Medientechnik: Immersiver Multimedia-Trip ins Udoversum
Hightech Multimedia in Udo’s PANIK CITY
von Jörg Küster, Artikel aus dem Archiv
Die Nachtigall zwitscherte noch nie so multimedial wie heute: „Das ist so ’ne Art NASA-Laboratorium, Hightech, multimedial und Touchscreens mit Riesenprojektionen und der ganzen Panik-Geschichte“, sagt Udo Lindenberg über eine neue „Raketenstation zur friedlichen Erforschung des Udoversums“ mitten im Hamburger Kiez.
Im März 2018 wurde auf der Hamburger Reeperbahn die Erlebniswelt PANIK CITY – UDO LINDENBERGS MULTIMEDIA ERLEBNIS im Klubhaus St. Pauli offiziell eröffnet. Als innovatives Technik-, Kunst- und Kulturprojekt zeichnet die PANIK CITY auf einer Fläche von rund 700 m2 das musikalische, künstlerische und gesellschaftspolitische Wirken von Udo Lindenberg in sechs Stationen nach und macht es mithilfe moderner Multimediatechnik erlebbar. Gruppen mit bis zu 20 Personen werden von geschulten Tourguides bei einem neunzigminütigen Rundgang durch unterschiedliche Lebensabschnitte des kultigen Panikrockers begleitet.
Hightech-Storytelling
Das multimediale Erlebnis in der PANIK CITY setzt sich aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen, die von Experten der pilot Screentime GmbH (siehe Kasten) konzeptionell verknüpft wurden: Zeitgemäße Technologie und interaktives Storytelling tragen dazu bei, dass Besucher in Lindenbergs Welt eintauchen können. Angestrebt (und erreicht) wird ein lange im Gedächtnis bleibendes Erlebnis, das sich deutlich von einem „trockenen“ Ausstellungsbesuch unterscheidet und bei dem der Spaß nicht zu kurz kommt – die Macher sprechen von einer „Live-Experience“. Zur technischen Ausstattung gehören raumhohe Projektionswände, zahlreiche Screens diverser Formate, Tablets, speziell programmierte AR/VR-Applikationen sowie ein ausgeklügeltes Audio- und Videosystem.
Panik in Hamburg
Damian Rodgett ist Geschäftsführer der auf ganzheitliche digitale Bildschirmkommunikationslösungen spezialisierten pilot Screentime GmbH und steht gemeinsam mit Gastronom Axel Strehlitz, Theaterbetreiber Corny Littmann und Volker Filipp (technischer Direktor bei Schmidts Tivoli) der PANIK CITY als Geschäftsführung vor.
(Bild: Jörg Küster)
„Das Projekt PANIK CITY befand sich bei Udo und Corny seit Jahren im Gespräch, ließ sich jedoch aus diversen Gründen lange nicht umsetzen – es fehlte unter anderem eine passende Location“, berichtet Damian Rodgett. „Zeitweise stand sogar Berlin als möglicher Ort zur Diskussion, aber da Udo in Hamburg lebt, wurde die Hansestadt bevorzugt. Im neu errichteten Klubhaus St. Pauli bot sich vor einiger Zeit die Möglichkeit, die vierte Etage zu beziehen, was wir dann auch gemacht haben. Die PANIK CITY ist komplett privat finanziert und hat Investitionskosten in Höhe von 2,3 Millionen Euro erfordert.“
Multisensorisches Erlebnis
Damian Rodgett und seine Mitgesellschafter setzen auf eine Begleitung der maximal zwanzigköpfigen Besuchergruppen durch geschulte Tourguides – eine als unpersönlich empfundene elektronische Führung, wie sie aus diversen Museen bekannt ist, kam für die Macher laut Rodgett nie infrage. Aktuell finden die Touren in einer halbstündigen Taktung statt, in der Vorweihnachtszeit möchte man sie auf 20 Minuten verkürzen. Die Tourguides verfügen über englische Sprachkenntnisse; die überwiegende Mehrzahl aller Besucher ist jedoch deutschsprachig, was angesichts des Künstlers nicht verwundert.
