Kommunikationsraum
Pilotprojekt museum4punkt0: Virtual Reality im Deutschen Museum München

VR macht Technik-Exponate erlebbar

Im Mai 2017 startete das bundesweite Pilotprojekt „museum4punkt0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“, das sich aus sechs Teilprojekten zusammensetzt. Eines davon befindet sich im Deutschen Museum in München, das seinen Besuchern seit August 2018 mit dem „VRlab“ ermöglicht, vier seiner Exponate in zwei unterschiedlichen Anwendungen virtuell zu erkunden.

Deutsches Museum München
Mit dem Teilprojekt „Perspektiven dreidimensionaler Visualisierungen in der musealen Vermittlung“ nimmt das Deutsche Museum in München an der bundesweiten Bildungs Initiative
museum4punkt0 teil.

Das Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik in München gilt als das weltweit größte Technikmuseum. Das Haupthaus auf der Münchner Museumsinsel wurde 1925 eröffnet, dazu gehören weitere Zweigmuseen. Das Museum besitzt umfangreiche Sammlungen, ein Spezialarchiv sowie eine Bibliothek im Bereich Naturwissenschaft und Technik. Mit dem Teilprojekt „Perspektiven dreidimensionaler Visualisierungen in der musealen Vermittlung“ beteiligt sich das Deutsche Museum an der Initiative museum4punkt0, das durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird und die Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien in Museen untersuchen will.

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VRlab: Virtuelle Welten und Fahrsimulator

Im Projekt „Deutsches Museum Digital“ hat sich die Kultureinrichtung bereits seit 2010 intensiv mit der Digitalisierung und digitalen Dokumentation von musealen Inhalten beschäftigt. Seit 2013 leitet Georg Hohmann diesen Forschungsbereich. Andrea Geipel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut und koordiniert seit Januar 2018 die Maßnahmen zum Konzept für museum4punkt0. München legt hierbei den Schwerpunkt vor allem auf das Digital Storytelling und will analysieren, auf welche Art Wissen durch Einsatz von digitalen Technologien vermittelt werden kann – insbesondere mit Anwendungen von Virtual und Augmented Reality (VR/AR). Seit dem 1. August 2018 steht Besuchern nun ein virtuelles Labor namens VRlab im Deutschen Museum offen. Es umfasst zwei Stationen: die virtuelle Darstellung von Exponaten des Museums und einen Spezial-Simulator, der die Fahrt mit einem Mondfahrzeug auf dem Mond nachstellt. KommunikationsRaum.- Autorin Andrea Mende konnte am Tag nach der Eröffnung beide virtuellen Anwendungen ausprobieren.

Virtual Reality im Selbstversuch: Einblick in Maschinen und fremde Welten

Das VRlab ist eingebunden in die Ausstellungsfläche und nimmt einen separaten Bereich ein. Im ersten VR-Areal geht es darum, den Besuchern den Aufbau und die Funktionsweise von drei Exponaten näherzubringen. Die Wahl besteht zwischen der Sulzer Dampfmaschine, dem Lilienthalgleiter und dem Benz Motorwagen. Außerdem kann man sich am Landeplatz der Apollo-17-Mission auf dem Mond umsehen. Ich entscheide mich für einen Ausflug auf den Mond. Neben einer VR-Brille gehören noch zwei Controller zu meiner Ausstattung. Die Szenografie des Lunar Rovers und der Mondoberfläche mit Umgebung ist täuschend echt: Ich sehe Sterne über mir, die Erde leuchtet in magischem Blau, Krater und Unebenheiten des Bodens sind exakt zu erkennen.

Der beeindruckende und grenzenlose Rundumblick lässt sofort vergessen, dass ich mich eigentlich auf einer relativ kleinen Fläche in einem Raum befinde. Vielmehr erscheint diese virtuelle Welt riesig und macht extrem neugierig, sie weiter zu erkunden. Wenn ich mich zu weit aus dem möglichen Bewegungsrahmen entferne, erscheint ein weißes Gitter als optische Grenze. In der Realität ist der Bereich auf dem Boden abgeklebt und über einen Monitor sehen die Anwesenden, wo ich mich gerade befinde und was ich mache. Über die Controller kann ich die Exponate auswählen, Menüs öffnen und detaillierte Informationen erhalten, etwa über das Getriebe des Mondfahrzeugs, und auch mit den Objekten interagieren.

Ein besonderes Highlight ist das Golf spielen: Der Controller dient mir als Schläger und mein Ball fliegt um die 340 m weit – dank der speziellen Mond- Gravitation. Dieses eingebaute Special ist angelehnt an die Apollo-14-Mission, als Astronaut Alan Shepard ein paar Golfbälle auf dem Mond schlug. Per Knopfdruck auf den Controller teleportiere ich mich von einem Ort zum anderen und erforsche so die nähere oder auch weitere Umgebung. Im zweiten Durchlauf schaue ich mir die Dampfmaschine näher an, kann auf eine höhere Aussichtsplattform „springen“ und die Bewegungen des sich drehenden Schwungrades sehr nah beobachten.

