Lieferverzögerungen in der Medientechnik – wo hakt es?
von Tobias Enders, Artikel aus dem Archiv vom
Wie einfach Lieferverzögerungen entstehen, haben in den letzten Jahren gleich mehrere Krisen gezeigt. Für Privatleute heißt das: Warten auf den Neuwagen oder die Playstation 5. Was aber bedeutet es für Firmen, die gerade jetzt auf hybrides Arbeiten setzen wollen und neue Medientechnik benötigen?
Klar ist: Die Nachfrage an Medientechnik ist durch New Work und die damit verbundene beschleunigte Digitalisierung stark gestiegen. Der Sektor boomt ebenso wie beispielsweise die Nutzung von Smart-Building-Technologien in der Immobilienbranche. Doch durch Probleme in der Lieferkette, auch Supply Chain genannt, haben viele Hersteller Mühe, mit der Nachfrage Schritt zu halten. Seit Monaten zeigen sich Auswirkungen bei Projekten für Medientechnik-Implementierung, deren Ende weiterhin nicht absehbar ist.
In Lieferketten kann viel schiefgehen. Und wenn etwas schiefgeht, kann es schwierig sein, sie wieder in Gang zu bringen. Das liegt daran, dass Supply Chains komplexe Systeme mit vielen verschiedenen beweglichen Teilen sind. Eine Möglichkeit, sich Lieferketten vorzustellen, ist ein Netzwerk aus Knoten und Verbindungen. Die Knotenpunkte sind die Orte, an denen Materialien oder Produkte hergestellt, gelagert oder verwendet werden. Die Verbindungen sind die Transportwege, die die Knotenpunkte miteinander verbinden.
Von diesen Knoten gibt es drei Arten: Produktionsknoten, Bestandsknoten und Verbrauchsknoten. An den Produktionsknoten werden Materialien oder Produkte hergestellt. Bestandsknoten sind Knoten, an denen Materialien oder Produkte gelagert werden. Verbrauchsknoten sind Knoten, an denen Materialien oder Produkte verbraucht werden.
Das Wichtigste, das man über Lieferketten wissen muss, ist, dass es sich um dynamische Systeme handelt. Das bedeutet, dass sich die Knoten und Glieder einer Lieferkette im Laufe der Zeit ändern können. Zum Beispiel kann eine neue Fabrik gebaut oder eine neue Transportroute eingerichtet werden.
Verzögerte Lieferungen können auch durch Ereignisse entstehen, die außerhalb der Lieferkette liegen. Diese Ereignisse werden als Schocks bezeichnet. Schocks können entweder positiv oder negativ sein. Positive Schocks, wie die Entwicklung einer neuen Technologie, können eine Lieferkette unterbrechen, indem sie sie überflüssig machen. Negative Schocks, wie eine Naturkatastrophe, können eine Lieferkette unterbrechen, indem sie die Infrastruktur beschädigen oder einen Materialmangel verursachen.
Das Problem der Lieferketten in der Medientechnik ist auch unter Halbleitermangel oder Chipmangel bekannt. Mikrochips sind sämtliche Arten von integrierten Schaltkreisen. Sie sind für den Betrieb von Smartphones, Tablets und auch Fahrzeugen unabdingbar. Selbstverständlich gilt das auch für Videokonferenzsysteme. Die erhöhte Nachfrage stand gleich mehreren Schwierigkeiten gegenüber:
Die Coronapandemie war sicherlich einer der größten Faktoren, weil sie grundsätzlich alle Teile der Lieferkette beeinträchtigt. So standen die relevanten Fließbänder in Taiwan und China still. Geplante Ausbauten, um auf die wachsende Nachfrage zu reagieren, konnten nicht stattfinden. In China wird weiterhin auf die Zero-Covid-Strategie gesetzt, was die Industrie und somit die weltweit wichtigen Exporte bremst.
Rohstoffe wie Silicium, aus denen Halbleiter hergestellt werden, liegen grundsätzlich aber ausreichend auf der Erde vor. Daher wird medial diskutiert, ob wirklich von einer „Halbleiterkrise“ die Rede sein kann.
