert“. Und „Warten auf Godot“ hört sich viel netter an als „Warum kommt AVB eigentlich nicht aus dem Quark?“

Kolumnist Uwe Röddinger
(Bild: Comm-Tec)

Im Jahr 2009 besuchte ich die InfoComm in den USA, und ich stolperte über einen unscheinbaren Stand mit einer extrem spannenden Aussage: AVB! Audio-Video-Bridging, eine Technologie, die versprach, herstellerneutral Audio- und Videosignale über Ethernet Netzwerke zu übertragen. Und dabei alle die hässlichen Dinge wie Bandbreite, Latenzen, Kompatibilitäten zu unserer vollsten Zufriedenheit im Griff zu haben. Die Funktionen lasen sich wie die Wunschliste aller AV-Techniker! Sogar Steuerung war mit drin! Und dann noch als IEEE-Standard entwickelt, also ohne teure, den Markt manipulierende Lizenzgebühren wie bei anderen Steckern oder Herstellerformaten.

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Auf dem Rückflug nach Uhingen träumte ich von den Möglichkeiten: Einen Encoder von Hersteller [A], weil ich nur einen DVI-Eingang brauche, einen zweiten Encoder von Hersteller [B], der kann automatische Signalerkennung und Multiviewing, ein Tastenfeld von Hersteller [C], das der Hausmeister einer Stadthalle im Dunkeln ohne Hinschauen bedienen kann, einen Signalprozessor von Hersteller [D], der Überblendungen bei Signalwechsel perfektioniert und den Decoder von [E], der perfekte HDMI-Signale ausgibt, 25 Meter Kabel treiben kann und auch noch einen lokalen Mitschau-Ausgang hat.

Das alles, verkabelt mit CAT.irgendwas, zusammengesteckt und läuft! 2015, kurz vor der InfoComm, sechs (!) Jahre später, sieht die Welt immer noch so aus, wie damals. OK, es gibt ein paar Produkte von namhaften Herstellern. Wen es interessiert: http://avnu.org/certified-products/

Aber soll es das gewesen sein? Ich fürchte – ja. Und jetzt überwältigt mich meine Ungeduld: Warum dauert das so lange? OK, die AVB.org wurde in AVNU überführt, nach AVB kam AVB 2.0 (heute TSN); also genügend Gründe, warum es mal wieder länger dauert.

Hersteller, die zur AVNU gehören, sagen immer noch das Gleiche wie vor sechs Jahren: „Eigentlich warten wir nur noch auf …“ Ja, was denn eigentlich? Im Februar 2015 habe ich die Bose AV Networking Roadshow in Frankfurt besucht und war schlichtweg beeindruckt: Dante zeigte hier, wie eine digitale Signal-Infrastruktur im Jahr 2015 funktionieren muss.

Den Vogel schoss ein Teilnehmer mit seiner Schilderung ab, der für ein Tonstudio arbeitet und Klassische Musik aufzeichnet. Die arbeiten mittlerweile vollständig mit per Dante vernetzten Geräten, bis hin zum In-Ear-Monitoring der Musiker! OK, das ist ohne Video. Aber was nutzen mir sich ständig weiterentwickelnde IEEE-Spezifikationen, wenn die Produkte nicht auf den Markt kommen? Liebe AVB/TSN/AVNU-Industrie, ich habe das Warten satt.

Ich empfehle meinen Händlern Dante, das hält, was Ihr versprecht. OK, kein Video, aber in professionellen Audiosystemen funktioniert es schon mal perfekt! Und wenn Ihr dann irgendwann mal so weit seid, hat wahrscheinlich ein kleines, gallisches Unternehmen DAVNTE™ entwickelt, vermarktet und sich herzlich wenig um Eure, ach so hochgehaltene IEEE-Standardisierung gekümmert. Aber es funktioniert! Und alle Anwender, Planer, Installateure und Distributoren klatschen Beifall. Euch Herstellern wird das eher nicht gefallen, weil plötzlich kleine innovative Hersteller mit überschaubarer Produktpalette sich in Eurem Kernbusiness tummeln und Euch Geschäft kaputt machen. Moment mal, sollte das der wahre Grund sein? Also so ähnlich wie bei OLED Displays, aber das ist eine andere Geschichte!

 

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