„Ein chronologischer Ablauf ist für uns nicht so wichtig“, sagt Damian Rodgett über die Besucherführung. „Wir sprechen von einer neunzigminütigen Experience, also einem Erlebnis. Gemeinsam mit Udo haben wir viele Ideen entwickelt, aus denen letztlich die insgesamt sechs Stationen der PANIK CITY entstanden sind – zählt man den Shop am Ende des Rundgangs hinzu, sind es sogar sieben Segmente. Das Erlebnis PANIK CITY beinhaltet eine Mischung aus interaktiven Elementen und linearem Storytelling, und ich denke, dass es uns gelungen ist, eine Art multisensorisches Erlebnis zu gestalten. Wir nehmen Gäste mit auf eine kurzweilige Reise und bieten ihnen die Möglichkeit, etwas zu erfahren, was sie bei einem normalen Konzertbesuch nicht erleben würden. Ein Besuch in der PANIK CITY ist unique; Vergleichbares gibt es sonst nirgends! Wir haben mit pilot Screentime sehr viel neuen Content erstellt und mit Udo unter anderem Videos im Hotel Atlantic sowie in seiner Heimatstadt Gronau gedreht.“
Bemerkenswert ist, dass in der PANIK CITY kaum typische Exponate wie etwa Künstlerkostüme, handschriftliche Notizen oder Bühnenrequisiten ausgestellt werden. Eine Ausnahme bildet lediglich der Eingangsbereich: Dort ist in einer Vitrine die Lederjacke zu sehen, die Udo Lindenberg 1987 an Erich Honecker überreichte und für die er im Gegenzug eine Schalmei vom ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR erhielt. In der Ausstellung finden sich keine Texttafeln, sondern sämtliche Inhalte werden multimedial vermittelt – vollständig automatisiert an sieben Tagen pro Woche. „Wir haben in der PANIK CITY unglaublich viel Technik verbaut, aber die Story steht im Vordergrund!“, stellt Damian Rodgett heraus.
Atlantic Smokers Lounge: Projektion
Begleitet von ihrem Tourguide fahren die Gäste von der Panikbar „Alte Liebe“ mit einem Aufzug ins 4. OG des Klubhauses, wo sie zunächst die so genannte Smokers Lounge aufsuchen und sich auf gepolsterten Hockern sowie einem Ledersofa niederlassen. Der Blick fällt auf eine geschwungene Projektionsfläche von etwas mehr als zwei Metern Höhe, auf der Udo Lindenberg zunächst im Halbdunkel als Standbild in der Raucher-Lounge des Hotels Atlantic Kempinski Hamburg zu sehen ist – der Rockmusiker hat in dem noblen Hotel an der Binnenalster seinen ständigen Wohnsitz. Die Projektionsfläche ist als Besonderheit nicht weiß, sondern schwarz. Die Idee wurde dem Vernehmen nach bei der Planung der Raumgestaltung geboren, da keine typische Kinoatmosphäre entstehen sollte. Zum Einsatz kommt nach umfangreichen Versuchen eine schwarze, besonders pigmentierte Projektionsfarbe der auf Theaterbedarf spezialisierten A. Haussmann GmbH. Bau und Bearbeitung der Projektionswände übernahm die Studio Hamburg GmbH.
Der Kontrastumfang der Bilddarstellung auf der schwarzen Fläche ist überraschend gut, wobei anzumerken ist, dass der gezeigte Content in der Postproduction selbstverständlich an die örtlichen Gegebenheiten angepasst wurde; finale Farbkorrekturen wurden nach der Installation der Projektoren im Raum vorgenommen. Die Projektionsfläche setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, wobei Stoßkanten unvermeidbar und auch zu sehen sind. Dabei ist zu bedenken, dass ein Teil der Wand über ein Schienensystem verfahrbar ist und von den Tourguides zu gegebener Zeit händisch geöffnet wird, um die Besuchergruppe in den angrenzenden Themenbereich zu führen. Für die Bespielung werden vier fest an der Decke montierte PA653UL Projektoren (nativ 1.920 x 1.200 Pixel, WUXGA) von NEC herangezogen, die mit etwa der Hälfte ihrer möglichen Leistung von 6.500 ANSI-Lumen betrieben werden. Die Betriebsgeräusche fallen aufgrund der musikalischen Untermalung im Raum trotz niedriger Deckenhöhe kaum auf. Die Ansteuerung der Projektoren erfolgt per Netzwerkkabel über HDbaseT; HDMI ist als Fallback-Option vorgesehen. Insgesamt sind in der PANIK CITY drei Technikräume vorhanden, so dass sich die per Kabel zu überbrückenden Distanzen zwischen den Geräten und der nächstliegenden Zentrale in einem vertretbaren Rahmen halten.
