Es herrscht Konsens: Unsere Signale werden bald vornehmlich durch CAT-Kabel strömen. Sollen komplette Signalstrukturen ins Netzwerk umziehen, mangelt es jedoch an erprobten Systemen, Personal und fertigen Lösungen. Stagenet hat ein ambitioniertes Ziel: IP einfach werden zu lassen.
AV over IP made really simple. Mit diesem Slogan präsentiert sich Stagenet seit 2022, also noch nicht mal einem Jahr, der Öffentlichkeit. Es soll eine Lösung zur (automatischen) Konfiguration, Steuerung und Überwachung von Geräten, Signalen und AV-Netzwerkkomponenten basierend auf offenen Standards geschaffen werden – ein hochgestecktes Ziel. Eine einfach zu bedienende Nutzeroberfläche soll zudem den Fokus auf die eigentliche Arbeit gewähren. Die vollständige und detailtiefe Programmierung sorgt indes für Setup und Überwachung des Systems. „Wenn Stagenet keinen Fehler meldet, dann hast du auch kein Problem“, fasst Stefan Ledergerber, CEO von Simplexity, die technische Vision zusammen. Er stellte uns den Entwicklungsstand von Stagenet bei einer Demo in der Berliner Innovationsschmiede von Stagetec vor.
Fünf Firmen sind bisher Teil dieser Community: Arista, Merging, Matrox, Simplexity und Stagetec. In diesem kleinen Kreis hochklassiger Hersteller und Entwickler macht man sich ans Werk, Standards weiter voranzutreiben, indem man zeigt, wie ein wirklich zukunftsfähiges Signalmanagement aussehen muss. Denn die Standards sind noch nicht so weit, dass deren Anwendung automatisch zu einem funktionierenden, intuitiven System führen würde. NMOS, IPMX und SMPTE ST2110 sind vielleicht nicht mehr in den Kinderschuhen, aber ausgewachsen sind sie noch lange nicht. Stagenet möchte nicht warten, bis die Standards angekommen sind, sondern zeigen, dass es technisch geht, und im Idealfall werden die Normen auf diese Weise verbessert und weiterentwickelt. Stefan Ledergerber ist selbst Mitglied im NMOS-Gremium; das Ziel, Standards mit Stagenet zu formen also weder aus der Luft noch zu hoch gegriffen. Mit dem vorerst kleinen Ökosystem soll sichergestellt werden, dass es auch zu ersten Entwicklungen kommt und man nicht mit einem Übermaß an Features und unterstützten Produkten in einer Pattsituation landet.
Neben den Herstellern sollen die Anwender:innen elementarer Teil der Community werden. Wie diese Brücke geschlagen wird, sehen wir, sobald erste Signale dank Stagenet durch Theater und Venues fließen.
Stagenet ist ein Produkt der Firma Stagetec. Es handelt sich um eine Steuer- und Überwachungssoftware für AV over IP. Die Entwicklung der Software wird durch Simplexity unterstützt. Das visionierte Produkt nimmt bereits Gestalt an und wird noch 2023 an den Start gehen. Bei der Entwicklung geht es aber nicht nur darum, technisch einwandfrei zu sein, auch die Bedienung wird komplett hinterfragt.
Damit charakterisiert sich Stagenet durch intuitives UX/ UI und eine lückenlose Programmierung: Da hat man sich was vorgenommen!
Steuerung und Überwachung lassen sich nicht trennen. „Das Steuersystem weiß, was passieren muss, also kann es auch überwachen, ob es passiert“, meint Stefan Ledergerber, und dem ist nur schwer zu widersprechen. Die Umsetzung des Ganzen ist aber nicht ohne Tücken. Grund sind auch hier bisher fehlende Definitionen in den Standards.