Rasante Fahrt über Kraterlandschaften

Das Deutsche Museum hat sich im Teilprojekt von museum4punkt0 auf die 3D-Digitalisierung und -Visualisierung von Inhalten spezialisiert. Alle im VRlab gezeigten Objekte sind Exponate des Deutschen Museums: In den Sammlungen gibt es einen Mondauto-Nachbau ebenso wie das Original der Sulzer Dampfmaschine, den Benz Motorwagen und den Lilienthalgleiter. Um die Modelle so authentisch wie möglich in der Szenografie darzustellen, hat die Firma VR-Dynamix als Entwickler von Virtual-Reality-Lösungen alle gezeigten Geräte und Maschinen aufwendig gescannt.

museum4punkt0 verschiedene Menüpunkte
Über den Controller lassen sich verschiedene Menüpunkte auswählen, beim Lilienthalgleiter zum Beispiel „Flug starten“.

Es wurden Tausende von Einzelaufnahmen angefertigt, um daraus jene Computersimulationen zu generieren, die dem Besucher beim Blick durch die VRBrille die bestmögliche Illusion eines realen Gegenstandes oder Ortes vermitteln sollen. „Für die Kartierung des Mondgeländes haben wir mit Originaldaten und -aufnahmen der NASA gearbeitet, es wurde eine Fläche von etwa 16 km2 dafür berechnet“, erklärt Andrea Geipel. Auch der Joystick, mit dem ich an der zweiten Station des VRlabs den Fahrsimulator testen und den Lunar Rover steuern kann, wurde per 3D-Druck nach dem Vorbild des echten Mondfahrzeugs konstruiert. Dass die Schwerkraft hier anderen Regeln unterliegt, zeigte sich schon beim Golf spielen. Das Mondfahrzeug zu lenken ist daher auch eine Sache, in die ich mich erst einfinden muss.

Fahrsimulator VR
Das Untergestell des Fahrsimulators ist mehrachsig aufgebaut, wodurch die Bewegungen des Mondfahrzeugs synchron verlaufen und etwa durch Ruckeln auf den Sitz übertragen werden. Die Steuerung funktioniert wie im Original über den Joystick.

Das Gefährt rollt nach dem Bremsen noch lange weiter und kommt steiler in die Kurve als erwartet – bis es mich tatsächlich auf die Seite wirft, die Steine in die Luft fliegen und ich sie auf ihrem ungewohnt langen Weg zurück zum Boden beobachten kann. Der erste Gedanke, der mich ereilt: „Houston, wir haben ein Problem. Ich hab’ den Rover kaputt gemacht.“ So echt fühlt sich diese Virtual Reality eben an. „Der Fahrsimulator ist das Herzstück unseres VRlabs, er wurde speziell für das Deutsche Museum gebaut“, sagt Andrea Geipel. Die Simulation funktioniert über einen Monitor auch in 2D, das intensivere Erlebnis bietet sich jedoch erst mit der VR-Brille, wenn über Kopfhörer der Funkverkehr von Apollo 17 zu vernehmen ist und der Sitz ruckartige Bewegungen des Mondfahrzeugs mit überträgt.

Der Personalaufwand ist eine Herausforderung im VR-Betrieb

Schon bei Einweihung des VRlabs war der Andrang interessierter Besucher extrem hoch. Die Sequenzen der beiden VR-Stationen liegen jeweils bei 10 bis 15 Minuten und erfordern ein hohes Maß an Betreuung durch Fachpersonal. „Wir können daher das VRlab nur an zwei bis drei Tagen in der Woche für mehrere Stunden öffnen“, so Andrea Geipel. Hierin liege auch eine der großen Herausforderungen, so die Koordinatorin des Projektes. Bei der Ausstellungsgestaltung hat sich das Museum für eine abgegrenzte Fläche entschieden, da das VRlab insgesamt beratungs- und betreuungsintensiv ist. Für die Betreuer, hauptsächlich studentische Hilfskräfte, wurden ausführliche Anleitungen entwickelt – zum einen mit Sicherheitshinweisen, zum anderen mit detaillierten Angaben zu den virtuell dargestellten Szenen.

Fahrt mit dem Lunar Rover auf der Mondoberfläche kann im 2D- oder auch 3D-Modus
Die Fahrt mit dem Lunar Rover auf der Mondoberfläche kann im 2D- oder auch 3D-Modus erfahren werden. Mit VR-Brille ist das Erlebnis wesentlich intensiver.