Als Rechner für Software-basierte Player finden PCs der Marke exone (EXTRA Computer GmbH) Verwendung, aber auch Hardware- Player von AOPEN kommen in einem Engine Core Serverrack zum Einsatz. Die bevorzugten Software-Lösungen in der PANIK CITY sind Datatons Watchout-Multidisplaysoftware und die Digital-Signage-Software Scala – nicht nur für das 4. OG, sondern auch für mehrere via Netzwerk angeschlossene Bildschirme in der im Erdgeschoss untergebrachten Panikbar „Alte Liebe“. Zu sehen sind dort neben Logos auch Informationen über die Eintrittspreise sowie die Verfügbarkeit von Tickets für einzelne Führungen. Die letztgenannten Inhalte werden dem Ticketing-System in Echtzeit entnommen; das API von CTS Eventim wird direkt abgegriffen. Weiterhin lassen sich gewünschte Informationen über einen Rechner im Betriebsbüro einpflegen.
Die Entscheidung für filterlos arbeitende NEC Laserprojektoren wurde bewusst getroffen, wobei in erster Linie die Langlebigkeit der Laserlichtquellen eine Rolle spielte. „Bei normalen Lampen hat man Zyklen zwischen 600 und 1.800 Stunden“, erläutert Ottmar Bröckel, der als bei pilot Screentime angestellter Projektmanager für die PANIK CITY verantwortlich ist. „Die Betriebskosten wären bei unserem Nutzungskonzept dadurch stark in die Höhe gegangen, zumal wir in der PANIK CITY ja insgesamt zehn Beamer betreiben.“ Zudem möchte man in Hamburg vermeiden, dass bei einem Lampentausch die penibel eingerichteten Montagepositionen der Multiprojektion verändert werden.
Für geschulte Augen wird in der Smokers Lounge an einigen Stellen der Vorführung das Softedge-Blending sichtbar – medientechnisch unvorbelasteten Besuchern hingegen fällt ein solches Detail mit einiger Sicherheit nicht auf. Auslöser für die Sichtbarkeit der Bildüberlappungen dürfte zum einen die Abstrahlungscharakteristik der speziellen Projektionsfarbe sein: Bewegt man sich vor der Anzeigefläche, wechseln je sich nach Position homogener und heterogener Bildeindruck ab. Darüber hinaus lässt der Schwarzwert der 3LCD-Beamer Wünsche offen. „Wir haben vieles ausprobiert, und besser als jetzt ist die Überblendung unter den vorherrschenden Gegebenheiten nicht lösbar“, kommentiert Gérald Engler, der das Projekt für pilot Screentime als medientechnischer Planer verantwortet.
Atlantic Smokers Lounge: Licht, Ton, RFID
Die reduzierte, zum Setting passende Beleuchtung in der Smokers Lounge wird mit zahlreichen miniaturisierten PAR-Lampen der Voltus GmbH realisiert, deren Halogen-Leuchtmittel im Raum akzentuiert für warmes Licht sorgen. Das gesamte Licht in der PANIK CITY wird über DMX-Recorder/Controller (Visual Productions QuadCore) gesteuert, die ihrerseits über UDP-Strings getriggert werden. Manuelle Eingriffe sind nicht erforderlich, seit die mit einem professionellen Lichtpult vorgenommene Programmierung in die DMX-Recorder übertragen wurde.
Die Beschallung in der Smokers Lounge wird wie in allen anderen Räumen der PANIK CITY mit Produkten von Bowers & Wilkins realisiert – Udo Lindenberg ist Endorser für den bekannten Hersteller hochwertiger Hi-Fi- Komponenten. Allerorts finden sich an den Decken schwarze AM-1 Zweiwege-Lautsprecher, welche bei der Wiedergabe tiefer Frequenzen durch Subwoofer unterstützt werden. In der Smokers Lounge sind oberhalb der Projektionsfläche mehrere Tieftöner mit 10″-Bestückung montiert; auf der Rückseite der Wand wurden zwei Subs mit 15″-Chassis abgestellt. Die Subwoofer werden von B&W SA1000 Class-D-Endstufen angetrieben, während die Topteile an edle Rotel Verstärker angeschlossen sind.
Die Beschallungsanlage wurde von Andreas Zabel und Sven Waldheim eingemessen; die beiden Sound-Spezialisten können auf Erfahrungen aus unzähligen Live-Konzerten zurückgreifen. Für die Klangbearbeitung finden bei den Live-Shows von Udo Lindenberg ebenso sowie in der PANIK CITY 19″-Prozessoren des Typs Lake LM 44 Verwendung. Eine BSS Audio Soundweb BLU-100 DSP-Matrix sorgt in Räumen wie „Gronau“ (siehe unten) dafür, dass Audiosignale an zur Bildwiedergabe passenden Positionen ausgespielt werden. Als Audio-Interfaces finden in der PANIK CITY Fireface UCX-Modelle von RME Audio sowie Produkte von Focusrite Verwendung. Die Smokers Lounge verfügt ebenso wie die anderen Themenräume der PANIK CITY über einen RFID-Reader, an dem sich die Tourguides mit einer entsprechenden Karte anmelden – nicht ganz unerwartet sieht Letztere in der PANIK CITY ein wenig wie ein Backstage- Pass aus. Das im Hintergrund arbeitende Zutrittssystem stammt von der Friedrich Marx GmbH & Co. KG. In einem der Technikräume ist ein Server zu entdecken, an welchen die lokal installierten Kaba RFID-Terminals angeschlossen sind.
