Lifespace: Digital-Signage-Konzept mit Perspektive
von Achim Hannemann, Artikel aus dem Archiv
PROFESSIONAL SYSTEM-Autor und Medientechnik-Experte Achim Hannemann hat im Rahmen eines dreimonatigen „Hilfe-zur- Selbsthilfe“-Einsatzes in Tunesien zusammen mit dem tunesischen Digital-Signage-Dienstleister Lifespace ein Digital-Signage- Konzept erarbeitet und in ersten Zügen umgesetzt, das traditionellen Meetingpoints ein neues Gesicht gibt. Ein Erfahrungsbericht …
Tunesien zählt zu den wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften Afrikas und der arabischen Welt. Gleichzeitig gibt es aber eine hohe Arbeitslosigkeit, einen großen informellen Sektor und vernachlässigte Regionen im Landesinneren. Daher engagieren sich die EU und die BRD in Tunesien mit dem Ziel, die Demokratie zu festigen und dem Land wirtschaftlich zu helfen. Auch die deutsche Wirtschaft engagiert sich in Form einer Stiftung, der Senior Experten Service (SES), die weltweit ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte in Entwicklungs- und Schwellenländer entsendet, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Dazu zählte im Frühjahr 2018 auch PROFESSIONAL SYSTEM-Autor Achim Hannemann, den die SES für drei Monate nach Tunesien schickte, um das junge Unternehmen Lifespace.es beim Aufbau in Sachen Struktur, Technik, Betriebswirtschaft und Marketing zu unterstützen.
Seine Mission: der noch etwas unstrukturierten und unprofessionellen Digital-Signage-Landschaft in Tunesien und Nordafrika ein neues Gesicht geben. Inwieweit dies gelungen ist, berichtet Achim Hannemann im Folgenden mit eigenen Worten …
Digital-Signage-Projekt mit traditionellen Wurzeln
Am 18. März belud ich mein Auto mit Werkzeug, Installationsmaterial, Cat-Transmittern und Sunlight-Displays und machte mich auf den Weg nach Tunis. Hier empfingen mich der Gründer des Unternehmens Lifespace.es, Dr. Sami Bahri, sowie eine Handvoll freundlicher Mitarbeiter mit vielen kreativen Ideen. Dabei ist Dr. Sami Bahri definitiv kein Unbekannter in der Digital-Signage-Branche: Er hat in Würzburg studiert und bereits 1990 bei der Planung und Integration des ersten digitalen Broadcast- Studios in Deutschland mitgewirkt. Danach spezialisierte er sich auf Programmierung mit Scala, ist seither als Scala-Händler tätig und setzte unzählige Digital-Signage-Projekte mit dieser DS-Software um – u. a. für Audi in Deutschland. Nach den politischen Veränderungen in Tunesien im Jahr 2011 und mit einem neuen Konzept im Gepäck kehrte er in seine Heimat zurück. Sein Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, moderne Erkenntnisse von Arbeitsweisen und Meetingkultur in Unternehmen vor Ort einfließen zu lassen und Knowhow in Sachen Digital Signage im Land zu erarbeiten.
Lifespace ist ein tunesisches Multimedia- Unternehmen, ein Systemintegrator und Digital- Signage-Experte. Angeboten werden Planung, Verkauf und Installation von AV-Technik. Das ist erstmal nichts Besonderes, aber das Konzept „Lifespace, augmented life & workspaces“ verspricht mehr: Es beinhaltet umfangreichen Service in angrenzenden Bereichen an traditionellen Networking- und Handelsplätzen mit entspannter Arbeitsatmosphäre. Das Konzept von Lifespace basiert auf der historischen Tradition der Handelsrouten und Karawanenstraßen, wo Brunnen und Oasen naturgemäß zum Treffpunkt wurden, um News und Informationen auszutauschen, zu networken und Handel zu treiben. Hier entstanden auch nicht selten gesellige Lokale, in denen Speis und Trank angeboten wurde. Genau diesen Grundgedanken greift Lifespace auf und bietet das entsprechende Umfeld dazu an.
Am Anfang war das Konzept …
Ziel ist es, mehrere „Lifespace, augmented life & workspaces“ in Nordafrika zu schaffen, in denen die komplette technische Infrastruktur zum digitalen Arbeiten inklusive Digital Signage mit Werbung und News sowie Event/ Catering-Service zur Verfügung gestellt wird. Um diese vielfältigen Aufgaben zu strukturieren, teilten wir das Unternehmen Lifespace in fünf Abteilungen auf:
Livespace „augmented event&meeting space“: Das Aufgabengebiet umfasst die Location- Recherche, um diese für Events und Meetings inklusive moderner Medientechnik zu vermieten oder selbst Events dort durchzuführen.
Workspace „augmented (co)workspaces“: Dieser Bereich plant Huddle und Collaboration Rooms und bietet Räumlichkeiten zum Arbeiten für Einzelpersonen oder kleine Gruppen an.
