Unterricht im Spannungsfeld von Didaktik und Medienpädagogik
von Dominik Roenneke, Artikel aus dem Archiv vom
Die laufenden Planungen an den Schulen kommen unter Einfluss der Pandemie unter die Räder. Neben der mühsamen Digitalisierung muss nun das Format des Unterrichts neu gedacht werden.
In den ersten Bundesländern startete nach den Sommerferien das neue Schuljahr 2020/2021. In NRW zeigte sich der andauernde Einfluss der Pandemie wohl am sichtbarsten. Hier saßen in den ersten Wochen alle Schüler ab der fünften Klasse auch während des Unterrichts maskiert in ihren Schulräumen. Das ist für das Lernen eine sehr massive Beeinträchtigung.
Direkt mit Beginn des Schuljahres wurden nachvollziehbar „beim Oberverwaltungsgericht in Münster mehrere Klagen gegen die Maskenpflicht während des Unterrichts an weiterführenden Schulen“ eingereicht. Mit der Maskenpflicht kann zwar wieder die ganze Klasse, wie vor Corona selbstverständlich, in einem Raum gleichzeitig unterrichtet werden, aber ist es mit der drastischen Einschränkung durch die „Alltagsmaske“ sinnvoll und erfolgreich?
Viele Gegenargumente stehen im Raum: unzureichende Sauerstoffversorgung, verringertes Konzentrationsvermögen, erhöhte Keimbelastung, fehlende Mimik in der Kommunikation. Und über dem neuen Schulalltag schwebt jederzeit die Gefahr von Klassen- und Schulschließungen aufgrund neuer Ansteckungsfälle. Das Frühjahr 2020 hat gezeigt, wie schnell Unterricht und damit die kontinuierliche Schulausbildung gravierend beeinträchtigt werden können. Mit Beginn des neuen Schuljahres ist fast ein halbes Jahr seit Ausbruch der Pandemie vergangen. Jederzeit kann der Unterricht erneut zum Erliegen kommen.
Erste Befürchtungen, dass die erfolgreiche Schulausbildung der Schüler in Gefahr sei, wurde von verschiedenen Fachleuten bereits im Frühsommer geäußert. Wie stellt sich das dar, falls im Herbst eine zweite Infektionswelle ausbricht? Ist dann bereits vom Verlust zweier Schulhalbjahre auszugehen? Digitalexperten wie Dr. Stefan Ried erwarten, dass bei weiterem Unterrichtsausfall eine Klagewelle besorgter Eltern losbrechen könne, um einen kontinuierlichen Unterricht einzufordern.
Schon in den ersten Wochen nach den Schulschließungen im Frühjahr bewiesen viele Lehrer, wie schnell sich kreative Lösungen zur Fortsetzung des Unterrichts in Gang bringen ließen. Dieses – für viele Lehrkräfte erste – digitale „Experimentierfeld“, brachte bereits interessante Erkenntnisse. Schließlich ging es ja nicht nur um die technische Machbarkeit von wie auch immer gearteten Home-School-Strukturen, sondern insbesondere auch um die Methodik und Didaktik des Lehrens.
Nicht alles, was machbar war, war auch erfolgreich. Für die Schüler stellte sich praktisch über Nacht eine völlig neue Schulrealität dar: heraus aus dem Präsenzunterricht und hinein ins Home-Schooling im heimischen Kinder- und Jugendzimmer. Während viele Lehrer intensiv versuchten, die Schüler mit Lehrinhalten zu erreichen, mussten die Schüler lernen, dass es nicht mehr darauf ankam, den Schulbus pünktlich zu erreichen, sondern den PC, das Tablet oder im einfachsten Falle das Smartphone pünktlich an den Start zu bringen. Plötzlich waren Online-Tools wie Zoom, MS Teams und diverse andere Plattformen in aller Munde und mutierten zu selbstverständlichen Unterrichtsmedien.