Für das komplexe Zusammenspiel der unterschiedlichen technischen Komponenten waren Spezialisten von pilot Screentime verantwortlich, darunter federführend Malte Mühlbrandt als Head of Support. Eine zentrale Rolle fällt einem Crestron DIN-AP3 Steuerungsprozessor zu, an den diverse Aktoren (u. a. DIN-8SW8 Relaismodul) in den Unterverteilungen angeschlossen sind, welche ihrerseits Schaltvorgänge auslösen. Ein Crestron Touchpanel ermöglicht Betriebsleiterin Petra Roitsch das komfortable Ein- und Ausschalten der Anlage aus ihrem Büro. Sollten technische Probleme in der PANIK CITY auftreten, sind Fernanalyse und -wartung möglich: Über gesicherte Entry-Points werden Remote-Logins auf das ansonsten geschlossene Netzwerk unterstützt.
Jugend in Gronau
Über einen Zeittunnel, in dem sich Udo Lindenberg mittels lebensgroßer Pappfotoabzüge vom reifen Rocker zum kleinen Kind verjüngt, gelangen Gäste aus der Smokers Lounge in den Raum Gronau. Die beschauliche Gemeinde im westlichen Münsterland ist Lindenbergs Heimatort. In der Installation kommt man dem in der Öffentlichkeit stets betont coolen Panikrocker als Person so nahe wie sonst selten, was auch an einem multimedial inszenierten Zwiegespräch mit seiner Schwester Inge liegt: Die beiden Protagonisten unterhalten sich angeregt, wobei Bild und Ton passend zum jeweiligen Akteur aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Bemerkenswert ist auch ein Interview mit ehemaligen Wegbegleitern, die sichtbar anders als der inzwischen 72-jährige Udo Lindenberg gealtert sind.
Für Schmunzler sorgen Einspielungen, die nahelegen, dass Lindenberg in jungen Jahren die zur Straße führende Treppe seines Elternhauses unter dem Einfluss legendärer TV-Showmaster wie Hans-Joachim Kulenkampff und Peter Frankenfeld als Showtreppe zweckentfremdete. Absolut sehenswert ist auch ein Clip, in dem der Kleinstadtjunge nach Jahren in der großen weiten Welt in einer weißen Stretchlimousine in seinen Heimatort zurückkehrt, um – inzwischen vom Liftboy zum finanziell solide aufgestellten Rockstar gereift – seine Mutter durch die Gemeinde zu chauffieren.
Unter medientechnischen Aspekten springen Bildschirme von Philips ins Auge, die in zur Raumgestaltung passenden Rahmen untergebracht sind und teilweise im Portraitmodus betrieben werden. Ein schräg montierter Monitor gibt sich erst zu einem späten Zeitpunkt als solcher zu erkennen; Erstbesucher gehen zunächst von einer hinterleuchteten Anzeigetafel aus. Die Screens entstammen der Philips Professional-Line und sind entsprechend für den Dauerbetrieb ausgelegt – ein Aspekt, der laut Damian Rodgett für alle technischen Komponenten in der PANIK CITY extrem wichtig ist. Verwendung finden Bildschirme mit Dia gonalen von 75, 65, 43 und 32 Zoll; das Bildmaterial ist in Full-HD-Auflösung zu sehen. Im Hintergrund agiert die Dataton Watchout- Software; Bild und Ton laufen durch durchweg synchron. Die zu sehenden Videos wurden von pilot Screentime u. a. in Gronau sowie in Hamburg gedreht und mit bereits existierendem Filmmaterial angereichert; ältere Fotos wurden unter Einsatz des Ken-Burns-Effekts in die Präsentation eingebunden.
