Case Study: Vernetztes Lernen in einer vernetzten Welt
von Jörg Küster, Artikel aus dem Archiv
Die medientechnische Installation auf dem Campus Riedberg wurde mit dem „SINUS – Systems Integration Award“ ausgezeichnet. Wir schauten uns die Universitätsgebäude im Nordwesten Frankfurts genauer an.
Mit über 36.000 Studierenden an vier innerstädtischen Standorten zählt die Johann Wolfgang Goethe-Universität zu den zehn größten Hochschulen in Deutschland. Insbesondere in den Sozial- und Naturwissenschaften werden Maßstäbe gesetzt.
Qualitätsoffensiven in Forschung und Lehre sowie verstärkte Kooperationen mit externen Partnern begleiten an der Frankfurter Uni seit Anfang des Jahrtausends einen Veränderungsprozess, zu dessen Dynamik auch neue Institutsbauten gehören: Die „Science City Riedberg“ soll künftig sämtliche naturwissenschaftlichen Fachbereiche vereinen; im Herbst 2011 wurden im nordwestlich der Frankfurter City gelegenen Campus drei neue Gebäude bezogen.
Drei Gebäude, eine Zentrale Zu den medientechnisch besonders interessanten Lehrstätten zählen auf dem Campus Riedberg das den Fachbereich Biowissenschaften beheimatende Biologicum (2 Hörsäle, insgesamt 28 Räume mit Medientechnik), das Exzellenzcluster Makromolekulare Komplexe (3 Räume mit Medientechnik) sowie das Otto-Stern-Zentrum (6 Hörsäle, 5 Seminarräume, 6 Gruppenarbeitsräume, 1 Besprechungsraum, 1 PC-Pool).
Als Novum ist im Otto-Stern-Zentrum ein spezieller Support-Raum (MT-Support) beheimatet, in dem sämtliche medientechnisch relevanten Signale der drei vorgenannten Komplexe zusammenlaufen – speziell geschultes Personal des Hochschulrechenzentrums (HRZ) betreut von hier aus den gesamten Campus.
Die medientechnische Planung für den Campus Riedberg verantwortete das Büro hartmann + mathias Partnerschaft (www.hmpartner.de) mit Standorten in Sonsbeck und Düsseldorf; Ansprechpartner waren Detlef Hartmann (Sachverständiger BDSF) und Stefan Mathias (beratender Betriebswirt). Die Ausführung lag in den Händen der BFE Studio und Medien Systeme GmbH (www.bfe.tv) aus Mainz; erster Ansprechpartner im vor Ort tätigen BFE-Team war Projektingenieur Jörg Alberti. Wichtige Ideen lieferten die Fachkräfte des Hochschulrechenzentrums, welche Anregungen aus ihrer täglichen Praxis beisteuern konnten.
AV und IT über LWL
Hinsichtlich der Signalübertragung wird im Campus Riedberg auf eine strukturierte Verkabelung in LWL-Technik gesetzt; sämtliche Räume sind über Glasfaser (Multimode, Kabelkategorie OM3) in ein Netzwerk integriert.
Alle drei Neubauten verfügen dabei über eigene Zentralen, in denen sämtliche eingehenden Signale zusammenlaufen und auch deren Verteilung auf die diversen Ausgabepunkte organisiert wird. Jede Zentrale ist ihrerseits an den eingangs erwähnten MT-Support angebunden, was den Technikern umfassende Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten an die Hand gibt, ohne dass sie sich auf dem weitläufigen Campusgelände zwangsläufig zu den einzelnen Institutskomplexen begeben müssen.
Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch der verringerte Ressourcenbedarf: Aufzeichnungs- und Videokonferenzmöglichkeiten können zusammengefasst werden, was nicht nur Kosten spart, sondern auch eine flexiblere Nutzung der vorhandenen Räume begünstigt: Quasi jeder Raum kann medientechnisch jederzeit derart ausgerüstet werden, wie es die Anwendung gerade erfordert. Im Gegensatz zu einem Konzept mit ausgelagerter Intelligenz konnten durch die Zentralisierung dem Vernehmen nach Einsparungen in Höhe von rund einer halben Million Euro realisiert werden.