Problematische Begleiterscheinungen blieben nicht aus: unzureichende Geräteverfügbarkeit und Internetbandbreite auf der technischen Seite sowie Medienaffinität und Motivation auf der anderen Seite. Selbstverständlich kamen Schüler auch auf die Idee, sich brav zum Video-Unterricht einzuwählen, um sich dann bei laufendem Video-Unterricht anderer Freizeitaktivitäten zu widmen.
Derartige Beispiele zeigen, dass nicht die Technik in erster Linie über den Lernerfolg entscheidet, sondern der damit einhergehende methodisch-didaktische Ablauf des Distanzunterrichts. Und dieses Arbeitsumfeld war für viele Lehrer nicht nur neu, sondern auch herausfordernd, sofern sie sich nicht bereits früher intensiv mit Medienpädagogik befasst hatten. Ab März 2020 bedeutete die Pandemie eine völlig neue Realität.
Vorher schon schob der DigitalPakt Schule digitale Lehransätze in das Bewusstsein. Aber auch davor existierten bedeutende Digitalisierungsangebote für Schulen, allerdings meist in Pilotprojekten. Diese wurden an den Schulen eher von einzelnen Lehrern mit großem Engagement und hoher Motivation getragen. Verschiedene Pilotprojekte zeigten somit vor dem Start des DigitalPakts auf, wie Unterricht digitaler und medialer werden könnte unter Berücksichtigung pädagogischer Gesichtspunkte. Der DigitalPakt schaffte dann in der Folge die Rahmenbedingungen für Investitionen in Drahtlosnetzwerke und Medientechnik in den Schulen.
Und so verändert die Pandemie schlagartig die gerade erst mühevoll in Gang kommende Bundesförderung der Schulen mit insgesamt 5 Milliarden Euro für rund 40.000 Schulen. Pro Schule stehen etwa 137.000 € zur Verfügung. Als der DigitalPakt vereinbart wurde, hatte niemand eine Pandemie auf dem Radar. Somit konzentrierte sich der Pakt selbstverständlich auf die Digitalisierung und Media – lisierung innerhalb der Schulen inklusive WLAN-Versorgung in den Räumen. Allerdings waren wesentliche Elemente, die zu einer „Grundausstattung“ des digitalen Arbeitens gehören, wie Breitbandausbau und digitale Endgeräte, über dieses Förderprogramm nicht oder eingeschränkt förderbar. Erste Förderprojekte kamen in der zweiten Hälfte von 2019 und Anfang 2020 an Schulen und in Kommunen in Gang, wenn auch nicht so zahlreich, wie von vielen erhofft.
Die Pandemie verschiebt aktuell den Blickwinkel auf die benötigte medientechnische Ausrüstung von Schulen, Lehrern und Schülern ganz erheblich. Zukünftig muss eine völlig neue Form des Unterrichtens bedacht werden: Distanzunterricht und Home-Schooling werden die Überlegungen bestimmen. Wie lassen sich die beiden Unterrichtsformen technisch medial und insbesondere didaktisch sinnvoll aufeinander abstimmen? Sind somit alle Überlegungen der technisch pädagogischen Konzepte hinfällig? Sicherlich nicht, denn das Format Präsenzunterricht ist unverzichtbar. Je jünger die Schüler, umso wichtiger ist der Unterricht von Angesicht zu Angesicht. Bei fortwährendem Distanzunterricht junger Schulkassen stellt sich grundsätzlich auch die Frage nach der Beaufsichtigung zu Hause. Was beim Präsenzunterricht wie selbstverständlich geregelt ist, ermöglicht Eltern, ihren beruflichen Verpflichtungen außer Hause nachgehen zu können.