„Die Produktion der exklusiv in der PANIK CITY zu sehenden Filme war ziemlich aufwendig“, erinnert sich Gérald Engler. „Bis quasi zur letzten Minute vor der Ausstellungseröffnung gab es immer wieder Änderungswünsche. Darüber hinaus war ein gewisses Maß an Abstraktion erforderlich, da die Produktion ja bereits erfolgte, bevor der Raum für die Wiedergabe fertiggestellt war. Sechs verschiedene Anzeigeflächen müssen im Raum sinnvoll miteinander interagieren. Für die Redaktion mussten wir die Inhalte vorab auf einer 2D-Oberfläche darstellen, so dass alle sechs Content-Stränge gleichzeitig zu sehen waren. Die Schlussredaktion fand dann im fertiggestellten Raum Gronau statt.“
Der Ton kommt im Raum Gronau wie überall in der PANIK CITY aus niederohmig betriebenen Lautsprechern von Bowers & Wilkins, die im konkreten Fall durch geschicktes An- und Ausschalten die akustische Ortung des jeweils aktiven Screens unterstützen. Die Audiotracks im Raum Gronau sind zum Teil untermalend ausgelegt: Wenn Schwester Inge erzählt, wie Bruder Udo früher Schallplatten der Beatles hörte, läuft im Hintergrund Musik der Fab Four, und nebenbei dreht sich in der Deko der Teller eines stilisierten Plattenspielers.
Recording im Boogie Park Studio
Den Aufenthalt in einem Tonstudio können Gäste im Raum „Boogie Park“ nachempfinden. Der geschmackvoll im Stil des gleichnamigen Hamburger Studios dekorierte Raum verfügt in seinem hinteren Teil über eine ansteigende Podesterie, auf der sich die Gäste vor Mikrofone stellen. Auf einem frontseitig angebrachten Screen, der ein wenig wie die tonstudiotypische Scheibe zwischen Aufnahme- und Regieraum wirkt, erscheint Udo Lindenberg und berichtet über seine Recording-Erfahrungen. Anschließend werden die Anwesenden angehalten, die an Stativen baumelnden B&W-Kopfhörer aufzusetzen und kraftvoll in den zugespielten Song „Ich mach mein Ding“ einzustimmen – weniger textsichere Gäste können die Lyrics in Karaoke-Manier auf dem zentralen Screen ablesen.
Die vielstimmige Performance der Gäste wird in Bild und Ton aufgezeichnet, wobei die auf Stativen vor den Sängern platzierten Mikros trotz angeschlossener Kabel nicht aktiv sind; die Aufnahme erfolgt über an der Decke installierte Mikrofone. Die nahe der Mics befindlichen Lautsprecher werden selbstverständlich ausgeschaltet, sobald Erstere aktiviert sind, so dass keine Rückkopplungen auftreten. Im zugehörigen Technikraum ist u. a. ein Yamaha TF-Rack Digitalmixer zu entdecken, der für die aus dem nachempfundenen Tonstudio kommenden Audiosignale zuständig ist. Die Kopfhörerverstärker (ART Pro Audio HeadAmp 6) sind ebenfalls hier zu finden.
Um die Studioszenerie für die Videoaufnahme in ausreichend helles Licht zu tauchen, finden zahlreiche LED-Panels mit Frostscheiben Verwendung. Dem Vernehmen nach wurde länger gesucht, um geeignete Produkte zu installieren, die flickerfreie Videoaufzeichnungen ermöglichen und darüber hinaus im gedimmten Zustand nicht unangenehm durch elektromagnetische Einstreuungen in die Audiosignale in Erscheinung treten.
Als Kamera findet eine oberhalb des Screens montierte Blackmagic URSA Mini Pro Verwendung. Das SDI-Ausgangssignal der Profikamera wird auf eine Capture-Karte geführt; der zugehörige Rechner übernimmt mithilfe einer speziell programmierten Applikation anschließend in einer Zeitspanne von knapp vier Minuten ein komplexes Rendering. Ein Rendering? Überraschung: Der Videoclip aus dem Tonstudio kann nach Abschluss des Rundgangs mithilfe eines Codes heruntergeladen werden; Screens im Ausgangsbereich des Rundgangs weisen auf die Downloadmöglichkeit hin. Zur Freude der Gäste erscheint Udo Lindenberg wie von Zauberhand mitten unter ihnen im Video und begleitet den Besucherchor. Das gerenderte Ergebnis wirkt frappierend realistisch: Sogar der Schattenwurf des virtuell in die Szene eingefügten Panikrockers erscheint stimmig, und Dritte denken beim Betrachten der Clips meist, dass (der vor einem Greenscreen gefilmte) Udo Lindenberg tatsächlich anwesend war oder zumindest durch einen äußerst talentierten Imitator vertreten wurde. Chapeau!
