Im April 2019 wurde die im Eingangsbereich des Merck Innovation Centers installierte Inspiration Wall mit dem „Sinus – Systems Integration Award“ in der Kategorie Corporate ausgezeichnet. Die außergewöhnliche kinetische Medientechnik-Installation begeistert in jeder Hinsicht.
Geräuschlos, elegant, geschmeidig – fast wie von Geisterhand bewegen sich 72 Displays, nehmen als Gruppe bald diese, bald jene Form an und verfolgen eine komplexe Choreografie, deren Ablauf sich dem Betrachter nicht auf Anhieb erschließt und die ihn bei jedem Blick aufs Neue überrascht. Mitunter scheint die Display-Formation einzelnen Personen zu folgen, die sich entlang des Counters durch das weitläufige Foyer bewegen, um gleich darauf wieder vollkommen eigenständig zu agieren. Auch bezüglich der Inhalte lässt sich kein durchgehendes Muster ausmachen – alles fließt, changiert, verfährt schnell oder langsam und wirkt dabei doch intensiv als die Aufmerksamkeit auf sich ziehende Gesamtheit. „Faszinierend!“ würde Mr. Spock bei einem Besuch im Merck Innovation Center wohl mit hochgezogener Augenbraue feststellen, doch auch normale Gäste werden fraglos gerne bekunden, dass dem in Darmstadt beheimateten Wissenschafts- und Technologieunternehmen mit der so genannten „Inspiration Wall“ ein Blickfänger jenseits des Üblichen gelungen ist.
„Die Idee zu der kinetischen Installation im Merck Innovation Center ist aus unserer Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Henn entstanden“, verrät Dietmar Möller (Merck KGaA Project Execution Lead, One Global Headquarters). „Zunächst wurde darüber nachgedacht, eine Lichtinstallation an der großen Wand oberhalb des Empfangs einzurichten. Es standen verschiedene Ideen im Raum, und anfangs wurde auch über eine große LED-Fläche diskutiert. Wir haben jedoch Wert darauf gelegt, dass die Installation auf einer der Merck Technologieplattformen basiert – beispielsweise auf Liquid Crystals, also Flüssigkristallen, oder OLED-Anzeigen. Im Verlauf des Findungsprozesses sind wir mit ART+COM Studios zusammengekommen, und es entstand die Idee zu einer interaktiven kinetischen Installation mit sich bewegenden Bildschirmen. Zu diesem frühen Zeitpunkt war der Content noch nicht final festgelegt, aber von Beginn an war klar, dass wir eine anspruchsvolle Darstellung anstreben, die sich nicht auf ein bewegtes Merck Logo oder die bloße Wiedergabe von Imagefilmen beschränkt.“
Was möglicherweise nicht allgemein bekannt ist: Merck ist nicht nur in der Pharmabranche aktiv, sondern Technologieführer im Display-Bereich; das Unternehmen ist mit seinen Technologien nach eigenen Angaben in mehr als der Hälfte aller weltweit gebauten Flachbildschirme (LCD, OLED) vertreten. Unterschiedliche Merck Flüssigkristallmischungen ermöglichen es den meist in Asien ansässigen Produzenten, Panels mit bestmöglicher Bildqualität herzustellen – aus Marketing-Sicht lag es somit nahe, die hauseigenen Technologien dynamisch sowie mit hohem Aufmerksamkeitswert im Eingangsbereich des Merck Innovation Centers (siehe Kasten) zu inszenieren.
Im Merck Innovation Center werden junge Unternehmen für einen definierten Zeitraum mit geeigneten Programmen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen unterstützt; man könnte von einem Thinktank oder einem Start-up-Accelerator sprechen, der Menschen, Technologien und Fertigkeiten unterschiedlicher Bereiche unter einem Dach zusammenbringt.
Beim Innovation Center handelt es sich laut Merck nicht nur um ein Gebäude, sondern auch um eine Denkweise: Die Basis bildet eine Kultur der Offenheit und des Austauschs zwischen Mitarbeitern, Start-ups, Visionären und Unternehmen in aller Welt. Der ganzheitliche Ansatz findet seinen Ausdruck in vielfältigen Initiativen, Veranstaltungen und Möglichkeiten, sich selbst einzubringen.