In Oberstufen sind flexiblere Unterrichtsformen schon eher möglich. Sie bereiten unter Umständen sogar gut auf die Studienzeit vor. An den Universitäten und bei den Studenten sind mediale Strukturen nämlich wie selbstverständlich vorhanden. Studenten begrüßen es, überfüllte Hörsäle zu meiden und Inhalte beispielsweise via Moodle (Lernplattform-Software) als aufgezeichnete Videovorlesungen anzuschauen. Häufig arbeiten Studenten die Vorlesungen zeitbeschleunigt durch. Ob das effektiv ist oder zu einer unzureichenden Informationsaufnahme führen kann, wäre möglicherweise eine wissenschaftliche Untersuchung wert.
Die Pandemie löst weitere DigitalPakt-Förderung aus
Am 19. März 2020 teilte die Bundesministerin Karliczek den Ländern mit, dass „Content zu den mit den Investitionen unmittelbar verbundenen Ausgaben zählt“ und damit ebenfalls förderfähig ist: „Für die Nutzung digitaler Bildungsangebote und den Ausbau von Infrastrukturen zum Ausgleich von Schulschließungen wurden Mittel aus dem DigitalPakt Schule für landesweite und länderübergreifende Projekte im Umfang von 100 Mio. € den Ländern zugewiesen.“ Hier ist allerdings die Einschränkung zu beachten, dass die Inhalte nur über Landessysteme und -plattformen sowie „Server der Landesstruktur“ betrieben werden dürfen. Ausdrücklich wird keine anderweitig autonom laufende Software gefördert, von z. B. kommerziellen Anbietern.
Zusätzlich vereinbarten Bund und Länder ein zweites „Sofortprogramm“ angesichts der Pandemie: „Die Corona-Krise darf keine Bildungskrise werden.“ Mit dieser Vereinbarung wurden den Schulen und ihren Schülern weitere 500 Millionen € für digitale Endgeräte bereitgestellt: „Deshalb ist es ein wichtiger Schritt für mehr Bildungsgerechtigkeit, dass Bund und Länder mit dem Sofortprogramm die Teilhabe an digitaler Bildung ermöglichen.“
Die Digitalisierung soll also möglichst schnell und auf breiter Front voranschreiten. Dazu gibt es verschiedene Ansätze von Institutionen wie auch Unternehmen. So ist beispielsweise das Unternehmen Cloudflight, „über seinen Digital Leader Summit mit digitalen Vordenkern und Praktikern aus der gesamten deutschen Wirtschaft vernetzt“ und empfahl vor Beginn der Schulsommerferien in diesem Zeitraum „Digitalisierungsprojekte an Schulen umzusetzen“. Das Unternehmen „hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Netzwerk führender Digitalexperten zu nutzen, um Wirtschaft und Schulen auf kommunaler Ebene an einen Tisch zu bringen“.
Nun zum Ende der Ferienzeit zieht Dr. Stefan Ried das Resümee: „Es konnten einzelne Aktionen mit einzelnen Schulen erfolgreich gestartet werden. Aber Größeres kam nicht ans Rollen. Angesichts des föderalen Setups erfolgt vieles nur über die kommunale Ebene.“ Aus seiner Sicht ist es aber erforderlich, dass beispielsweise die IT-Infrastruktur nicht ineffizient kleinteilig geplant und umgesetzt wird, sondern im größeren Rahmen und standardisiert. Auch ist es seiner Meinung nach ein „sehr gutes Signal, dass die Konzepte der Schulen nicht mehr zur Beantragung vollständig eingereicht werden müssen, sondern erst zur Abrechnung“. Auch diese Maßnahme angesichts des Pandemieverlaufs ist hilfreich für eine Beschleunigung der digitalen Transformationsprozesse.
Eine Initiative der Digital Leader Summit Community besteht darin, Lehrer weiterzubilden. Aus Gesprächen ist bekannt, dass an den Schulen viel ausprobiert wurde und verschiedene Optionen bedacht wurden. Um den Unterricht unter Einhaltung von Abstandsregeln und Maskenpflicht schultauglich zu handhaben, könnten Klassen aufgeteilt werden, so dass je eine Hälfte im Präsenzunterricht und die andere Hälfte über Distanzunterricht lernen könnte. Hier sind verschiedene Modelle nach Tages- oder Wochenaufteilung denkbar.