Sonderzug nach Pankow, oder: Gitarren statt Knarren
Durch extreme Reduktion zeichnet sich der Raum „Osten“ aus: Die Atmosphäre ist klinisch-steril, das Licht blendend hell, und die Inszenierung soll laut Ottmar Bröckel an einen DDR-Verhörraum erinnern. Medientechnisches Highlight ist der Einsatz von Augmented Reality: Den Besuchern werden Samsung Tablets ausgehändigt, über deren eingebaute Kameras sie die wenigen im Raum verteilten Objekte erkunden können. Wird ein Objekt erfolgreich erkannt, startet ein lokal auf dem Tablet hinterlegter Videofilm; der Ton wird über Kopfhörer von B&W wiedergegeben. Die Ohrpolster der eng anliegenden Hörer werden regelmäßig gereinigt und könnten bei Bedarf dank Magnetverschluss in wenigen Sekunden ausgetauscht werden.
Insgesamt sind 40 Samsung Tablets auf zwei Ablageebenen verfügbar, so dass bei Besuchergruppen von maximal 20 Personen stets genügend Geräte verfügbar sind. Damit die Akkus der Tablets immer einen ausreichend hohen Ladezustand aufweisen, werden sie von den Tourguides nach der Rücknahme mit den zugehörigen Ladekabeln verbunden – eine Prozedur, die dem täglichen Dauerbetrieb sowie dem Stromverbrauch durch die permanent aktiven Kameras und die AR-App geschuldet ist. Ausfälle gab es bislang laut Betriebsleiterin Petra Roitsch nicht; auch ist erstaunlicherweise wohl noch keinem Gast ein Tablet versehentlich aus der Hand gefallen. Für Objekterkennung und Wiedergabe sorgt eine von pilot Screentime programmierte App: Die Objekte werden durch einen Vergleich mit den im Vorfeld im real vorhandenen Raum aufwendig von allen Seiten fotografierten Exponaten erkannt.
Eyecatcher im „Osten“ ist ein 65″-Screen von Philips, der im Portraitmodus in einem weißen Rahmen betrieben und an seinem unteren Ende von zwei Einbaulautsprechern flankiert wird. Die Stele mit Screen und Speakern wurde speziell für die PANIK CITY angefertigt. Oben auf der Halterung sitzt ein DMX-gesteuertes Miniatur-Movinglight, das zu Beginn der Show aufgeregt wackelt und an die Suchscheinwerfer der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland erinnern soll. Der Ton wird über Biegewellenwandler abgestrahlt, die unsichtbar unterhalb der Exponate bzw. eingebaut in einen goldfarben lackierten Trabbi ihren Dienst verrichten – Lindenberg- Fans wissen, was es mit dem Gefährt auf sich hat, und lauschen aufmerksam, wenn der Sänger in der ihm eigenen Art aus seiner Stasi- Akte vorliest.
Aufmerksame Gäste nehmen im Osten wie in anderen Räumen ein Ampelsystem zur Kenntnis, das dem Tourguide signalisiert, wann der darauffolgende Raum besucherfrei ist und somit durch die eigene Gruppe betreten werden kann. Die Steuerung übernehmen umgebaute Raspberry Pi Einplatinencomputer, welche im Netzwerk betrieben werden und an das vorhandene Triggersystem angeschlossen sind. Sogar in der Panikbar „Alte Liebe“ kommt ein Ampelsystem zum Einsatz; die benötigten Netzwerkkabel wurden über vier Stockwerke nach unten geführt. Dass sich Besuchergruppen tatsächlich in die Quere kommen, ist allerdings eher unwahrscheinlich, da die Aufenthaltsdauer in den einzelnen Sektionen des Rundgangs genau getaktet ist.
Likörelle am Multitouch-Tisch
Atmosphärisch dicht präsentiert sich die Likörelle- Bar, deren Wände von Regalen mit 900 bemalten Likörflaschen geziert werden. Udo Lindenberg erklärt auf einem hochkant montierten Philips 75″-Screen, wie seine beliebten Malereien entstehen – der Künstler zeichnet dabei „von hinten“ auf den 4K-Bildschirm, während er mit den Gästen spricht.