LifespaceTV „augmented digital news“: Dieser Bereich ist verantwortlich für die Gestaltung und die Erstellung der redaktionellen Beiträge auf den Digital-Signage-Displays sowie für deren Vermarktung. Auch Content-Management sowie CMS-Software werden angeboten.
LifespaceFood “augmented gastronomy services”: offeriert Restaurant- und Catering Service.
Lifespace.Tech: Dieser Bereich bietet die Systemintegration und Installation für Medientechnik- und Digital-Signage-Lösungen inklusive Maintenance, Service und Support an. Im Bedarfsfall kann sogar die Planung von Außenund Innenarchitektur sowie Consulting und Projektmanagement mit abgedeckt werden.
Meine Aufgaben entwickelten sich dann vor Ort als vielfältig. Es mussten Businesspläne des Gesamtunternehmens und der einzelnen Abteilungen erstellt, das Unternehmen neu strukturiert, Vertrieb, Technik und Marketing geschult, Personal gesucht und ausgewählt werden. Auch sollte innerhalb meiner drei Monate vor Ort das erste Referenzprojekt begonnen werden.
Das erste Lifespace-Projekt: Le SafSaf – Tradition trifft Moderne
Mit dem SafSaf, einem historischen Treffpunkt in La Marsa nahe dem altehrwürdigen Handelshafen Karthago, wurde schnell ein entsprechendes Referenzprojekt gefunden: Das Cafe und Restaurant soll zu einem Showcase für das Unternehmen Lifespace umgebaut werden – nach dem Konzept „Lifespaces, augmented life & workspaces“ inklusive Digital- Signage-Anwendungen und Coworking-Möglichkeiten.
Das SafSaf existiert bereits seit 300 Jahren – länger als die Stadt La Marsa. Der Brunnen unweit vom Meer zog Karawanen an, um Vieh und Mensch mit Wasser zu versorgen. 1912 erwarb Sheik Bahri das Terrain, baute es aus und führte türkischen Kaffee und Frikassee ein. Die große Pappel, von der auch der Name SafSaf hergeleitet wurde, stiftete Schatten, und im Umkreis entstand ein Café mit Restaurant, das seither von früh bis spät in die Nacht zum Essen, Trinken, Handeln, Networken und zum Backgammon- oder Belotspielen einlädt. Mit der dritten Generation der Bahris und mit seinem Team durfte ich bei der Entwicklung eines modernen, neuen Konzepts zur Umgestaltung des SafSafs mitwirken – natürlich ganz im Sinne der traditionellen Nutzung.
Für das Modernisierungs-Team konnte auch der namhafte Architekt und Universitätsprofessor Bassem Arriguib gewonnen werden, der das Gebäude sowie die Innenarchitektur neu gestaltet. Seine Studierenden erhalten dabei die Möglichkeit, 3D-CAD Studien zu erstellen und sich aktiv in den Umbauvorgang einzubringen. So entsteht unter Mitwirkung vielleicht zukünftiger Nutzer eine moderne Begegnungsstätte für Jung und Alt, ein Treffpunkt zum Arbeiten, Networken und Spaß haben – ganz im Sinne der 300 Jahre alten Tradition.
Die ersten Digital-Signage-Displays
Gemeinsam mit Bassem entwickelte ich vor Ort eine Möglichkeit, zwei 55″ große Digital- Signage-Displays in der Hauptfassade des Saf- Safs zu integrieren, ohne jedoch den tunesischen Architekturcharakter zu unterbrechen. Die besondere Herausforderung war hierbei, Displays zu finden, die im Außenbereich bei starker Sonneneinstrahlung noch gut lesbar sind. Handelsübliche Monitore oder Fernseher sind für solch eine Extremanwendung ungeeignet. Hier konnte ich auf eigene Entwicklungen zurückgreifen und schaffte es in nur fünf Wochen, mit lokalem Personal und tunesischen Firmen erstmals in Afrika sonnenlichtlesbare Monitor-Prototypen zu produzieren und im SafSaf zu installieren.
Weiterhin installierten wir vor dem Café und dem Restaurant mehrere 55″-Displays von Samsung zur Menüdarstellung. Vor den Huddle- Rooms wurden 42″-Displays installiert, um auf Angebote und Events hinzuweisen. Diese können außerdem als Raumbuchungsdisplays verwendet werden. Die Produktion des Contents übernahm das hauseigene erfahrene Personal. Parallel konnten auch schnell Werbepartner gewonnen werden, was die Finanzierung der Hardware erheblich beschleunigte.
Zukunftspläne: Workspaces
In einigen der derzeitigen Backgammon-Locations werden die neuen Huddle-Rooms entstehen. Alleine und in kleinen Gruppen soll es dort zukünftig möglich sein, zu arbeiten und Meetings abzuhalten. Dafür wird eine Infrastruktur mit Internet und Displays für BYOD zur Verfügung gestellt, auch Samsung-Flips sind hier u. a. eingeplant. Auch die künftige Möblierung trägt den neuen Workspaces Rechnung: Kleine Dreieckstische, die als Sondermöbel im eigenen Land gefertigt werden, können einzeln genutzt oder zu einem runden Meetingtisch zusammengestellt werden. Modernes Design mit traditionellen tunesischen Elementen spiegeln dabei den ursprünglichen Charakter des SafSaf wider.