Dr. Ried stellt fest: „Viele Schüler brauchen die physische Anwesenheit.“ Im Distanzunterricht ist es ist keine Alternative, „nur Lehrvideos zu konsumieren“. Der normale Unterricht besteht auch nicht aus 45 Minuten Frontalunterricht, sondern aus Erklären, Fragen, Hinterfragen, Ausprobieren und Üben. „Das muss man natürlich auch digital so machen unter Berücksichtigung der jeweiligen Altersstufe.“ Dazu helfen im Distanzunterricht Plattformen, die „breakout sessions“ ermöglichen, um jederzeit von der virtuellen Klassenstärke auf Kleingruppenarbeit wechseln zu können. Die Lehrkraft kann sich in diesen Arbeitsphasen digital zwischen den Kleingruppen bewegen und unterstützen. Nach Beendigung der zeitlich klar umrissenen Gruppenarbeit wird die Klasse digital wieder zusammen geholt.
Doch bevor es soweit ist, dass die Lehrer in Schulen digital unterrichten und Schüler digital recherchieren, zusammenarbeiten und kommunizieren, müssen zunächst die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Dazu sind personalisierte Profile aller Nutzer nötig und Einverständniserklärungen von Eltern einzuholen. Dr. Stefan Ried erinnert daran, dass bei Diskussionen über DSGVO-konforme Umsetzungen drei Gefahrenbereiche voneinander abzugrenzen sind: „Bei Datensicherheit werden die drei wesentlichen Themengebiete oft durcheinandergebracht. ‚Individueller Cybercrime‘ – also persönliche Straftaten wie z. B. illegale Verwendung oder Veröffentlichung von Daten einzelner Personen –, massenhafte Veruntreuung von Daten großer Personenkreise mit Manipulationsbestrebung und Zugriff durch Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste. Hier helfen nur geschützte und persönliche Konten und sichere Dienste.“
Seiner Meinung nach bleibt restproblematisch ein möglicher Zugriff durch Behörden, auch international, was aber für Bildungseinrichtungen eher irrelevant ist. „Am Ende geben nicht nur die Tools die Datensicherheit, sondern, wie Bildungseinrichtungen den legalen Einführungsprozess machen und Dienste konfigurieren. In der Praxis lässt sich DSGVO-Konformität und die Eindämmung von Cybercrime am besten mit individuellen Schülerkonten und eigener Password- Erzeugung durch die Schüler realisieren.“
Das Unternehmen Macom, Experte für medientechnische Fachplanung und digitale Transformation, ermöglicht Lehrern Workshops im eigenen Macom Lab in Eislingen bei Stuttgart, um „komplette Hard- und Softwarelösungen, interaktive Displays, Projektionstechnologien und vieles mehr auszuprobieren“, so Siegfried Hermann, Geschäftsführer von Macom. „In dieser Testumgebung sollen Lehrer, insbesondere die Fachlehrer, die sich um die technisch pädagogischen Konzepte kümmern, herausfinden, was sie brauchen, und vor allem, was sie nicht brauchen.“
Dabei geht es im Macom Lab nicht nur um Hardware, sondern auch um die Anwendungen. Siegfried Hermann beschreibt auch, wie für Macom das Betätigungsfeld Bildungseinrichtung/DigitalPakt entstanden ist: „Schon immer haben wir Kommunen und Städte bei der Umsetzung von Ratssälen, Konferenzräumen und Veranstaltungsflächen planerisch unterstützt. Seit einiger Zeit kommen verstärkt kommunale Auftraggeber, insbesondere Schulträger, auf uns zu und suchen Unterstützung bei der Umsetzung des DigitalPakt Schule. Schulträger müssen Prozesse rund um die Digitalisierung der Schulen durchlaufen und mit Schulen in Diskussion gehen. Sie stellten fest, da sind keine Ressourcen, da ist niemand vorhanden, der sich um das komplette Projektmanagement kümmern kann.“ Mit dieser Erkenntnis wurden Macom-Berater geschult, auch unter Berücksichtigung didaktischer Aspekte.