Derart inspiriert können Besucher kurz darauf selbst ans Werk schreiten und an vier Tischen mit Multitouch-Oberflächen auf Basis von Vorlagen eigene Likörelle mehr oder weniger gekonnt einfärben. Bei den Tischen handelt es sich um von der Berliner MMT GmbH & Co. KG produzierte Spezialanfertigungen mit integrierten NEC-Bildschirmen, welche Diagonalen von 65 Zoll aufweisen. Die zugehörigen Rechner sind in die Tischfüße eingebaut. Die Bedienung erfolgt flüssig [ 🙂 ], die Multitouch- Funktion gerät auch bei fünf gleichzeitig agierenden Personen nicht ins Wanken. Die Programmierung übernahm die Framegrabber Medien GmbH; Udo Lindenberg steuerte die Skizzenvorlagen bei und legte auch die passenden Likörfarben fest. Hat man als Gast das eigene Kunstwerk vollendet, kann man eine E-Mail-Adresse eintippen und bekommt das frisch kreierte Ouevre elektronisch über die leistungsstarken Server eines externen Providers zugesendet. Damian Rodgett weist darauf hin, dass die Mail-Adressen von den Betreibern der PANIK CITY nicht gespeichert und selbstverständlich auch nicht an Dritte weitergegeben werden.
Audioenthusiasten registrieren in der Likörelle-Bar zwei teure B&W Nautilus-Lautsprecher, die während eines normalen Rundgangs ohne Funktion sind. Daraufhin angesprochen erwähnt Petra Roitsch, dass sich die Likörelle- Bar sowie der an sie angrenzende Raum exklusiv für Firmen- Events buchen lassen; die Nautilus-Boliden samt Rotel-Verstärkern werden dann zur Beschallung herangezogen.
Über pilot Screentime
Die pilot Screentime GmbH ist ein spezialisierter Anbieter für digitale Marketing-Lösungen. Das Unternehmen bietet seinen Kunden intelligente und effiziente Lösungen für die digitale Bildschirmkommunikation in einer exponentiell wachsenden Medienwelt. pilot Screentime setzt auf ein Expertenteam aus Beratern, Designern, Programmierern und Projektmanagern, die Verlässlichkeit mit Kreativität verbinden und auch außergewöhnliche Herausforderungen wie die PANIK CITY gerne annehmen.
pilot Screentime ist Teil der pilot Group und wurde von Geschäftsführer Damian Rodgett 2012 in Hamburg gegründet. Zu den Kernkompetenzen zählen Unternehmensberatung in den Bereichen Digital Signage und Strategie, Omni-Channel-Marketing, Inhaltserstellung und Werbung, Software-Entwicklung, Design/Video/ Motion-Graphics für HD- und 4K-Bildschirme sowie Scala Software-Lizensierung, Training und Unterstützung.
Backstage vor der Show
Ihr Meisterstück hat Ausstellungsdesignerin Andrea Bohacz im Vorraum zu „Bunte Republik“ (siehe unten) vollbracht: Der stilisierte Backstage-Bereich samt Bierflaschen und leeren Pizzakartons ist derart authentisch gestaltet, dass man sich als Gast glaubhaft in eine heruntergekommenen Stadthalle mit Baujahr in den 1960er-Jahren versetzt fühlt – eine wirklich großartige Leistung, wenn man bedenkt, dass es sich eigentlich um einen neutralen Raum in einem nagelneuen Bauwerk handelt. Besucher denken gelegentlich, dass sie sich hier kurzzeitig in alter Bausubstanz bewegen, die im Gegensatz zu anderen Räumen der PANIK CITY schlichtweg (noch) nicht renoviert wurde.
Um an dieser Stelle ein Geheimnis zu lüften: Hinter der Türe mit der Aufschrift „Panik Damen“ befindet sich im Backstage-Bereich keine Umkleide, sondern einer der insgesamt drei Technikräume. Dort sind viele bereits aus den anderen Zentralen bekannte Komponenten untergebracht, und auch ein RAID-System für die Speicherung der Videoaufnahmen hat in der Damenumkleide seine Heimat. Ein weiterer Backstage-Raum wird als Lagerfläche genutzt, um eine nennenswerte Menge von Austauschgeräten zu bevorraten – der laufende Betrieb in der PANIK CITY soll auf gar keinen Fall durch einzelne defekte Komponenten unterbrochen werden. Für den Worst Case stehen zwei Philips Backup-Bildschirme mit 4KAuflösung und Diagonalen von 75 Zoll bereit, die mit AOPEN-Playern verbunden sind –man könnte diese Screens im Notfall auf Ständern in einem Raum aufstellen und wesentliche Inhalte wiedergeben. „Schwarze Bildschirme gibt es bei uns nicht!“, sagt Ottmar Bröckel und weist in einem Nebensatz darauf hin, dass in der PANIK CITY fast 15 km Netzwerkkabel verlegt wurden.