Bezüglich des Signaltransports lässt sich das Glasfasernetzwerk am Riedberg in unterschiedliche Segmente gliedern: Zum einen ist die Video-Übertragung Bestandteil des Netzwerks, ein anderer Teilbereich ist für die Übertragung der Audiodaten (Dante-Protokoll, siehe unten) vorgesehen. Als dritte Signalart ist die Steuerung zu berücksichtigen, und unabhängig von den vorgenannten Inhalten wird am Riedberg das normale IT-Netz der Universität über Glasfaser betrieben. Die medientechnisch relevanten Signale werden gemeinsam über Multimodefasern transportiert; das universitäre IT-Netz nutzt eigene LWL-Strecken
Vernetzung via Digital-Media
Zentrales Produkt für die medientechnische Nutzung der Glasfaserstrecken ist das „High Definition Digital Media Distribution“-System von Crestron, das die zuvor erwähnten AV-Signale handhabt – es dürfte sich um die bislang größte Installation dieser Produktgruppe in Deutschland handeln. Modular aufgebaute Matrixsysteme erlauben eine Verschaltung der Signale an die gewünschten Endpunkte. DigitalMedia unterstützt die HDCP-Verschlüsselung („High bandwidth Digital Content Protection“), so dass Initialisierung und Registrierung der Zuspieler/Ausgabegeräte sowie das Umschalten zwischen verschiedenen Quellen ohne Wartezeiten möglich sind.
Als DigitalMedia-Knotenpunkte kommen am Riedberg vernetzte DM-MD32X32-RDS-Einheiten mit redundanten Netzteilen zum Einsatz. Bestückt sind die DM-MD32X32-RDS u. a. mit Karten des Typs DMC-HD-DSP (DigitalMedia-Eingangskarte mit Signalprozessor für die gleichzeitige Ausgabe von 7.1-Surround und die zweikanalige Audiowiedergabe), DMC- FDSP (DigitalMedia-Eingangskarte mit Signalprozessor für die gleichzeitige Ausgabe von 7.1- Surround und Downmix-Stereo) und DMCO-13 (DigitalMedia-Ausgangskarte mit 2 ¥ DM Glasfaser und 2 ¥ HDMI mit Audio). Zum Zeitpunkt der Planungen für den Campus Riedberg konnte nach Aussage von Fachplaner Detlef Hartmann ausschließlich das DM-System von Crestron die für die herausfordernde Anwendung benötigten Features bereitstellen.
Auch bezüglich der Wirtschaftlichkeit wusste die Crestron-Lösung nach Hartmanns Worten zu überzeugen: Für Sendeseite, Verschaltung und Empfangsseite wurden unterschiedliche, seinerzeit am Markt verfügbare Produkte diverser Hersteller miteinander verglichen, wobei sich zeigte, dass die flexiblen Einspeisungsmöglichkeiten des DM-Systems kostenseitig die Nase vorne hatten – ein Sendemodul des Typs DM-TX- 300N-F, das sämtliche eingehenden Signale handhaben kann, wird hier mit lediglich einer LWL-Strecke verbunden, was als erwünschter Nebeneffekt auch die Dimension der Kreuzschiene in einem vertretbaren Rahmen hält. Schließlich war das Crestron-Produkt während der Planungsphase laut Detlef Hartmann die einzige Lösung, die mit der HDCP-Problematik in der gewünschten Form umgehen konnte.
Dante im Großeinsatz
Audiosignale werden im Technikraum an der Crestron-Matrix analog abgegriffen und leistungsstarken DSP-Prozessoren (Peavey MediaMatrix NION n6 – Dante und NION n3 – Dante) über Audiokarten des Typs NIO-8 ml II zugeführt. Die digitalen Audioinformationen werden von hier ausgehend über ein Dante-Netzwerk übertragen, für dessen Aufbau Standardperipherie aus dem PC-Bereich (PoE-Switches etc. von PLANET Technology) genutzt wird.
Die NION-Units sind mit Dante-Interfaces ausgerüstet, worauf frontseitig angebrachte Aufkleber hinweisen. Um die große Zahl der zu bearbeitenden Kanäle handhaben zu können, sind mehrere NION-Einheiten über den propietären MediaMatrix X-DAB-Bus (bis 512 Kanäle) miteinander verkoppelt. „Wir haben uns für Dante entschieden, weil wir den Restriktionen, die CobraNet mit sich bringt, aus dem Weg gehen wollten“, erklärt Fachplaner Stefan Mathias. „Weiterhin handelt es sich bei Dante um ein sich eigenständig administrierendes System, so dass nicht jeder beteiligten Komponente händisch eine individuelle IP-Adresse zugewiesen werden muss.
Auch die Latenzen fallen bei Dante sehr gering aus. Es lassen sich viele Kanäle übertragen, und die Kompatibilität zu AVB verspricht Zukunftssicherheit!“ Beim Campus Riedberg dürfte es sich um das erste Projekt in Deutschland handeln, bei dem Dante als großes Audio-netzwerk installiert ist; in Europa ist der Frankfurter Campus möglicherweise das umfangreichste bislang realisierte Dante-Vorhaben. Weiterführende Informationen zu Dante sind auf der Website von Audinate zu finden (www.audinate.com). In den Hörsälen sowie in ausgesuchten Seminarräumen sind die Lautsprecher (Tannoy QFlex) ebenfalls mit Dante-Interfaces ausgestattet und können somit direkt an das System angebunden werden. Die QFlex-Lautsprecher wurden laut Stefan Mathias von Hersteller Tannoy extra für das Frankfurter Projekt in einer Version mit Dante-Schnittstellen aufgelegt. Die Länge der DSP-gesteuerten Schallzeilen entspricht den Erfordernissen des jeweiligen Raums; die Audiowiedergabe erfolgt in Stereo.