Macom unterscheidet drei Themengebiete: Beratung und Konzeption, Planung und Beschaffung sowie den langfristigen Betrieb der angeschafften Technologie und Schulung der Lehrer und auch der technischen Mitarbeiter. Nicht selten kommt ein Schulamt auf Macom zu und hat von den zu betreuenden Schulen 10 bis 15 technisch pädagogische Konzepte vorliegen. „Wir von Macom sichten das und klären in Workshops die Grundsatztechnologie.“
Damit später Schulung, Gewährleistung und Wartung handhabbar sind, wird eine Standardisierung angestrebt. Dazu werden Raumtypen wie Klassenzimmer oder auch Fachräume usw. definiert und entsprechend technisch konzipiert. Auch kann Siegfried Hermann bestätigen, dass angesichts der Pandemie Tatsachen geschaffen werden, die je nach Verlauf fraglich sein könnten. Bei manchen Schulprojekten sind keine Anforderungen zur Umsetzung des Distanzunterrichts vorgesehen. Die Pandemie wird als vorübergehende Erscheinung angesehen. Hier rät Macom dringend dazu, wenigstens bei der Hardware-Infrastruktur zukunftsweisend und ausreichend auszustatten, so dass später digital ausgestattete Klassenzimmer möglichst leicht zu Hybrid-Klassenzimmern weiterentwickelt werden können.
Auch berichtet Siegfried Hermann, dass über das Sofortprogramm für digitale Endgeräte, welches nur bis zum Jahresende läuft, Kommunen und Städte bereits jetzt digitale Endgeräte beschaffen müssen, obwohl die örtlichen Schulen ihre Konzeptionen noch nicht abgeschlossen hätten und Hard- und Software-Lösungen noch gar nicht abschließend geplant seien. Dies kann zwangsläufig zu Fehlinvestitionen führen.
Der Gymnasiallehrer Martin Albrecht aus Worms beschäftigt sich bereits seit drei Jahren mit einer Schul-Cloud, die vom Hasso-Plattner-Institut entwickelt wurde. „Wir haben das am Anfang in einer Klasse gestartet und waren als Pilotschule sehr nah dran an der Entwicklung dieser Lernplattform. Sie ist für Lehrer und Schüler ein kostenloses Angebot und stellt ein ambitioniertes Projekt dar. Cloudbasiertes Lernen und Lehren verlangt nach neuen Methoden und didaktischen Ansätzen, die jetzt entstehen. Während die langjährige Entwicklung von den Schulen ausging, entwickelte das HPI das Backend weiter. In diesem Prozess wissen die Lehrer anfangs ja gar nicht, was sie alles machen können. Es ist wie bei Tennisschläger und Ball: Nur zusammen ergibt es einen Sinn. Eines kann nicht ohne das andere.“
Für die Nutzung der HPI Schul-Cloud brauchen Lehrer und Schüler lediglich digitale Endgeräte. Später hat der DigitalPakt „einen infrastrukturellen Rahmen gegeben, aber da ist noch nichts an unserer Schule angekommen“, resümiert Martin Albrecht. Am Gauß Gymnasium in Worms wird die HPI Schul-Cloud parallel und in „lernbegleitenden Strukturen“ eingesetzt und kann „den Präsenzunterricht auch mal ersetzen“. Martin Albrecht beschreibt die zukünftige Lehrerrolle als zunehmend moderativ für „ein selbstgesteuertes Lernen“ der Schüler.
Scheinbar unübersichtlich ist die Lage, sind die Möglichkeiten aus Sicht der Schulen. Und ebenso unterschiedlich sind die Voraussetzungen der Schulen: Schulform, Altersstufen, Zusammensetzung des Kollegiums, technische Ausstattung und Internetanbindung. „Keine Ausstattung ohne Konzept“ ist der offensichtlich sinnvolle Grundsatz beim DigitalPakt Schule.