Wenn wir bei Stagenet von Steuerung sprechen, dann beinhaltet das die automatische Konfiguration der Komponenten. Das heißt, dass z. B. ein ST2110-kompatibles Gerät an das Netzwerk angeschlossen, dank NMOS automatisch erkannt und dann von Stagenet eingestellt wird. IP-Adressen, PTP, Bitraten und alles, was zur nahtlosen Integration dazugehört, wird automatisch von Stagenet konfiguriert. Mit Plug-and-Play hat ein aktuelles ST2110- Gerät aber noch nicht viel zu tun, denn es ist nicht in den Standards festgelegt, wie diese Konfiguration vonstattengehen soll. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Firmen des Stagenet wird hier die erste Hürde genommen, und die erforderlichen Schnittstellen werden geschaffen – auch wieder mit der Intention, Beispiel und technische Beweisführung für die Weiterentwicklung der Normen zu sein.
Geräte, die zwar dem Standard entsprechen, aber nicht Teil von Stagenet sind, werden so weit integrierbar sein, wie es die Standards aktuell erlauben. So wird sich ein ST2110-Gerät per NMOS im Netzwerk anmelden und kann über Stagenet aus der Quarantäne gehoben werden sowie Sender und Empfänger verbinden, die Konfiguration der Einheit bleibt dann aber Aufgabe der Nutzer:innen.
Die Überwachung des AV-Netzwerkes erfolgt an mehreren Stellen. Eine Ansicht der Bedienoberfläche visualisiert den Weg, den die Pakete im Netzwerk nehmen. Zeitgleich kann man eine Aussage darüber treffen, wie ausgelastet das Netzwerk oder einzelne Komponenten sind. Entdeckt Stagenet einen Fehler, zum Beispiel Paketverluste in einem Stream, wird eine Warnung in der Bedienoberfläche eingeblendet.
Da es sich um ein redundantes Netzwerk handelt und jeder Stream doppelt zur Verfügung steht, lassen sich Probleme im laufenden Betreib ermitteln und beheben. Einige Fehler sollen jedoch von vornherein ausgeschlossen werden, indem sich beispielsweise keine Verbindungen routen lassen, die die verfügbaren Ressourcen überschreiten würden. Stattdessen weist eine Meldung auf diesen Umstand hin, und man kann entweder Kapazitäten freimachen oder einen anderen Weg suchen. Das mag nach einem banalen Feature klingen, ist aber in einem „normalen Netzwerk“ nicht ohne Weiteres gegeben, sondern Sache einer eigenständigen Überwachung und/oder sorgfältigen Planung.
Wenn man schon dabei ist, technische Grundlagen für AV over IP zu formen, kann man auch gleich altbekannte Bedienkonzepte auf den Prüfstand stellen. Das User-Interface erhält deshalb besondere Aufmerksamkeit. Unsere Interaktion mit dem Internet und der modernen IT-Welt wird zur Inspiration. „Wir finden auf einer Webseite binnen von Sekunden den richtigen Artikel aus einer Auswahl von Millionen, so kann das doch auch mit unseren Signalen im Netzwerk funktionieren“, erklärt Stefan den Denkansatz für die Gestaltung der User-Experience. Das Interface ist entsprechend klar und einfach gestaltet, als Weboberfläche. Es gibt Quellen und Senken, die in Ordnern und mit Tags strukturiert werden können. Klare Symbole machen erkennbar, ob es sich um eine Audiooder Videoquelle handelt. Per Drag and Drop werden Quellen mit Senken verbunden. Hierbei unterstützt die Programmierung, indem sie im Drag-and-Drop-Vorgang nur die Senken zulässt, die für die ausgewählte Quelle auch infrage kommen. Der Rest wird ausgegraut. Signale können einzeln und in Gruppen geroutet werden. Die Verbindung einer 64-Kanal-Stagebox mit einem 64-Kanal- Mischpult ist mit einem Wisch erledigt.