7.100 Quadratmeter stehen im Innovation Center für Mitarbeiter und Gäste zur Verfügung, 40 Start-ups wurden seit 2015 vom globalen Merck Accelerator unterstützt. 16 interne Innovationsprojekte sind aktuell im Innovation Center untergebracht. Wurde die Zeit im Innovation Center von jungen Firmengründern erfolgreich genutzt, strebt Merck eine langfristige Zusammenarbeit an.
Die Inspiration Wall ist eine raumgreifende kinetische Installation, die dem Foyer des Merck Innovation Centers eine unverwechselbare Identität verleiht. Die „Inspirationswand“ entstand im Auftrag von Henn Architektur bei ART+COM Studios in Zusammenarbeit mit schnellebuntebilder und der MKT AG. Als medientechnischer Fachplaner wurde die medienprojekt p2 GmbH im Auftrag von ART+COM tätig.
Die Installation erstreckt sich über eine fast 18 Meter lange, leicht konvex geformte Wand aus mattweißen Corian-Platten. Sie besteht aus 24 Reihen mit jeweils drei 32“-Monitoren, die sich über Motoren entlang schlitzartiger Führungen einzeln vertikal bewegen lassen. Die leuchtstarken LC-Displays wirken am Abend mit einsetzender Dunkelheit visuell noch intensiver als tagsüber; die Bildschirmchoreographie nimmt zu vorgerückter Stunde ein gemächlicheres Tempo an. In den Fluss der meist bunten Bilder mischen sich gelegentlich typografische Inhalte: Kurze Ankündigungen des Innovation Centers mit einer maximalen Länge von bis zu 140 Zeichen sowie aktuelle Hashtags ausgewählter Merck Twitter-Kanäle ergänzen die sonst zu sehenden Animationen.
Die Anordnung der Full-HD-Bildschirme erinnert manche Betrachter an eine „Petersburger Hängung“: Diese auch als Salonhängung bekannte Gruppierung von Gemälden zeichnet sich durch eine enge, mitunter üppig erscheinende Zusammenstellung von Bildern auf einer kompakten Fläche aus und soll Betrachter nicht zuletzt durch schiere Masse beeindrucken, was gelegentlich mit einem ausgeprägten Repräsentationsbedürfnis der stolzen Besitzer einhergehen mag.
Joachim Sauter, Gründungsmitglied von ART+COM und Head of Design der ART+COM Studios, findet die Assoziation mit einer Petersburger Hängung nicht ganz treffend: „Es ging in Darmstadt nicht darum, eine Petersburger Hängung zu animieren. Die Grundidee bestand vielmehr darin, einen Dialog zwischen physischer und virtueller Bewegung herzustellen, was sehr gut zur inhaltlichen Ausrichtung des Innovation Centers passt und als metaphorische Übersetzung zu verstehen ist. Es geht um das Interplay zwischen der physischen Choreografie und den in Echtzeit generierten virtuellen Welten, die auf den Bildschirmen zu sehen sind. Das Konzept stammt von uns als Kreativdirektion; die Programmierung der Steuerung wie auch der Algorithmen zur Bilderzeugung hat schnelle buntebilder übernommen.“
Bei ART+COM sind algorithmisch gesteuerte physische Objekte seit einigen Jahren fester Teil des Portfolios, und Joachim Sauter spricht beim Gedanken an die Inspiration Wall daher auch von „Evolution statt Revolution“ und verweist auf Projekte wie das Greifpendel am Ottobock Hauptsitz in Berlin oder Raffaels Pendel bei Roche Penzberg.
Unter technischen Aspekten ist sofort klar, dass eine Display-Wall mit sich bewegenden Bildschirmen nicht ganz trivial zu realisieren ist und neben den üblichen medientechnischen Faktoren auch einen absolut zuverlässigen Antrieb erfordert. Schaut man hinter die Kulissen und begibt sich im ersten Obergeschoss in den klimatisierten Technikraum auf der Rückseite der kinetischen Installation, fühlt man sich spontan an einen Schnürboden im Theater erinnert, wobei sich die Motoren hier entlang der senkrechten Installationsfläche verteilen. Besondere Aufmerksamkeit musste der Geräuschentwicklung gewidmet werden: 72 Linearachsen wären im gegebenen Umfeld zu laut gewesen, weshalb letztlich zu einer Entkopplung über Stahlseile und Umlenkrollen gegriffen wurde. Jeder Monitor hängt an zwei Seilen, von denen jedoch lediglich eines belastet wird – das zweite Seil wird lose über einen Federmechanismus mitgeführt und dient der Sicherung für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Hauptseil reißen sollte.