Deshalb bietet das „Netzwerk Digitale Bildung“ auf seiner Homepage einen kostenlosen Leitfaden zur Erstellung eines Medienentwicklungsplans an. Er wurde vom Förderpartner Smart Technologies gemeinsam mit erfahrenen Bildungsexperten entwickelt. Bereits seit fünf Jahren möchte das Netzwerk „die Menschen befähigen, sich in einer digitalen Welt zu bewegen, Informationen zu hinterfragen, mit der Digitalisierung umzugehen.“
Dr. Sarah Henkelmann ist die Sprecherin vom „Netzwerk Digitale Bildung“ und beschreibt ihre Aufgabe wie folgt: „Schulen auf dem Weg der Digitalisierung zu begleiten und zu unterstützen, ist mir ein persönliches Anliegen. Denn schließlich geht es dabei um nichts Geringeres als die Zukunft unserer Kinder. Bildung ist in unserem Land das Thema Nummer 1. Wir müssen schauen, dass wir den Kindern und Jugendlichen die beste Bildung bieten, wenn wir an der Spitze bleiben wollen.“
Sie rät den Schulen, sich zu vernetzen, sich Impulse zu holen und pädagogisch kreativ zu werden. Das Entwickeln von Lösungen, der Blick auf das Erfolgreiche, gerade auch unter den aktuellen Bedingungen, ist wichtiger als das Suchen nach Fehlern. Und damit möglichst viele Ideen umgesetzt werden können, veröffentlicht das Netzwerk auf seiner Homepage, für jedes Bundesland passend, eine Vielzahl aktueller Förderprogramme für Infrastruktur, Endgeräte, Software und Ausstattung.
Das Hasso-Plattner-Institut entwickelt die HPI Schul-Cloud seit 2017 in Zusammenarbeit mit MINT-EC, dem „Excellence-Schulnetzwerk“, und in Abstimmung mit den Landesdatenschutzbeauftragten aller Bundesländer. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Bundesweit arbeiten Pilotschulen mit der Schul-Cloud, darüber hinaus existieren Kooperationen mit den Bundesländern Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen, die die HPI Schul-Cloud als landesspezifische Lösung nutzen.
Im Zuge der Schulschließungen im Frühjahr 2020 entschloss sich das BMBF, die Cloud-Plattform deutschlandweit für alle Schulen zu öffnen, die kein vergleichbares Angebot des betreffenden Landes oder Schulträgers nutzen konnten. Aktuell wird die HPI Schul-Cloud bundesweit von knapp 550.000 Nutzern verwendet. Dazu Prof. Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts und Leiter des HPI Schul-Cloud-Projekts: „Nach dem nationalen IT-Gipfel 2016 hatten wir die Vision, verschiedene Lehr- und Lerninhalte auf einer Plattformen zu bündeln und bundesweit Schulen zur Verfügung zu stellen. Von Anfang an verfolgten wir dabei einen holistischen Ansatz, der auch den hohen Datenschutzanforderungen im Schulbereich gerecht wird.“
Die HPI Schul-Cloud bietet einerseits Werkzeuge, die zum digitalen Lernen gebraucht werden – Office-System, Messenger, Videokonferenzsystem, Dateiablage, Design Thinking Board – und zum anderen einen gesicherten datenschutzkonformen Zugriff auf digitale Lerninhalte und -medien der unterschiedlichsten Anbieter. Im Vergleich zu vielen anderen digitalen Schulsystemen, die im schulischen Lehrbetrieb genutzt werden, müssen Lehrer nur einmal die schriftliche Einwilligung der Eltern einholen, damit Daten ihrer Kinder verarbeitet werden dürfen.