„Jeder Betreuer muss das VR-Gelände und die Geräte gut kennen“, sagt Andrea Geipel. Schließlich sollen sich Besucher in jeder Situation wohl und sicher fühlen. Es wird auch ein Beobachtungs-Logbuch geführt und es sollen Fragebögen verteilt werden, um Abläufe zu verbessern oder anzupassen. Hinzu kommt der Hygieneaspekt: Beide VR-Anwendungen sind jeweils mit einer Reinigungsstation verknüpft. Auch hier testet das Museum unterschiedliche Produkte daraufhin, was sich für einen reibungslosen Ablauf am besten eignet. Die Sensoren, welche die Personen während der VR-Anwendung erfassen, reagieren zudem sensibel auf äußere Impulse, wie etwa durch Sonneneinstrahlung, Handys oder Kameras. Daher wird auch die Anzahl der zugelassenen Besucher eingeschränkt. Ebenso spielt die Kompatibilität der verwendeten Technik untereinander eine Rolle. „Wir setzen eine HTC-Vive-VR-Brille ein, von diesem Hersteller soll bald ein eigenes Tracking- System auf den Markt kommen. Momentan nutzen wir noch ein anderes Produkt für unseren Betrieb“, meint Andrea Geipel.

Andrea Geipel mit VR-Bille und Controllern in der Virtual-Reality-Anwendung
Andrea Geipel mit VR-Bille und Controllern in der Virtual-Reality-Anwendung der Dampfmaschine, die auf dem Monitor im Hintergrund für Zuschauer zu erkennen ist.

Daten & Fakten

  • Gesamtfläche VRlab ca. 120 m2
  • zwei VR-Areale mit je ca. 3 x 3 m für die Nutzung mit VR-Brille und Controllern; dazu je ein Display 65″ Panasonic TX-65EXW784 für Zuschauer
  • ein Fahr-Simulator mit VR-Brille (Oculus Rift) und Joystick; dazu ein 75″ Curved Display von Medion
  • VR-Brillen und Controller von HTC Vive auf den Flächen
  • kabellose Datenübertragung über Tpcast auf Brillen, Controllern und Bildschirmen
  • dargestellte virtuelle Welten: Dampfmaschine der Gebrüder Sulzer, Benz Patentmotorwagen, Lilienthalgleiter, Lunar Rover und Mondspaziergang in beiden Arealen; Fahrt mit dem Lunar Rover der Apollo-17-Mission im Simulator
  • Regieraum und Multifunktionsfläche vor dem VRlab-Eingang: ca. 18 m2, zwei 75″ Displays Panasonic TX 75FXW785 (zur Präsentation, wie digitale Inhalte erstellt werden)
Die weißen Punkte können per Controller aktiviert werden, um zusätzliche Informationen zu erhalten
Die weißen Punkte können per Controller aktiviert werden, um zusätzliche Informationen zu erhalten, wie hier über technische Details der Dampfmaschine.

VR & AR im Ausstellungsbereich: Ziele und Erwartungen

In Zukunft sind auch Anwendungen im Bereich Augmented Reality (AR) geplant – etwa eine Schnitzeljagd auf dem Mond als Gamification-Element, wobei der Besucher aktiv in das Geschehen mit einbezogen wird. Ebenso ist denkbar, das Benz-Fahrzeug auseinanderzunehmen und wieder zusammenbauen zu lassen. „Mit der nächsten Sonderausstellung werden wir die AR-App ‚Kosmos-Kaffee‘ gestalten. Der Anwender kann dann mit seinem eigenen Smartphone oder Tablet eine Kaffeepflanze wachsen lassen“, so die Expertin für Wissenschaftskommunikation. „Für Gäste sollen die VR- und AR-Anwendungen den Museumsbesuch ergänzen und die Besucher eher noch zum realen Objekt in der Ausstellung führen, zum Beispiel zur Dampfmaschine.“

Für das Deutsche Museum ist der Austausch extrem wichtig – mit den Besuchern, aber auch mit anderen Museen, Hochschulen und Firmen. In Bezug auf Eye-Tracking werden bereits Abschlussarbeiten von Studierenden durch die Ausstattung des Museums unterstützt, Start-ups sind dazu eingeladen, vorhandene VR- oder AR-Technologien für ihre Projekte zu nutzen und sich dafür im Gegenzug an musealen Entwicklungen zu beteiligen. „Hier entstehen Synergien, die in ihrer Tragweite und Bedeutung noch gar nicht absehbar sind“, betont Andrea Geipel. „Auch das ist eine große Chance für uns als Museum.“

Andrea Geipel (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschungsinstitut), Georg Hohmann (Teilprojektleitung) und Claus Henkensiefken (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsinstitut)
Das Team des VRlabs des Deutschen Museums (v.l.n.r.): Andrea Geipel (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschungsinstitut), Georg Hohmann (Teilprojektleitung) und Claus Henkensiefken (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsinstitut)

Das Projekt hat eine Laufzeit bis 2020, der Aufbau des VRlabs ist modular angelegt, so dass auch Umbauten oder ein mobiler Einsatz möglich sind. In einer umfassenden Dokumentation sollen am Ende aus den praxisnahen Fallstudien und zukünftigen Erfahrungen mit Augmented- Reality-Anwendungen die Ergebnisse zusammengefasst und mit anderen Institutionen geteilt werden.

Web-Links


Autorin: Andrea Mende

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