Mit Virtual-Reality-Panoramen und robotergesteuerten Filmgeschichten portraitiert die Thüringer Tourismus GmbH (TTG) in Erfurt ihr Bundesland. PROFESSIONAL-SYSTEM-Autor Markus Tischner erkundete, welche technologischen Feinheiten sich hinter den Kulissen der touristischen Medienpräsentation verbergen.
Derzeit ist „360 Grad“ ein sehr beliebtes Schlagwort, wenn man zeigen will, dass man bei seinem Angebot „rundum“ die verschiedensten Aspekte abdeckt. In der virtuellen Erlebniswelt „360 Grad – Thüringen Digital Entdecken“ der Tourist-Info in Erfurt wird dieses Schlagwort mit Leben erfüllt. Hier können die Besucher unter anderem mit VR-Brillen in einen 360°-Film eintauchen und verschiedene Thüringer Orte so besichtigen, als wären sie vor Ort.
Virtuelle Erlebniswelten
„Digitale Ausstellungsräume werden bereits erfolgreich von der Wirtschaft genutzt. Mit der virtuellen Erlebniswelt wollen wir dieses Konzept für Thüringen nutzen und so auch in der Vermarktung neue Wege gehen“, sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee anlässlich der Eröffnung Ende 2017. „Als Leitprojekt steht sie stellvertretend für das Ziel der Landestourismusstrategie 2025, die Angebote stärker an den Wünschen des heute anspruchsvolleren Publikums auszurichten und Reisemotive zu schaffen“, so Tiefensee.
Konzipiert hat das Projekt das Berliner Unternehmen Triad. Die Kreativagentur für „Kommunikation im Raum“ realisiert bereits seit 1994 weltweit Ausstellungen, Themenparks und Markenwelten. Als Installer vor Ort kamen die Veranstaltungstechnik-Spezialisten von Neumann & Müller mit ins Boot. Für die Einrichtung der Erlebniswelt inklusive des Umbaus der alten Tourist-Information hat das Wirtschaftsministerium etwa eine Million Euro zur Verfügung gestellt.
Auf rund 150 Quadratmetern können die Besucher Thüringen in den drei Räumen „Die Lichtung“, „Weitblick“ und „Der gute Rat“ entdecken: Herzstück des Besucherzentrums ist der Raum „Die Lichtung“. Hier wechseln neun DMX-steuerbare LED-Scheinwerfer vom Typ Expolite TourLED MC180 dreimal im Laufe des Tages die Farbe und erzeugen so unterschiedliche Lichtstimmungen. Im Zentrum führt ein Kuka-Roboter mit angeschlossenem Video- Display durch Thüringen. Auf Knopfdruck bewegt er das Display über ein 3D-Geländemodell und spielt an den passenden Orten die Thementouren „Orte mit Aura“, „Thüringer blau“, „Mit allen Sinnen“ und „Leben und Arbeiten in Thüringen“, die filmische Einblicke in den Freistaat geben.
Im Raum „Weitblick“ können die Besucher in drehbaren Sesseln Platz nehmen und mit modifizierten „Zeiss One“ VR-Brillen Thüringen in 360°-Filmbildern entdecken. Der offene Raum „Der gute Rat“ bietet neben persönlicher Beratung und Information durch Broschüren und Karten einen Multitouch- Tisch mit Informationen rund um Thüringen. Und auf einer 2×2-Videowand mit einer Social-Wall-Anwendung werden Posts mit Thüringen-relevanten Tags live von verschiedenen Social-Media-Plattformen gezeigt.
AV und Robotertechnik verheiraten
Während die Besucher sich vom geschmeidig dahingleitenden Roboterarm über das Geländemodell leiten lassen, ahnen sie nichts von den technischen Finessen, die in der Vorführung stecken, wie Robert Mönnich von Triad zu berichten weiß: „Eine der interessantesten Herausforderungen der Installation war es, die AV-Technik mit den Anschlussmöglichkeiten eines Industrieroboters zu verheiraten. Prinzipiell ist ja die Steuerungstechnik von Industrierobotern nicht darauf ausgerichtet, AVMedien wiederzugeben. Deshalb mussten wir an der einen oder anderen Stelle ungewöhnliche Wege gehen.“
Dabei wirkt die Aufgabe auf den ersten Blick gar nicht so komplex. Über ein Auswahlrad am Geländemodell wählt der Besucher aus, welche Video-Tour er sehen möchte. Die verfügbaren Touren laufen auf dem 24″-Display von LG am Roboterarm und werden via Klick am Auswahlrad gestartet. Anschließend fährt der Roboter genau zur Geolocation, die zur gewählten Tour passt und der Film beginnt. Technisch gesehen müssen also das Steuersignal zum Starten des Films sowie der Content selbst durch den Roboterarm auf das Display gelangen.