Steht man bei normalem Publikumsbetrieb in der Lobby, fallen die Betriebsgeräusche nicht auf bzw. werden durch die ohnehin vorhandene Geräuschkulisse maskiert. Laut Hörensagen wurde anfangs über eine Beschallung im Foyer nachgedacht. Eine wie auch immer geartete „Soundscape“ hätte sicher gut zur Installation gepasst, sofern man sich für Ambience-Tracks mit wohldosiertem Pegel entschieden hätte – die permanente Beschallung mit konkreten musikalischen Hooklines hätte die (Hör-)Nerven von Mitarbeitern und Besuchern möglicherweise eher strapaziert und wäre auch unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes problematisch gewesen. Lautsprecher sind im Foyer zwar vorhanden, werden jedoch nicht genutzt.
Die für die Konzeption des Antriebs verantwortliche MKT AG versteht sich als Weltmarktführer für kinetische Skulpturen und konnte die Verantwortlichen bei ART+COM und Merck mit einem Probeaufbau überzeugen – größte Aufmerksamkeit wurde auf einen möglichst leisen Betrieb der Motoren gerichtet. Verwendung finden heute vergleichsweise große Beckhoff Servomotoren, die mit Gedanken an eine geringe Geräuschentwicklung sowie minimale Vibrationen ohne Getriebe auskommen. Da jeweils drei Monitore auf der gleichen Führungsschiene bewegt werden, sind die zugehörigen drei Motoren mit einem leichten horizontalen Versatz an der senkrechten Wand montiert. Im Hintergrund arbeitet eine speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) von Beckhoff, die einen ebenso zuverlässigen wie sicheren Betrieb bis hin zum gegebenenfalls erforderlichen Not-Stopp garantiert – ein Rechner auf Windows-Basis wäre im konkreten Zusammenhang laut MKT-Geschäftsführer Peter Haschkamp keine geeignete Lösung gewesen.
Vor den Beckhoff Antrieben befindet sich ein grobmaschiges Gitter, und ein in der Nähe aufgestellter übermannshoher 19“-Schrank von Rittal wirkt angesichts der in ihm montierten Komponenten fast ein wenig überdimensioniert: Als typisches Medientechnikprodukt ist hier lediglich eine Crestron CP3-Steuerung zu entdecken, die mit einem fest am Counter installierten Touchpanel kommuniziert. Mithilfe des berührungsempfindlichen Bildschirms wird die kinetische Installation morgens eingeschaltet und läuft anschließend bis etwa 22 Uhr. Ein 24/7-Betrieb wäre möglich, ist im Merck Innovation Center jedoch nicht gefordert. Der manuelle Start am Morgen ist aus Sicherheitserwägungen erforderlich – es könnte theoretisch schließlich jemand auf einer Leiter stehen, der von sich plötzlich bewegenden Displays gefährdet wäre. Kleinere Wartungsarbeiten werden von Mitarbeitern der für das Innovation Center zuständigen Merck Gebäudetechnik übernommen. In komplizierteren Fällen, die sich nicht per Fernzugriff lösen lassen, werden Spezialisten der MKT AG zu Servicezwecken nach Darmstadt gebeten.
In die Lobby fällt dank einer großzügigen Glasfassade reichlich Tageslicht ein, und passend zu diesem Umstand waren für die Installation besonders leuchtstarke Displays gefragt. Fündig wurde man bei der in Taiwan ansässigen AU Optronics Corporation (AUO), zu der Merck beste Beziehungen unterhält. Der zur BenQ-Gruppe gehörende Panel-Produzent hatte zwar ein passendes Produkt im Programm, das jedoch nicht in der gewünschten Größe verfügbar war. In Hsinchu reagierte man flexibel auf die Anfrage aus Deutschland und lieferte für den besonderen Auftrag Custom-Made-Panels, welche allen Anforderungen des Merck Projekts gerecht werden.