Dies ist u. a. erforderlich, um aktuelle Lernstände zu erfassen und zu übermitteln, was für ein effektives Lernen unerlässlich ist. Eine Pseudonymisierungstechnik gewährleistet dabei, dass externe Anbieter keine personenbezogenen Daten übermittelt bekommen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass Lehrkräfte sowie Schüler, Bildungsinhalte anderer Anbieter, die in der HPI Schul-Cloud integriert sind, rechtssicher nutzen können.
Als Video- und Kollaborationswerkzeug wurde das unabhängige Open-Source-Webkonferenzsystem „BigBlueButton“ in die HPI Schul-Cloud integriert. Zuletzt wurde hier die Open-Education-Plattform „WirLernenOnline.de“ integriert mit ihren multimedial-didaktisch aufbereiteten Inhalten und Arbeitsblättern von Anbietern aus dem Bereich „Open Educational Resources“. Diese Materialien sind rechtssicher nutzbar und können bei freier Lizenzierung editiert und angepasst werden. Für die Lehrkräfte steht zudem mit „Lernen.cloud“ eine umfangreiche Weiterbildungsplattform zur Verfügung mit praxisnahen Video-Tutorials, die Anleitungen geben, wie die digitalen Inhalte erstellt, Präsentationen vorbereitet, Dokumente geteilt sowie Hausaufgaben verteilt und eingesammelt werden können.
Nach jahrelanger Entwicklung, bundesweit freigegeben und in drei Bundesländern im Einsatz, stellt sich die Frage, ob die HPI Schul-Cloud nicht zum Bundesstandard werden könnte. Dazu Prof. Meinel: „Unser Ansatz war es, eine digitale Lernumgebung zu schaffen, die jede Schule nutzen kann und die es den Bundesländern ermöglicht, länderübergreifend zusammenzuarbeiten. Dank ‚Hyperscaling‘ kann die HPI Schul-Cloud bundesweit genutzt werden, und im Vergleich zu vielen anderen Lösungen lässt sie sich problemlos skalieren. Die Entscheidung, welche Infrastruktur als länderspezifische Lösung verwendet wird, liegt allerdings bei den einzelnen Bundesländern. Der Bund kann lediglich ein Angebot machen.“
Allerdings seien ein kostengünstiger Betrieb und eine zukunftssichere Weiterentwicklung nur im Verbund und bei großen Nutzerzahlen sicherzustellen. Statt Insellösungen für 16 Bundesländer zu schaffen, sei es deshalb sinnvoller, eine einheitliche Plattform zu etablieren und Synergien zu schaffen.
Bei der Auswahl der integrierten Bildungsinhalte sei die föderalistische Struktur dagegen sinnvoll. Dies solle jedes Land selbst entscheiden. Prof. Meinel plädiert auf jeden Fall für eine Serverstruktur in deutscher oder europäischer Hand: „Es entspricht dem Gedanken der digitalen Souveränität, in einem zentralen Bereich staatlichen Handelns wie dem Bildungsbereich auf eine offene Open-Source-Infrastruktur zu setzen und die Verantwortung für die Verarbeitung und Speicherung sensibler Daten nicht an US-amerikanische Unternehmen abzugeben.“
Für die Schulen sieht er weitere große Vorteile: Sie müssen keine eigenen teuren Server- und Software-Strukturen bereithalten, administrieren und betreiben. Und auch die Kommunen, die sich prophylaktisch bereits mit digitalen Endgeräten für die Schüler und Lehrer eingedeckt haben, würde das sehr erfreuen. Ihre eingekauften digitalen Endgeräte wären sofort startklar.
Technisch betrachtet steht der Begriff „Cloud“ für Computeranwendungen, die nicht lokal auf einem PC, Tablet oder auch Smartphone installiert sind, sondern auf Computern in Rechenzentren. Der Anwender nutzt die Applikation über das Internet, das die Verbindung zwischen den digitalen Endgeräten der Nutzer und der Soft- und Hardware im Rechenzentrum ermöglicht.
