Seit Mitte 2013 sorgt im KKW Emsland ein erneuertes elektroakustisches Notfallwarnsystem gemäß DIN EN 60849 für zeitgemäße Sicherheit. Geplant, geliefert und installiert wurde die auf Dynacord PROMATRIX-Komponenten basierende Anlage durch die Udo Erpenstein GmbH.
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Die Sicherheitskontrollen sind rigide: Personalausweise werden fotokopiert, Erklärungen sind zu unterzeichnen, Besucherausweise dienen an diversen Punkten der Identifizierung in Kombination mit einer Video-Gesichtskontrolle. Gepäck wird durchleuchtet, ein Metalldetektor muss durchschritten werden, und zusätzlich wird per Hand abgetastet. Schließlich erfolgt eine Strahlenmessung, die auch beim Verlassen des Geländes obligatorisch ist. Keine Frage: Sicherheit ist ein Thema, das im KKW Emsland ernst genommen wird. Sehr ernst.
Der 1.400-Megawatt-Block des Kernkraftwerks Emsland wurde 1988 in Betrieb genommen. Seither produziert der Druckwasserreaktor jährlich rund elf Milliarden kWh Strom bei einer Zeit- und Arbeitsverfügbarkeit von über 94 Prozent. Etwa 3,5 Millionen Haushalte versorgt das Kraftwerk mit Strom, rund 300 Mitarbeiter sind im Auftrag der RWE am Standort nahe Lingen tätig.
Im Dezember 2002 wurde auf dem Gelände des Kernkraftwerks Emsland das Standortzwischenlager Lingen (SZL) in Betrieb genommen. Die im Kraftwerk anfallenden Brennelemente werden dort gemäß Vorgabe des Atomgesetzes in Castorbehältern zwischengelagert, bevor sie eines Tages in ein – von der Bundesregierung noch zu bestimmendes – Endlager überführt und dort laut gängiger Sprachregelung „unbefristet eingeschlossen“ werden.
Aufgabenstellung
Die Alarm- und Lautsprecheranlage dient im KKW Emsland zur Übermittlung von Alarmen, für Durchsagen zum Schutz von Personen, für Personensuchdurchsagen sowie zur allgemeinen Information des Personals innerhalb des Kernkraftwerksgeländes. Gefordert sind eine flächendeckende Versorgung mit Direktschall, eine möglichst hohe Ausfallsicherheit sowie die bestmögliche Übertragungsqualität.
Mitte vergangenen Jahres wurde im KKW Emsland das elektroakustische Notfallwarnsystem auf einen aktuellen Stand gebracht. „Das zuvor vorhandene System war fast 25 Jahre in Betrieb und musste erneuert werden“, berichtet RWE-Mitarbeiter Markus Schnieders. „Unter anderem wurde es zunehmend schwieriger, passende Ersatzteile zu besorgen.“ Schnieders ist Ingenieur Elektro-/Nachrichtentechnik und arbeitet seit 2008 im KKW Emsland, wo er für die Bereiche Kommunikations- und Informationstechnik zuständig ist. Die Ausschreibung zur neuen ELA-Technik konnte die Udo Erpenstein GmbH aus Münster für sich entscheiden.
Geschäftsführer Holger Möntemann erinnert sich: „Wir erhielten vom Betreiber eine DVD, deren ausgedruckter Inhalt vier Büroordner füllte. Enthalten waren eine Anlagenbeschreibung sowie sämtliche Altdokumente zu den vorhandenen Komponenten. Außerdem waren alle Normen und Richtlinien beigefügt, deren Einhaltung für das neue System gefordert war. Die Ablaufprozeduren, nach denen der Austausch zu erfolgen hatte, waren ebenfalls dargelegt. In einer solchen Detailtiefe haben wir zuvor noch nie Unterlagen für ein Projekt erhalten.“
Erwartungsgemäß gestalteten sich die Vorbereitungen und der Einbau der neuen Komponenten komplex – in einem Kernkraftwerk kann man nicht „mal eben schnell“ ein paar vorab konfigurierte Racks installieren. Erpenstein-Mitarbeiter wurden im Vorfeld überprüft, Arbeitsaufträge wurden geschrieben, und der Zutritt zu definierten Bereichen war nur zu exakt festgelegten Zeiten möglich. Aus unmittelbar einsichtigen Gründen wurde besonders großer Wert auf eine detaillierte Dokumentation gelegt.
Vor dem Transport ins Kernkraftwerk wurden die 19″-Schränke in den Räumen der Firma Erpenstein zusammengebaut und über Wochen hinweg geprüft. Alle Anlagenteile wurden erfolgreich durch einen externen Sachverständigen abgenommen. Bereits lange zuvor hatte ein aus mehreren RWE- und Erpenstein-Mitarbeitern zusammengesetztes Team das komplette Setup „auf Papier“ geplant und dem Umweltministerium zur Prüfung vorgelegt.