Wieder ein sehr aktuelles Thema durch Niedrigrekorde der Wasserstände, aber erinnern wir uns auch an Ende März 2021 zurück: Ein Tanker versperrte den Suezkanal, und eine Haupthandelsroute war lahmgelegt. Zusammen mit durch die Pandemie gesperrte Häfen war der Wassertransport, insbesondere von Asien, massiv gestört. Und schließlich gibt es einen weltweiten Mangel an Schiffscontainern, was den Transport von Waren rund um die Welt erschwert.
Auch die Handelsspannungen zwischen den USA und China haben Auswirkungen auf die Lieferkette. Viele Unternehmen beziehen ihre Komponenten aus China, suchen nun aber aufgrund der Zölle nach Alternativen. Dazu kommt der aktuelle Ukrainekonflikt, durch den wiederum Lufträume und Seewege geschlossen und blockiert werden, was globale Handelsrouten unterbricht, Märkte verunsichert und Energiekosten steigert.
Dies sind nur einige der Probleme, die sich auf die Lieferkette der Medientechnologie auswirken. Infolgedessen kann es bei Unternehmen zu Verzögerungen bei ihren Projekten kommen.
Welche Auswirkungen haben Lieferverzögerungen auf den AV-Markt?
Es gibt zwei verschiedene Arten von Verzögerungen, die wir als Systemintegrator in den letzten zwei Jahren identifiziert haben. Bei der ersten Art von Lieferverzögerung handelt es sich um eine langfristige Verzögerung von manchmal bis zu zwölf Monaten. Die andere Art von Verzögerung scheint kurzfristig, entpuppt sich manchmal aber als zu optimistisch von Lieferanten geschätzt. Die Wartezeit wird dann mit vielleicht drei oder sechs Monaten beziffert. Das Problem bei dieser Variante ist, dass hier oft nach dem Ablauf dieser Wartezeit eine erneute Wartezeit von mehreren Monaten angekündigt wird. Es kam auch schon vor, dass nach der ersten Periode die Wartezeit auf einen unbekannten Termin verschoben werden musste. Das erschwert immens die Planbarkeit von Projekten und führt gegebenenfalls dazu, dass das Vertrauensverhältnis zum Lieferanten beeinträchtigt wird, ganz sicher aber das Vertrauensverhältnis zum Kunden, wenn zeitliche Versprechen nicht eingehalten werden können.
Infolgedessen können Medientechnikprojekte natürlich im Detail geplant werden, aber selbst wenn die technischen Experten für die Umsetzung verfügbar sind, können die Projekte physikalisch nicht umgesetzt werden, und es entstehen Verzögerungen, die dann vielleicht sogar bis zu zwölf Monaten betragen, ohne dass man von Anfang an darauf vorbereitet ist. Was man vielleicht in einem Bestandsgebäude bzw. Modernisierungsprojekt verkraften kann, weil die alte Technik bis dahin noch funktioniert, kann bei Neubauprojekten große Kosten verursachen, die durch diese Problematik für Lieferketten entstehen.
Lieferketten sind fragil – es stellt sich die Frage, ob sie wirklich bereit sind, die Post-Pandemie-Zeit ausreichend zu stemmen. Einige Unternehmen und auch ganze Nationen reagieren darauf verstärkt. Neue Produktionsstätten sollen errichtet werden, und Länder bemühen sich, die Produktion in ihre Nähe zu verlagern, damit weniger Abhängigkeiten bestehen und somit Engpässe verhindert werden können. Seit Mitte März ist offiziell, dass der US-Chiphersteller Intel eine neue Giga-Fabrik in Magdeburg bauen wird. Aber auch diese Vorhaben werden einige Zeit in Anspruch nehmen.
Zudem ist schwer absehbar, welche weitreichenden Folgen eine solche Entglobalisierung mit sich bringt. Sicher wären starke Preisanstiege, die gegenüber Konsumenten kaum vertretbar sein würden. Einige Produktlinien würden sogar gänzlich wegfallen. Wahrscheinlicher und auch schon zu beobachten ist, dass Unternehmen ihre Lieferketten neu bewerten und aufstellen. Die Risiken von einer Supply Chain mit vielen Abhängigkeiten sind stark in den Fokus gerückt. Produkteinbußen bis hin zum Stillstand der Produktion sollen vermieden werden. So könnte Lagerhaltung gegenüber der Just-in-time-Produktion wieder öfter den Vorrang bekommen. Single Sourcing wird reduziert, so dass die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern sinkt.