Leider sind AV-Leitungen nicht Bestandteil der Roboterarm-Elektronik. Industrieroboter besitzen zwar einen „Medienflansch“. Aber was für den AV-Installer genau danach klingt, was er sucht, ist in Wirklichkeit ein genormtes Anschlussfeld für pneumatische und elektrische Verbindungen. Lediglich eine RJ-45- Buchse ist Teil des Medienflansches. Der naheliegende Plan von Triad war es, den Content über das Netzwerkkabel zum Display zu transportieren. Jedoch ist die LAN-Verbindung in Roboterarmen nicht für das Übertragen von Mediendaten vorgesehen. In der Praxis gelang es deshalb nicht, das Video stabil über diese Verbindung zu leiten. Eine zusätzliche Leitung durch den Roboterarm zu legen, war nicht möglich. Aus diesem Grund entschloss man sich, den Content lokal am Display zu halten, so dass die Videodaten nicht durch den Arm transportiert werden müssen. Hierzu wurde ein Intel Mini-PC NUC7I5BNK mit einem i5- Prozessor mit dem Display verbunden und direkt am Roboterarm in einer Konsole verbaut.
Sowohl Monitor als auch Mini-PC laufen über 19 Volt Niederspannung, die vom Roboter kommt, und kommen ohne eigenes Netzteil aus. So konnte die gesamte Konstruktion so filigran gehalten werden, dass sie optisch anspruchsvoll und gleichzeitig noch gut zu bewegen ist. Die nächste Herausforderung war der Video-Ton: Will man die filigrane Erscheinung des Monitorarms erhalten, kann man direkt am Display nicht diejenigen Lautsprecher verbauen, die stark genug wären. Deshalb wurden im Medientisch drei Breitbandlautsprecher vom Typ Seeburg i4 verteilt. So kann der Ton kräf tig genug und auch räumlich verteilt wiedergegeben werden. Weil wiederum der Medientransport durch den Kuka-Arm vom Mini- PC zum Medientisch nicht stabil genug ist, war es die einfachste Lösung, das Audiosignal getrennt von den Videos zu halten und mit den Videos zu synchronisieren. Aus diesem Grund entschied man sich dafür, die Audiospur über einen im Medientisch verbauten Brightsign HD223-Player abzuspielen und an einen LABGruppen IPD-1200-Verstärker zu senden, der im Medientisch versteckt ist und die Seeburg- Lautsprecher versorgt.
Bleibt nur noch die Frage, wie man den Video-Content überhaupt mit dem Auswahlrad am Medientisch startet und auch noch mit dem Audio synchronisiert. Weil in den Filmen nur Sprechertext zu hören ist und keine O-Töne vorkommen, bei denen man Lippensynchronität benötigen würde, kamen die Planer auf eine pragmatische Lösung: Wenn ein Besucher eine Tour am Medientisch auswählt, sendet eine für das Projekt geschriebene Software ein Startsignal an den Brightsign-Player. Gleichzeitig wird der Startimpuls zum Video am Roboterarm- Display via WLAN gesendet, und der Roboterarm wird an die passende Geolocation über dem 3D-Geländemodell gefahren. Die integrierte Mehrsprachigkeit wurde ebenso pragmatisch umgesetzt: Beim Tour-Start kann man eine deutsche und eine englische Audiospur wählen. Technisch gesehen laufen hier immer beide Sprachen gleichzeitig ab. Je nach Sprach- Auswahl wird die Lautstärke der gewählten Sprache auf 100 % und die der anderen Sprache auf 0 % gesetzt.
Wenn gerade keine Video-Tour ausgewählt ist, läuft eine vorprogrammierte „Ambient- Tour“, die den Arm über ganz Thüringen führt und zur Position passende Bilder zeigt. Diese Ambient-Tour wechselt sich zudem mit Veranstaltungshinweisen ab, die ebenfalls passend zur Geolocation angezeigt werden. Diese Veranstaltungshinweise können direkt von den Mitarbeitern der TTG gepflegt werden. Sie tragen in einer Excel-Tabelle die Veranstaltungsdaten ein. Neben Texten können hier auch Bilder über einen Dateipfad ausgewählt werden. Und es gibt auch eine Spalte für die Geo-Koordinaten des Veranstaltungsorts, die dafür sorgen, dass der Roboterarm immer am richtigen Ort des Geländemodells steht, wenn ein Veranstaltungshinweis gezeigt wird.