PROMATRIX mit Sonderfunktionen
„Die Ausschreibung war neutral formuliert, sodass man prinzipiell mit Produkten eines beliebigen Herstellers hätte anbieten können“, erklärt Holger Möntemann. Dass sich Erpenstein für Komponenten von Dynacord entschied, hängt fraglos auch damit zusammen, dass das Münsteraner Unternehmen Stützpunkthändler dieses Herstellers ist und im Haus profundes Wissen über sämtliche Produkte vorhanden ist. „Wir kennen die einzelnen Komponenten bis in die Tiefe und konnten daher für den Einsatz im KKW Emsland zahlreiche Funktionen programmieren, die in solchen Systemen üblicherweise nicht benötigt werden“, erklärt der Erpenstein-Geschäftsführer. „Mit der normalen Bedien-Software ist so etwas nicht zu realisieren – man muss sich dafür auf die Ebene der Programmiersprache begeben.“
Verantwortung übernahm in diesem Zusammenhang unter anderem Peter Rensinghoff: „Die Prioritäten sind eine Sache, aber auch die Vernetzung der Komponenten untereinander lässt sich mit der Standardsoftware nicht umsetzen“, erläutert der erfahrene Erpenstein-Mitarbeiter. „Prinzipiell kommen im KKW Emsland 2 × 5 eigenständige Anlagen zum Einsatz, die über ein Netzwerk miteinander kommunizieren.“ Im an den eigentlichen Kraftwerkskomplex angrenzenden Standortzwischenlager ist bereits seit zehn Jahren ein elektroakustisches Notfallwarnsystem mit Komponenten von Dynacord störungsfrei im Einsatz – in einem deutlich kleineren Maßstab, aber mit vergleichbarer Funktionalität.
Erdbebenfeste Redundanz
Die Alarm- und Lautsprecheranlage beinhaltet zwei Zentralen (1 & 2), die im Schaltanlagengebäude und im Notspeisegebäude unter – gebracht sind. In langen Reihen hoher 19″-Schränke sind hier die Dynacord-Komponenten eingebaut. Die beiden Zentralen sind über Glasfaserkabel miteinander verbunden, so – dass eine galvanische Trennung gegeben ist und die Signale verlustfrei über vergleichsweise lange Distanzen transportiert werden können. Sollte eine Zentrale ausfallen, könnte ihr Konterpart deren gesamte Funktionalität übernehmen.
Die im Kraftwerkskomplex vorhandenen Lautsprecher mussten nicht erneuert werden. Rund 3.000 Lautsprecher befinden sich seit 1988 im Einsatz, wobei die hohe Zahl aus dem redundanten Aufbau der Anlage resultiert: Jedes zu beschallende Areal ist mit mindestens zwei Lautsprechern bestückt, von denen jeweils einer durch Zentrale 1 und der andere durch Zentrale 2 versorgt wird.
Die neuen Beschallungskomponenten wurden in zwei Schritten eingebaut, sodass sich zunächst ein Part der Bestandsanlage und ein Part des neuen Systems parallel im Betrieb befanden. Nachdem die aktualisierten Komponenten ihre Bewährungsprobe bestanden hatten, wurden die verbliebenen Teile der alten Anlage ebenfalls ersetzt. Mitte 2013 wurde die neue Anlage nach der Abnahme durch einen externen Sachverständigen offiziell in Betrieb genommen.
In jeder Zentrale sind fünf 19″-Serverschränke den Komponenten des elektroakustischen Notfallwarnsystems vorbehalten. Das zum Einsatz kommende Schrankmodell musste einen „Erdbebentest“ (Standsicherheitsnachweis) bestehen und wurde in diesem Zusammenhang unter behördlicher Aufsicht in X/Y/Z-Richtung geprüft. Das Gewicht der später eingebauten Komponenten wurde dabei durch Kupferplatten simuliert. Für mechanische Stabilität sorgen ergänzend Metallkreuze, die front- und rückseitig hinter den Türen aller Schränke montiert sind und sich für Servicezwecke komfortabel öffnen lassen.
Alle Schränke sind gemäß statischer Berechnungen an eine im Boden verankerte Stahlkonstruktion geschweißt. Das Ergebnis der Schweißarbeiten wurde durch einen externen Sachverständigen geprüft. An jedem Schrank befindet sich eine rote Kontrolllampe, die im Bedarfsfall blinkend auf Störungen aufmerksam macht.
Komponenten der elektroakustischen Notfallwarung
Hinsichtlich der zum Einsatz kommenden Komponenten sind beide Zentralen im KKW Emsland identisch konzipiert. Zu jeder Zentrale gehören fünf digitale Audiomatrizen DPM 4000 als modular aufgebaute Zentraleinheiten der Dynacord PROMATRIX-Systeme. Jede Einheit verwaltet jeweils 100 Linien. Jeder Zentrale sind 1.500 der insgesamt 3.000 verbauten Lautsprecher zugeordnet. Manche Linien beinhalten lediglich einen einzelnen Druckkammerlautsprecher, während lange Flure mitunter von drei Lautsprechern versorgt werden, die gemeinsam auf einer Linie arrangiert sind. Maximal fünf Lautsprecher sind in einer Linie zusammengefasst. Insgesamt wurden 282 Relais-Boards des Typs DCS 408R an 32 Modulrahmen DCS 400 verbaut, was bei fünf Relais pro Board in einer Gesamtzahl von 1.410 Relaiseinheiten (100 V) resultiert.