Eine weitere Strategie in diesem Zusammenhang ist auch die Blockchain. Blockchain kann helfen, Lieferketten effizienter und widerstandsfähiger zu machen. Durch die Tokenisierung von Vermögenswerten und deren Nachverfolgung in einem verteilten Ledger kann Blockchain allen Beteiligten Einblick in die Lieferkette geben und sie in die Lage versetzen, bessere Entscheidungen zu treffen. Wenn es beispielsweise ein Problem mit einem Lieferanten gibt, kann die Blockchain helfen, die Ursache des Problems zu ermitteln und einen alternativen Lieferanten zu finden.
Wie können Systemintegratoren auf Lieferverzögerungen reagieren?
Systemintegratoren haben mit Lieferketten oft die folgende Erfahrung gemacht: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Das klassische Sprichwort ist nach wie vor noch gültig. Das bedeutet, je länger der Prozess eines Kunden dauert, eine Entscheidung für eine Bestellung zu treffen oder Angebote anpassen zu lassen, desto größer ist auch das Risiko für eine oft signifikante Verzögerung von Waren. Je früher Bestellungen eingehen, desto mehr kann der Integrator aktiv daran arbeiten, Verzögerungen im Projekt zu vermeiden.
Da Systemintegrationshäuser in der Regel keinen stehenden Bestand an Hardware lagern, müssen Geräte und Material auf Projektbasis je nach Lösungsdesign von Distributoren bezogen werden. Weil auch die Distributoren von Medientechnik vor den gleichen Lieferkettenproblemen stehen, entsteht hier ein weiteres Risiko. Denn wenn dann endlich neue Hardware von den Herstellern produziert und auf den Logistikweg geschickt wurde, werden Bestellungen nach Eingangsdatum abgearbeitet.
Es gibt auch einige Hersteller, die bereits wieder ihre Lager gut bestückt haben und von welchen man zurzeit keine Lieferengpässe zu erwarten hat. Diese Verfügbarkeiten können sich jederzeit schnell ändern. Hier lohnt sich der Blick über den Tellerrand. Der eine oder andere Kunde mit sehr konkreten Vorstellungen lässt sich möglicherweise von alternativen Systemen überzeugen, die zum jeweiligen Zeitpunkt wesentlich schneller verfügbar sind, ohne dass Qualität eingebüßt werden muss.
Was kann man als Kunde bei Risiken von Lieferketten tun?
Wie können Endkunden Risiken von Lieferketten vermeiden? Aufgrund der Komplexität der Lieferkrise gibt es keine realistische Prognose, wann mit einer Normalisierung gerechnet werden kann. Nicht umsonst werden Lieferdaten oftmals nicht einmal kommuniziert oder mehrmals weit in die Zukunft verschoben. Wenn also ein Projekt geplant wird, bei dem Medientechnik zum Einsatz kommt, ist es wichtig, sich dieser Probleme bewusst zu sein und entsprechend miteinzurechnen. Wer die aktuelle Situation versteht, kann sicherstellen, dass Vorhaben durch lange Lieferzeiten nicht beeinträchtigt werden. Sicher sind die Verzögerungen in der medientechnischen Lieferkette nicht ideal, aber es gibt Möglichkeiten, sie zu umgehen. Wenn man sich der Probleme bewusst ist und vorausschauend plant, verläuft das Projekt dennoch reibungslos. Dabei hilft selbstverständlich auch eine gewisse Flexibilität bei der Auswahl der eingesetzten Systeme.
Gastautor Tobias Enders ist als Geschäftsführer von GMS Experte für Smart Building, Medientechnik und Videokonferenzen. GMS Global Media Services ist Full-Service-Systemintegrator in den Bereichen Smart Building, Medientechnik und Videokonferenzen.