Anwendungen sollen insbesondere auch von der Tagging-Funktion profitieren. Quellen und Senken lassen sich mit Tags versehen, die eine Sortierung erlauben, aber auch für das Routing von Bedeutung sind. Ein Beispiel:
Mehrere Konferenzräume liefern je einen SDI-Feed mit einer Kamerasumme und verschiedenen Sprachen in den Audiokanälen des SDI-Signals. Mit ConvertIP-Geräten von Matrox werden die Signale dann im Netzwerk bereitgestellt. Nun lassen sich die einzelnen Audio- Kanäle entsprechend der Sprache vertaggen. Ein Konferenzraum wird nun als Ordner in der Stagenet-Oberfläche erkennbar, die Signale innerhalb des Ordners sind durch die Tagging-Struktur weiter differenziert.
Kennzeichnet man nun eine Senke mit einem Tag, welcher sich auch in der Quelle wiederfindet, wird beim Drag and Drop des Ordners diese automatisch anhand des Taggings zugewiesen. So könnte eine Senke mit einem Stereo-Audio-Kanal mit dem Wort „Spanisch“ getaggt sein. Nimmt man nun den Ordner mit den Quellen, die neben „Spanisch“ auch noch „Deutsch“, „Englisch“, „Französisch“ enthalten, und droppt diesen auf die „Spanisch-Senke“, wird automatisch der spanische Audio-Kanal verlinkt. Das lässt sich selbstverständlich auch überschreiben, soll aber den Mehrwert von Tags unterstreichen.
Ob dieser Ansatz das Ende von X-Y-Matrix-Ansichten markiert, bleibt wohl letztendlich dem Feedback aus der Community überlassen. Der Ansatz scheint aber intuitiv und der alltäglichen Technikinteraktion entsprechend erprobt zu sein.
Stagenet konnte in der Demo eine Auswahl der Funktionen bereits live unter Beweis stellen. Als komplett redundantes Netzwerk liefert es eine hohe Sicherheit bei der Übertragung von Signalen. Die Software wird mit dem offiziellen Start vollumfänglich mit Nexus-Geräten von Stagetec kompatibel sein und somit insbesondere in Theatern für Zukunftssicherheit sorgen können. Dies ist womöglich auch der erste Bereich, in dem Stagenet zum Einsatz kommen wird.
Man richtet sich jedoch an alle High-End Pro-AV-Sektoren, und auch in Konferenzzentren könnte die einfache AV-over-IP-Lösung zukünftig eine tragende Rolle spielen.
Mit Matrox ist auch für den Videobereich eine gute Partnerschaft gelungen. Um gänzlich in den Videosektor vorzudringen, wird es perspektivisch jedoch mehr als einkanalige Encoder und Decoder brauchen. Dennoch ist die Aussicht darauf, mit Stagenet kompatible Geräte einfach nur anstecken zu müssen, um die Flexibilität von IP-basierter Signalinfrastruktur nutzen zu können, schon jetzt sehr verlockend. Die Lizenzierung wird sich nach der Anzahl angeschlossener Geräte und deren Art richten. Offensichtlich ist damit, dass es für ein stets aktuelles Stagenet eine regelmäßige Abolösung geben muss.
Unabhängig davon wird es Early Adopter brauchen, die bereit sind, den Weg zu begleiten und mit einem etwas limitierten System zu starten. Anders wird es nicht gehen, denn aus dem Stand wird niemand die perfekte und allseits kompatible Lösung bieten können. Stagenet macht einen guten und wichtigen Anfang und ist dabei offen, wenn es um die zukünftige Integration weiterer Protokolle, wie zum Beispiel Dante oder NDI geht. Allerdings müssen diese mit den hohen Anforderungen an eine lückenlose Überwachung schritthalten.
Der Fokus liegt somit erst einmal auf einem AV-over-IP-Netzwerk, welches ohne die Wandlung proprietärer Übertragungstechnologien einen Mehrwert bieten kann. Dass AV over IP wirklich einfach sein kann, werden wir dann glauben, wenn wir es live erleben.