Diese Form wird als „Software as a Service“, kurz „SaaS“, bezeichnet. Der Anwender nutzt die Software wie einen Dienst und muss sich nicht um Software-Updates, Administration oder Hardware kümmern. Für die Verwendung ist es nur wichtig, dass die Internetanbindung möglichst stabil und ausreichend dimensioniert ist. Mit ihr steht und fällt die Nutzung für jeden Anwender.
Cloud-Dienste skalieren sich automatisch, passen sich also an die Nachfrage an. Die Rechenleistung verteilt sich dabei dynamisch auf unterschiedlich viele Instanzen und Prozessoren im Rechenzentrum. Bei Anwendungen innerhalb von Schulen ist wegen der vielen Nutzer ein möglichst breitbandiger Internetzugang von großer Bedeutung, damit es nicht zu Engpässen kommt. Im Distanzunterricht, der möglicherweise über Video-Kollaboration erfolgt, sind Cloud-Anwendungen besonders vorteilhaft, da sich die erforderlichen Bandbreiten auf die Nutzer mit ihren individuellen Internetzugängen verteilen und nicht beispielsweise auf einem lokalen Server-System innerhalb einer Schule zusammenlaufen.
Viele Bundesländer bieten ihren Schulen inzwischen cloudbasierte Arbeitsplattformen an. In NRW können Schulen beispielsweise mit „Logineo NRW“ eine Cloud-Lösung nutzen. Eine sehr umfangreiche Web-Lösung, die am Hasso-Plattner-Institut seit 2017 entwickelt wird, ist die HPI Schul-Cloud. Sie steht inzwischen in mehreren Bundesländern zur Verfügung, so auch in Niedersachsen. Dort heißt sie „Niedersächsische Bildungs-Cloud“.
Die HPI Schul-Cloud ist „Open Source“ programmiert und integriert mit BigBlueButton ein ebenfalls unabhängiges Open-Source-Webkonferenzsystem. Alle Vorteile der HPI Schul-Cloud sind über hpi.schul-cloud.org veröffentlicht, so u. a.: „Konformität mit den engen Grenzen deutschen Datenschutzrechts; nichts wird auf Servern ausländischer Konzerne gespeichert.“ Aber auch kommerzielle Anbieter mit viel Erfahrung im Bereich Schulbildung bieten umfangreiche Lösungen für Schulen an, auch in Kombination mit geeigneter Hardware für Lehrer und Schüler.
Das Unternehmen SMART beispielsweise ist Förderpartner vom „Netzwerk Digitale Bildung“ und entwickelt seit 30 Jahren professionelle Lernwerkzeuge für zeitgemäßen Unterricht. Mit der SMART Learning Suite online „können Lehrer interaktive, spielerische und kollaborative Aktivitäten zu einer Vielzahl von Dateitypen hinzufügen und Lektionen an Schülergeräte senden, damit sie individuelle Handouts erstellen oder in gemeinsamen Arbeitsbereichen zusammenarbeiten können“. Das ergänzende Geräteangebot reicht von Whiteboards bis hin zu Dokumentenkameras für den Unterricht.
Auch Google und Microsoft sind im Bildungsbereich aktiv: „Microsoft Teams for Education“ unterstützt das Online-Klassenzimmer mit Mail- und Chat-Kommunikation, Video-Kollaboration, Dateierstellung, Verwaltung und Bereitstellung für Schulen, Lehrer sowie Schüler. Google bietet im Rahmen seines Dienstes „Google for Education“ seit 2014 „Google Classroom“ an. Für die Nutzung dieser multifunktionalen Lernplattform benötigt die Schule ein „G-Suite-for-Education-Konto“. Diese Lösung ermöglicht nicht nur die direkte Verwendung der zahlreichen Google-Apps, sondern auch den sehr einfachen und kostengünstigen Einsatz von Chromebooks durch die Schüler. Angesicht der Anzahl an benötigten digitalen Endgeräten in den Schulen kann das sicherlich auch ein Entscheidungskriterium darstellen.