Gefordert waren Bildschirme, die eine Multi-Display-Funktion unterstützen, so dass Kommunikation und Bildabgleich wie bei handelsüblichen Steglosmonitoren möglich sind. Jeweils neun Bildschirme werden als Gruppe mit einem HD-Signal angesteuert; bei 72 Bildschirmen sind somit acht HD-Signale erforderlich. Der Content-Rechner ist mit zwei leistungsstarken Grafikkarten bestückt, die jeweils ein 4K-Signal ausspielen, das seinerseits in vier HD-Signale aufgeteilt wird. Beim gegebenen Betrachtungsabstand reicht die Auflösung aus, um die Bilder als scharf wahrzunehmen.
Die von AUO gefertigten Panels erreichen eine Leuchtstärke von 2.500 Nit, werden mit Gedanken an den Verschleiß im Innovation Center allerdings lediglich mit etwa 1.000 Nit betrieben, was für das Foyer vollkommen ausreichend ist. Ein Sensor misst die Umgebungshelligkeit, und eine Steuerung regelt die Leuchtstärke der Displays passend dazu mit einer Hysterese in vier Stufen nach – abends ist erwartungsgemäß weniger Leuchtstärke vonnöten als bei hellem Tageslicht; 1.000 Nit zur Nachtzeit würden vermutlich eher störend wirken.
Die Panels wurden von eyevis (a Leyard Company) gemeinsam mit der benötigten Elektronik sowie passenden Netzteilen in geeignete Gehäuse integriert. Letztere sollten einerseits stabil und verwindungssteif sein, andererseits aber auch möglichst wenig Gewicht auf die Waage bringen. Teil der Elektronik ist ein von eyevis entwickelter Scaler, der eine Split-Funktion aufweist, so dass je neun Displays als Gruppe angesprochen werden können. Die Verbindung zwischen den Bildschirmen erfolgt per Daisychaining mit Kabeln/Schleppketten. Die Monitore werden in der Regel lüfterlos betrieben – sollte es jedoch unerwartet zu übermäßig hohen Temperaturen kommen, würden die vorhandenen Notlüfter anlaufen. Die Steuerung erfolgt via RS232 und wird in Anspruch genommen, wenn die Bildschirme zwecks Darstellungsabgleich sporadisch mit einer Sonde kalibriert werden.
Die zu sehenden Bildinhalte sowie die Bewegungen der Displays mussten aufeinander abgestimmt werden und letztlich als Gesamtheit Sinn ergeben. Dabei sollte der Content spezifisch auf Merck zugeschnitten sein und das aktuelle Branding des Unternehmens berücksichtigen: Seit 2015 tritt der global agierende Wissenschafts- und Technologiekonzern in seiner Außendarstellung mit einem runderneuerten Image auf, das deutlich lebendiger als das früher eher konservative Markenbild wirkt, gemäß Presseinformation von „der bunten und formenreichen Welt unter einem Mikroskop“ inspiriert wurde und durchaus als mutiger Schritt bezeichnet werden darf. Eine derart farbige Formverspieltheit samt auffälliger Typografie kennt man von DAX-Unternehmen sonst nicht.
Mit der Erstellung des Contents für die Inspiration Wall war die Berliner Firma schnellebuntebilder befasst, und Dietmar Möller erinnert sich an „viele gute Ideen“, die aus der deutschen Hauptstadt an ihn herangetragen wurden. „Wir verstehen uns als Wissenschafts- und Technologieunternehmen und positionieren uns in den Bereichen Healthcare, Life Science sowie Performance Materials. Diese Aufgabenfelder sollten die Darstellungen auf der Inspiration Wall in einer künstlerischen Adaption aufgreifen“, erläutert Möller. „Was heute auf den Displays zu sehen ist, erinnert abstrakt an Materialeigenschaften oder den Blick durch das Okular eines Mikroskops – es geht nicht um Information, sondern um Emotion!“ Dietmar Möller weist darauf hin, dass trotz des überwiegend emotional angelegten Contents die Möglichkeit besteht, Twitter-Nachrichten im Großformat auf der Display-Wall anzuzeigen, wovon in der Praxis derzeit allerdings eher selten und meist nur bei Sonderveranstaltungen Gebrauch gemacht wird.