Ein Interface (Peavey CAB 4n Dante) stellt gemäß Anforderung der Universität analoge Ein- und Ausgänge bereit, so dass sich bei Bedarf zusätzliche Aktivlautsprecher oder Audioaufzeichnungsgeräte lokal anbinden lassen. Auch die in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Ingenieurbüro flächendeckend verlegten Induktionsschleifen erhalten ihre Signale aus den Peavey-Interfaces, wobei die Verstärkung bewährten Produkten von Ampetronic (ILD500, ILD1000G) obliegt. Eine Phased-Array-Auslegung sorgt dafür, dass kein Übersprechen zwischen den einzelnen Räumen stattfindet. Eingespeist in das Dante-Netzwerk werden Audiosignale wie das in den Medienpulten untergebrachte Revoluto-Tischmikrofon (MPR 210) von Beyerdynamic; Steckfelder stellen ergänzende Eingänge (Mic/Line) bereit. Als Sendestrecken
Projektion & Mediensteuerung
Als Projektoren kommen auf dem gesamten Campusgelände durchweg Produkte von Panasonic zum Einsatz. Die Ausstattung variiert je nach Raumgröße, und es werden Modelle mit Lichtströmen von 6.000, 10.000 und 12.000 ANSI-Lumen eingesetzt. Hörsaal 2 im Otto-Stern-Zentrum ist als Besonderheit mit einer Tandemprojektion (2 ¥ PT-DZ12000E mit Zoomobjektiv ET-D75LE20) ausgerüstet, die sich zur Wiedergabe von 3D-Inhalten unter Verwendung des Infitec-Verfahrens heranziehen lässt.
Die Betriebszeiten der an Audipack-Halterungen montierten Projektoren werden via LAN ausgelesen, und es soll darauf geachtet werden, dass die Differenzen bei einer separaten Mononutzung im Normalbetrieb möglichst gering ausfallen, so dass beim 3D-Einsatz stets eine homogene Bildwiedergabe gewährleistet ist. Für die Panasonic-Projektoren sprachen laut Detlef Hartmann jenseits einer guten Bildqualität unter anderem ihre 24/7-Betriebsbereitschaft sowie die geringe Geräuschentwicklung im laufenden Einsatz.
Die Projektoren sind über HDMI angebunden, und an jedem Projektor befindet sich ein Interface (Crestron DM-RMC- 100-F), welches das eintreffende Glasfasersignal in ein elektrisches, zum Projektoreingang kompatibles Signal umwandelt. Als Mediensteuerung sind Crestron CP2E- und MC2E-Einheiten im Einsatz, welche auch eine Steuerung der Raumtechnik via EIB-Gateway (Crestron CGEIB-IP) ermöglichen. Zugriff erhalten die Anwender über Touchpanels unterschiedlicher Größen, welche in von BFE als Sonderanfertigung hergestellte Rednerpulte integriert sind. Mechanik und Holzkonstruktion der Pulte wurden in Abstimmung mit den Architekten gemäß der Anforderungen von hartmann+mathias Partnerschaft in den BFE-Werkstätten entworfen und gefertigt.
Die integrierten Racks wurden von den Technikspezialisten des Mainzer Systemhauses mit den geforderten 19″-Komponenten bestückt und vorverkabelt, so dass sie an ihren Einsatzorten lediglich an die vorhandenen Anschlüsse aufgesteckt werden mussten. Neben kleineren Formaten wie dem Crestron-Modell TPS-6LB-T (5,7″-Touchpanel) kommen auch berührungssensitive Widescreen-Anzeigen mit Diagonalen von 24 Zoll (Crestron V24 mit 1.900 ¥ 1.200 Pixel Auflösung und eingebautem HD-Scaler an Crestron DGE-2 Touchpanel-Interface) zum Zuge.
Die Bedienoberflächen der ergonomisch vorteilhaft in die Rednerpulte eingebauten Panels wurden gemäß der Wünsche der Universität gestaltet, wobei insbesondere die großen Bildschirmdiagonalen sehr komfortable Layout-Optionen eröffneten – beim Campus Riedberg dürfte es sich um das erste deutsche Projekt handeln, das mit V24-Touchpanels ausgestattet wurde. Als digitale Videoprozessoren kommen Crestron DVPHD-CUSTOM-Modelle zum Einsatz.