Natürlich wird es auch einen größeren, separaten Konferenzraum mit Projektionstechnik, Tischanschlussfeldern und BYOD-Konnektivität geben. Heute steht hier ein Tischprojektor mit Leinwand. Geplant ist jedoch die Installation eines lichtstarken Projektors unter der Decke mit professioneller motorischer Leinwand und neuer Leitungsinfrastruktur. Die Schulung des Elektrikers und des IT-Technikers über Grundlagen- Planung von Medientechnik und Installation war u. a. eine meiner Hauptaufgaben.
Der erste Event im neuen SafSaf
Die Location SafSaf ist natürlich hervorragend geeignet, um Events verschiedener Art durchzuführen und anzubieten. Mit der Marketingabteilung erarbeitete ich ein Programm mit Ablaufplan und organisatorischer Arbeitsliste für das Jahr 2018: Ramadan, Fußball-WM und landesübliche Feiertage boten einen fixen Veranstaltungsrahmen, der mit Kulturveranstaltungen wie Kunstausstellungen, Theater oder Musikvorführungen ergänzt wurde. Die ersten Events waren jedoch ganz anderer Natur: Anlässlich der Stadtratswahlen am 6. Mai in La Marsa fand hier am 26. und 27. April die Kandidatenvorstellung der acht teilnehmenden Listen statt, um die Wahlbeteiligung in der noch jungen Demokratie anzukurbeln. Hierfür mussten vier Events im SafSaf mit umfangreicher Technik geplant und aufgebaut werden. Die neu installierten Sunlight-Displays kündigten schon Tage vorher die Events an und dienten gleichzeitig zur allgemeinen politischen Information. Auf diese Weise wurde den Parteien tagsüber kostenlos eine Darstellungsplattform zur Verfügung gestellt, während abends Live-Vorstellungen mit Diskussionen unter Beteiligung des Publikums stattfanden.
Für Daheimgebliebene oder zur Dokumentation wurden alle Veranstaltungen vom Livespace-TV-Team mit Profikameras aufgenommen und live ins Internet gestreamt. Zusätzlich konnte noch jede Partei die Aufzeichnung per Stick mitnehmen. Zwei Tage volles Haus bekundeten das Interesse der Bevölkerung an der Mitgestaltung der zukünftigen Stadtregierung, was sich auch in der regen Wahlbeteiligung am 6. Mai widerspiegelte. An diesem Tag fand übrigens auch der nächste Event im SafSaf statt: Bei traditionellem Frühstück und Essen wurden per TV-Übertragung erste Hochrechnungen aus den Wahllokalen auf den neuen Displays präsentiert.
Mission accomplished?
Trotz gewisser Kultur- und Sprachunterschiede gab es nie Schwierigkeiten im Verständnis. Die Menschen und Firmen waren alle sehr wissbegierig, freundlich und außerordentlich hilfsbereit. Probleme hatte ich aber bei der Beschaffung von professioneller Technik: Die namhaften Hersteller der AV-Branche haben das Verkaufsgebiet Nordafrika alle noch nicht auf dem Schirm. Entlang der Mittelmehrküste gibt es weder Niederlassungen noch Distributoren. Die für Tunesien zuständigen Ansprechpartner sitzen entweder in Europa, in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Südafrika. Schulungsangebote für Planungsingenieure oder Techniker werden überhaupt nicht angeboten. Die einzige kurzfristige Lösung war die Nutzung meines Netzwerks in Deutschland. Zukünftig können jedoch Lieferungen der hauptsächlich in Asien gefertigten Technik schon alleine wegen der hohen Fracht- und Zollkosten nicht über die EU erfolgen.
Positiv ist aber: In Tunis hatte sich schnell herumgesprochen, dass ein deutscher Medientechnik-Experte im Lande war, so dass ich einige Kundentermine bei Banken, Agenturen, Luxushotelketten, Versicherungen oder deutschen und internationalen Unternehmen zusammen mit dem Lifespace-Salesmanager wahrnahm. Und hier eröffnete sich ein enormes Interesse und Potenzial an aktuellen Medientechnik- und Digital-Signage-Lösungen sowie an LED-Billboards für DOOH. Auf diese Weise sind für Lifespace außer dem SafSaf weitere vielversprechende Leeds entstanden. Doch der nächste Schritt für Lifespace wird sein, Investoren zu finden.
Wie man sich denken kann, waren die drei Monate in Tunesien zur Bewältigung der vielen Aufgaben für mich viel zu kurz – vielleicht werde ich im nächsten Jahr – in welcher Funktion auch immer – wieder nach Tunesien reisen.