Die Bildinhalte werden innerhalb eines vordefinierten Spektrums in Echtzeit erzeugt. Die einzelnen Szenen entwickeln sich aus zehn verschiedenen visuellen Welten und gestalten sich durch generative Elemente immer wieder anders – die Varianz ist enorm. Inspiriert sind die abstrakten Bilder von vier verschiedenen Eigenschaften, die mit Produkten von Merck assoziiert werden: kristallin, zellulär, molekular und fluide. Vier grafische Intermezzophasen („Transitions“) schaffen nahtlose Übergänge zwischen den einzelnen Szenen.
Die generative Bespielung sowie die eng mit ihr verzahnte kinetische Choreographie wurden von schnellebuntebilder entwickelt. Inspirieren ließ man sich in Berlin zum einen von wissenschaftlichen Bildgebungsverfahren sowie durch Computergrafiken von Simulationen (z. B. aus dem Bereich der synthetischen Biologie). Zum anderen wurden visuelle Qualitäten von Wachstumsprozessen untersucht, welche in der Natur vorkommen und als emergente Systeme sehr gut virtuell abzubilden sind. Weiterhin fanden Workshops/Gespräche mit Fachleuten von Merck sowie Mitarbeitern des Innovationszentrums als Gedankenanstöße Eingang in die heute für die Bespielung der Inspiration Wall genutzte Bildsprache.
Da alle Inhalte in Echtzeit generiert werden und auf prozeduralen/generativen Algorithmen basieren, wurde die Kreation mit Code realisiert. Verwendung fand die grafische Entwicklungsumgebung vvvv, welche sowohl als „rapid prototyping tool“ wie auch als Lösung für die finale Software-Implementierung diente.
Um die Bildschirmpositionen stets den darzustellenden Inhalten anzupassen, mussten Soll-Positionen der einzelnen Kinetik-Elemente ermittelt werden. Eine umfassende Vorabsimulation des gesamten Systems wurde programmiert, so dass sich in Echtzeit ermitteln ließ, wie die einzelnen Elemente zu beschleunigen bzw. abzubremsen sind, um eine gleichermaßen sichere wie ästhetisch wirkende Bewegung abzubilden.
Das zugrundeliegende Verfahren basiert auf zwei unterschiedlichen Prinzipien: Der Inhalt reagiert entweder auf die Bewegung oder die Bewegung reagiert auf den Inhalt – dieses geschieht im zeitlichen Wechsel. Im erstgenannten Fall wird eine in Echtzeit generierte Animation simuliert, und die Fahrdaten werden via Netzwerk an die Beckhoff Steuerung übermittelt. Letztere wiederum sendet die Ist-Positionen der Bildschirme zurück. Basierend darauf wird anschließend beispielsweise eine Flüssigkeitssimulation berechnet, welche von den Rändern der Monitore „abgestoßen“ wird. Nach Abschluss der Berechnung kann ein Bild gerendert werden, das entsprechend der Monitorpositionen zugeschnitten ist und an die Screens übertragen wird.
Im zweitgenannten Fall wird zunächst eine generative Grafik gerendert, zum Beispiel ein Reaction-Diffusion-System. Die Mittelpunkte der Monitore auf dieser virtuellen Grafik werden im Anschluss genutzt, um etwa das „Abstoßen“ von grafischen Inhalten wie Kanten oder Wölbungen zu simulieren. Es entsteht ein Feedback-Loop, bei dem die Positionen der Monitore bestimmen, welcher Bildausschnitt gezeigt wird (also quasi wie bei einem Fenster), der Inhalt seinerseits aber die Bewegung der Screens beeinflusst.
Die generativen Systeme basieren u. a. auf Simulationen von Flüssigkeiten und auf Reaktionsdiffusionsgleichungen. Weiterhin wird mit unterschiedlichen Noise-Funktionen gearbeitet, welche durch eine Kombination zufällig generierter Werte, die Interaktion mit Besucherbewegungen sowie tagesspezifischen Variablen fortwährend neue Bildwelten erzeugen.
Manche Szenarien wirken interaktiv, und Signale aus einer in die Decke vor dem Counter integrierten Tracking-Kamera sorgen dafür, dass die Display-Choreografie mitunter den Bewegungen einer Person im Abdeckungsbereich folgt. Das Tracking wird mittels einer von schnellebuntebilder eigens für das Projekt entwickelten Software realisiert, die auf OpenCV (eine freie Programmbibliothek mit Algorithmen für die Bildverarbeitung sowie für maschinelles Sehen) aufbaut.