Rich-Media-Aufzeichnung
Auf dem Campus sind diverse Aufzeichnungsmöglichkeiten gegeben: Reine Audioinformationen lassen sich mit Tascam Flash-Recordern des Typs HD-R1 aufnehmen, während für die zur Ausstattung vieler Rednerpulte gehörende Annotation-Funktion ein Sonderweg beschritten wird: Von der Hamburger komma,tec redaction GmbH wurde eine spezielle Soft- und Hardware-Lösung auf PC-Basis entwickelt, die fertig gestellte Folien auf einem Server speichert und für ein Mediasite-System (s. u.) verfügbar macht. Die Annotation-Funktion stellt dem Dozenten auf dem Touchpanel eine beschreibbare weiße Fläche zur Verfügung; die sichtbare Oberfläche kann u. a. auf das Projektionssystem übertragen werden. Ein drahtgebundener Spezialstift (Crestron V24L-PEN) vereinfacht als optionale Ergänzung das Schreiben.
Weiterhin ist in Frankfurt ein Rich-Media-Aufzeichnungs- und Streaming-System vorhanden; die Wahl fiel auf Mediasite von Sonic Foundry. Mediasite umfasst sowohl Harddiskrecorder (RL Recorder) als auch ein Server-System (35EX-SSW plus RSS-Feed). Videosignale werden den Mediasite-Geräte aus den Crestron DM-MD32X32-RDS-Einheiten zugeführt. Letztere geben HDMI-Signale aus, die durch Gefen-Konverter (HDMI1.3-2-3GSDI) auf HD-SDI umgesetzt werden. Dank vier vorhandener Media site-Recorder können bis zu vier Veranstaltungen parallel aufgezeichnet werden. An die Recorder angeschlossen ist ein Serversystem, das in Kürze unter Regie von hartmann+mathias sowie des Hochschulrechenzentrums zu einer High-Availability-Lösung ausgebaut werden soll.
Teil der Maßnahmen ist eine Anbindung an die zentrale Datenbank der Universität, in der sämtliche Studierenden, Mitarbeiter und Dozenten erfasst sind – Grund ist die für den Abruf von Inhalten erforderliche Authentifizierung der Nutzer. Zwecks Videoaufzeichnung können in den Hörsälen und Seminarräumen mobile HD-Kameras des Typs AW-HE50SE von Panasonic aufgebaut werden, die via HD-SDI („High Definition Serial Digital Interface“, über Lynx OTX 1810-Transmitter) angebunden sind. In den Hörsälen lassen sich zu diesem Zweck transportable, von BFE gefertigte Säulen in einen im Boden eingelassenen Flansch einsetzen. Die Kameras befinden sich an den Spitzen der Säulen, so dass im Gegensatz zu einer Deckenanbringung die niedrige optische Achse eine ansprechende Darstellung des Vortragenden verspricht.
Bild: Jörg Küster
Bild: Jörg Küster
Bild: Jörg Küster
Bild: Jörg Küster
Bild: Jörg Küster
Bild: Jörg Küster
Letzteres sollte sich auch bei optional aufbaubaren Videokonferenzen positiv bemerkbar machen: Zentral stellt das Hochschulrechenzentrum leistungsstarke Systeme von Tandberg zur Verfügung, mit deren Hilfe sich quasi jeder Raum Videokonferenz-kompatibel umgestalten lässt – die Administration übernimmt dabei der MT-Support. Seminarraum 1 im Otto-Stern-Zentrum ist speziell für Videokonferenzen ausgelegt und mit zwei fest montierten Panasonic 65″-Displays (TH-65PF12EK) an Wandhalterungssystemen von Chief versehen; ein vergleichbar ausgerüsteter Konterpart befindet sich im Biologicum. Auch hier werden eingehende Digital-Media-Signale durch Crestron DM-RMC-100-F-Units passend umgesetzt.
Preiswürdiges Projekt
Im so genannten „War for Talents“ besitzt die Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität mit den neuen Institutsgebäuden am Campus Riedberg sowie dem geplanten Ausbau zur „Science City“ ein weiteres Argument, um hochbegabte Nachwuchskräfte für ein Studium in der Mainmetropole zu gewinnen; darüber hinaus kann die Uni ihr Profil im weltweiten Wettbewerb schärfen.
Der hohe Anspruch an die interdisziplinäre Spitzenforschung reflektiert sich auch in der umfassenden Ausstattung mit den so genannten „neuen Medien“ unter Einbindung vieler aktuell verfügbarer Produktinnovationen. Das Projekt wurde im April 2011 mit dem „SINUS – Systems Integration Award“ in der Kategorie Education für die Kreativität der planerischen Leistung und deren gelungene Umsetzung bedacht – eine Arbeit mit summa cum laude sozusagen…