Pro Zentrale sind 60 Havarie-Relais vorhanden. Vier Prozessoren sind jeweils zwei Endstufen zugeordnet, während der fünfte Prozessor über insgesamt sieben Endstufen verfügt. Ein Havarieverstärker pro Zentrale wird automatisch zugeschaltet, falls eine der normalerweise zum Einsatz kommenden Endstufen ausfallen sollte. Insgesamt sind 32 Dynacord Leistungsverstärker des Typs DPA 4411N (4 × 100 Watt) vorhanden. Selbstverständlich ist auch die Stromversorgung redundant ausgelegt. Störungen werden zur Hauptwarte des Kraftwerks gemeldet, gespeichert und protokolliert. Systemprozessoren, Sprechstellen, Controller und Relaisperipherie werden über eine batteriegepufferte Stromversorgung gespeist.
Die als Sonderanfertigung von Erpenstein gelieferten Tastenfelder („Bedienstelle Alarm- und Lautsprecheranlage“) sind sowohl im Wartenraum des Schaltanlagengebäudes als auch in der Notsteuerstelle des Notspeisegebäudes mit jeweils zwei kurzen Schwanenhalsmikrofonen (nierenförmige Richtcharakteristik) bestückt. Durchsagen erfolgen gleichzeitig in beide Zentralen, deren Steuereinheiten synchron funktionieren (Linienauswahl etc.). Die Taster und Status-LEDs (bei den Doppelbedienstellen 30 + 6 Funktionstasten plus 4 Alarmtasten) wirken auf zwei galvanisch getrennte Schaltkontakte. Die
Durchsagelautstärke wird per Kompressor unabhängig von Sprecherlautstärke und Mikrofonabstand geregelt. Bei einer Alarmauslösung sorgen Blitzlampen in Bereichen mit erhöhtem Umgebungsgeräuschpegel für die erforderliche Aufmerksamkeit. Die Ansteuerung erfolgt in diesem Fall über potenzialbehaftete 48 V-Kontakte aus der Beschallungsanlage.
Zu jeder Anlage gehört ein Alarmtongenerator (Digital Message Manager DMM 4650), der per Druck auf eine Alarmtaste aktiviert wird. Arbeiten beide Anlagen korrekt, wird bei Betätigung der Taste lediglich einer der Generatoren aktiviert, um Signalmodulationen, Laufzeitunterschiede samt der daraus resultierenden Überhöhung oder Auslöschung einzelner Frequenzen – zu vermeiden und die einwandfreie akustische Erkennbarkeit des Signals durch die Mitarbeiter sicherzustellen. Übergabepunkt der neuen Technik an die getrennt verkabelten Lautsprecherinstallationen der Systeme 1 & 2 ist der Hauptverteiler.
Die Verbindungen vom Verteiler zu den Lautsprechern wurden vorab durch Techniker des KKW Emsland kontrolliert. Von jeder neuen Zentrale mussten 500 Linien in den bauseitigen Verteiler geführt werden. Das System prüft zyklisch auf Kurzschluss, Unterbrechung sowie Erdschluss und nimmt Impedanzmessungen vor. Die Ergebnisse werden ebenso wie sämtliche Bedienschritte protokolliert und können auf einem in den Schränken verbauten Samsung TFT-Display (Servicekonsole mit Tastatur und Monitor) angezeigt werden. Prinzipiell wäre per Netzwerk eine Kontrolle auch aus der Ferne via Büro-PC möglich, was im KKW Emsland jedoch nicht zulässig ist.
Ohne Auffälligkeiten
Für die Udo Erpenstein GmbH ist die Installation im KKW Emsland ein Referenzprojekt, das den üblichen Rahmen nicht zuletzt durch die Zahl der Linien, die außergewöhnlich umfangreiche Dokumentation sowie die besonderen Anforderungen des Kernkraftwerks sprengt.
„Auch bezüglich der Protokollierung gab es einige Sonderwünsche, und die dafür erforderliche Software wurde vollständig bei uns im Haus geschrieben“, merkt Holger Möntemann an. „Eine der Herausforderungen bestand darin, die Protokolle aller zehn beteiligten Dynacord DPM 4000 auszulesen und gemeinsam in eine sinnvolle Struktur zu bringen.“ Sieben Monate nach der offiziellen Inbetriebnahme der neuen Komponenten äußerte sich Markus Schnieders im Januar 2014 rundum zufrieden: „Als wir die Anlage angeschlossen haben, lief aufgrund der umfassenden Vorarbeiten alles sofort perfekt, und es waren keine Nachbesserungen erforderlich. Bislang gab es noch keine Systemstörung, und die Anlage verhält sich vollkommen unauffällig.“
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