Das Tracking erkennt Bewegungen sowohl quantitativ im gesamten Raum wie auch in definierten Bereichen vor der Inspiration Wall. Auf diese Weise kann ein Aktivitätswert für das gesamte Foyer ermittelt werden, während im Bereich direkt unterhalb der Installation erkannt wird, wo genau sich Bewegung abspielt. Die Anzahl der Personen ist aufgrund der abstrakten Erfassung von Bewegungen nicht limitiert.
Mit dem anlässlich des 350-jährigen Unternehmensjubiläums im Mai 2018 eröffneten Innovation Center gibt Merck ein beeindruckendes Statement ab, das in Darmstadt sinnbildlich für die Entwicklung von einem Produktionswerk zu einem Technologie- und Wissenscampus verstanden wird. Das Gebäude ist gegenüber der an seiner Vorderseite vorbeiführenden Frankfurter Straße zurückgesetzt und gibt so einen öffentlichen Platz frei, der auf den Namen Emanuel-Merck-Platz getauft wurde.
Die gläserne Fassade ergänzt den frei zugänglichen Platz vor dem Innovationszentrum und sorgt mit dafür, dass die leuchtenden Bildschirme insbesondere nach Einbruch der Dämmerung als fester Bestandteil des Gebäudes zu einem weithin sichtbaren Signal werden. Der im Familienbesitz befindliche DAX-Konzern öffnet sich mit dem Innovation Center architektonisch wie auch im übertragenen Sinn nach außen, zeigt gleichzeitig aber auch auf, wofür das Traditionsunternehmen steht und vermittelt abstrakt ein Gefühl dafür, was innerhalb des Gebäudes geschieht.
Jenseits großer Gedankenbogen sind ganz pragmatische Gesichtspunkte nicht zu unterschätzen: Werden externe Gäste in das Innovation Center eingeladen, dient die weitläufige Lobby als Treffpunkt – die sich bewegenden Bildschirme sind dem Vernehmen nach stets ein beliebtes Gesprächsthema und tragen dazu dabei, eventuelle Wartezeiten gefühlt zu verkürzen. Merck überreicht Besuchern mit der Inspiration Wall eine großformatige Visitenkarte, stimmt mit zeitgemäßer Technologie auf das Thema Innovation ein und erzeugt einen dynamischen ersten Eindruck: Ein „Ort der Begegnung mit sich begegnenden Bildschirmen“, würden Marketing-Fachleute wohl formulieren.
Beobachtet man die Besucher im Merck Innovation Center, lassen sich unterschiedliche Reaktionen auf die kinetische Installation feststellen: Manche Gäste bleiben interessiert stehen, beobachten das Geschehen und richten ihr Interesse explizit auf die sich bewegenden Screens, während andere Personen das Foyer schnellen Schrittes durchschreiten und die Installation als Teil des Durchgangsbereichs vermutlich nur unterschwellig zur Kenntnis nehmen. Dietmar Möller berichtet über durchweg positive Rückmeldungen: „Ein negatives Feedback ist mir bislang nicht zu Ohren gekommen“, so Möller.
Die Installation in ihrer individuellen Ausprägung weist Alleinstellungsmerkmale auf, und für die beteiligten Unternehmen dürfte die gewerkübergreifende Zusammenarbeit durchaus spannend gewesen sein. „Es war ein tolles Projekt, das letztlich nur funktioniert hat, weil alle Partner mit ihrem jeweiligen Spezialwissen eng und gut zusammengearbeitet haben – der Wille, gemeinsam etwas in dieser Form noch nicht Dagewesenes zu schaffen, war durchweg stark ausgeprägt“, stellt Dietmar Möller zufrieden fest. „Viele Herausforderungen waren nicht mit Produkten aus der Serienfertigung zu lösen, was natürlich immer mit einem gewissen Risiko behaftet ist, zumal der gegebene Zeitrahmen bis zur Eröffnung zu beachten war. Bedenkt man die Gesamtheit aller Aspekte, lässt sich zusammenfassend nur sagen, dass alles super gelaufen ist. Auch nach rund einem Jahr im laufenden Betrieb sehe ich auf der Inspiration Wall immer noch etwas Neues – es wird definitiv nicht langweilig!“