Unterhaltung mit Haltung
Udo Lindenbergs politisches Engagement wird im Raum „Bunte Republik“ in einem von Hannes Rossacher produzierten Film gewürdigt, bevor Gäste ein in der Mannheimer SAP Arena aufgezeichnetes Konzert aus ungewohnten Blickwinkeln verfolgen können. Wesentliches Gestaltungselement ist eine gerundete 270- Grad-Projektionsfläche mit 14 Meter Breite, die mit sechs NEC PA653UL-Projektoren bespielt wird. Die Zuspielung übernimmt ein Watchout-System von Dataton.
Im zweiten Teil der Show werden die auf Drehsesseln sitzenden Gäste aufgefordert, zu VR-Brillen zu greifen, die auf induktiven Ladegeräten unter den Polstern gelagert sind. Nach zahlreichen Versuchen hat man sich in der PANIK CITY für Samsung „Gear VR“-Brillen mit SM-R325-Controllern entschieden; das Head- Tracking erfolgt über eingebaute Lage- und Beschleunigungssensoren. Die originalen Schaumstoffauflagen der knapp 350 Gramm wiegenden Headsets wurden gegen Lederausführungen getauscht, um eine einwandfreie Hygiene sicherstellen zu können. Die Brillen sind kompatibel zu handelsüblichen Samsung Galaxy S8 Smartphones in den „Gear VR“-Fassungen.
„Von allen Lösungen, die wir ausprobiert haben, hat sich diese Kombination letztlich als beste erwiesen“, berichtet Malte Mühlbrandt. „Wir streamen Video und Audio über mehrere Access-Points von einem separaten Server und nutzen in diesem Zusammenhang eine eigens konfigurierte App, welche im Kiosk-Modus betrieben wird – die Inhalte befinden sich also nicht lokal im Speicher der Smartphones.“ Im täglichen Betrieb haben sich die VR-Brillen als wenig robust erwiesen und müssen regelmäßig ausgetauscht werden – es handelt sich um Consumer-Produkte, die schlichtweg nicht für eine professionelle Dauernutzung ausgelegt sind. In Hamburg wird bereits laut darüber nachgedacht, die Hardware vollständig auszutauschen, sobald eine robustere kabellose Lösung am Markt verfügbar ist.
„Wir sind Pioniere!“, konstatiert Damian Rodgett und betont, dass die „Bunte Republik“ Deutschlands erstes festinstalliertes VR-Kino ist. Tatsächlich können Gäste den von der Düsseldorfer A4VR GmbH mit diversen Spezialkameras aufgezeichneten Konzertfilm nach eigenem Gusto betrachten: Man kann nach oben ins Hallendach schauen, das Publikum vor der Bühne beobachten, den Fokus auf die Musiker oder auf Udo Lindenberg und seine Interaktion mit den attraktiven Tänzerinnen richten – bevor man sich über Altersunterschiede und Machtgefälle Gedanken machen kann, passiert in der lebhaften Umgebung bereits wieder etwas Neues. Für Lindenberg-Fans ist der Virtual-Reality-Konzertbesuch ein echtes Highlight, das ausschließlich in der PANIK CITY erlebbar ist.
Hinterm Horizont geht’s weiter …
Ein Besuch in der PANIK CITY bereitet Freude und zeigt, wie zeitgemäße Medientechnik nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam und kreativ eingesetzt werden kann. Die Experimentierfreude der Macher wurde mit überzeugenden Ergebnissen belohnt, die nicht nur eingefleischten Lindianern der Ü50-Generation gefallen dürften.
Über die Besucherfrequenz äußerte sich Damian Rodgett Ende November 2018 zufrieden: Mehr als 30.000 Gäste haben nach seinen Worten die multimediale Inszenierung innerhalb der ersten acht Monate besucht. Die individuelle Resonanz gestaltet sich durchweg äußerst positiv, wie zahlreiche Kommentare in den sozialen Netzwerken glaubhaft belegen. Mit Lindenbergs Hamburg-Hymne „Reeperbahn“ werden die Gäste am Ende ihres Rundgangs durch die PANIK CITY auf die reale Hamburger Reeperbahn – und damit je nach Uhrzeit auch in das dort facettenreich tobende Nachtleben – entlassen.
Ein Tipp zum Abschluss noch für alle, die einen Besuch des multimedialen Lindenwerks auf Hamburgs geiler Meile passend zum Sujet ausklingen lassen möchten und keine Panik vor einer potenziellen Dröhnlandsinfonie am darauffolgenden Morgen haben: Im Ticketpreis ist der Gutschein für einen Eierlikör in der Panikbar „Alte Liebe“ inbegriffen …