360°-Filme im Sessel
Der kreisrunde Raum „Weitblick“ ist geprägt durch drehbare Sessel mit seitlich angebrachten VR-Brillen und ein umlaufendes Silhouetten- Panorama, das verschiedene Thüringer Sehenswürdigkeiten visualisiert. Wer die Headsets aufsetzt, bekommt einen 360°-Film mit Thüringer Highlights zu sehen. Dabei bewegt sich das Rundum-Bild automatisch mit, wenn man sich in den Sesseln dreht. Und auch der Ton verändert sich, wie im richtigen Leben, beim Blick in unterschiedliche Richtungen. So taucht man völlig in den Film ein und fühlt sich wie vor Ort. Besonders eindrucksvoll sind dabei die Drohnen-Aufnahmen, die von Triad extra für die Medien-Installation erstellt wurden.
Diese wurden mit zwei Kodak SP360- Kameras aufgenommen, die mit einer im 3DDrucker gefertigten Kamerahalterung an einer DJI Inspire-1-Drohne befestigt waren. Dabei war eine Kamera senkrecht nach oben und die andere Kamera senkrecht nach unten gerichtet. Da die beiden Kameras jeweils einen Bildwinkel von 235° haben, erreicht man mit diesem Setup bereits eine volle sphärische Abbildung für ein komplettes Panorama. So konnten die Aufnahmen einfach und kostengünstig produziert werden und haben für die Installation dennoch die benötigte Qualität. Gezeigt werden die Filme mit Zeiss One VR-Brillen, die mit einem herkömmlichen Samsung Galaxy S8 bestückt sind.
Ursprünglich dachte man darüber nach, eine VR-Brille mit integriertem Display einzusetzen, wie eine Oculus Rift oder HTC Vive. Diese Brillen sind jedoch wesentlich teurer in der Anschaffung und auch in der Wartung. Zudem verfügen sie über Features wie raumfüllendes Tracking, die gesonderte Hardware erfordern würden und für die geplante Anwendung einfach oversized wären. Tests haben dann ergeben, dass die Zeiss One mit integriertem Samsung Galaxy S8 eine überraschend gute Bildqualität produziert und für die geplante Installation besser geeignet ist.
Die Smartphones werden durch Akkupacks mit Spannung versorgt, die sich in den Ablagen an den Sesseln befinden. Das Personal wechselt die Akkus täglich, so dass immer ein Akku benutzt und einer aufgeladen wird. So sind die Headsets „autark“ am Sessel einsetzbar, da es keine Schnittstelle mit einer Verkabelung zu Boden oder Decke gibt. Und für größere Veranstaltungen kann der komplette Raum auch bei Bedarf mit wenigen Handgriffen komplett leergeräumt werden.
Die einzige Herausforderung war die Wärmeentwicklung der Handys in der Brille. Die Gerätekombination ist im herkömmlichen Setup nicht für den Dauerbetrieb ausgelegt. Die Geräte erhitzen sich im pausenlosen Einsatz so stark, dass sie aktiv gekühlt werden müssen. Hierzu entwickelte Triad einen speziellen Aufsatz, der einen Kühlkörper und zwei kleine Lüfter trägt. Dieser ist so gut in das Head set integriert, dass er erst auf den zweiten Blick auffällt.
Eine zweite Modifikation der VR-Brille wurde aus Usability-Gründen durchgeführt, wie Mönnich erläutert: „Wir wollten die Hürde des Auf- und Absetzens verringern und haben darum auf ein Kopfband verzichtet. Ohne Befestigung am Kopf werden weniger Frisuren zerstört, was die Nutzungshemmschwelle deutlich herabsenkt. Vielen Menschen ist es unserer Erfahrung nach unangenehm, mit so einem Band „gefesselt“ zu sein. Zudem haben die Besucher so die Möglichkeit, bei ggf. auftretendem Schwindel oder Unwohlsein durch die ungewohnte 360°-Erfahrung, die Brille schnell runterzunehmen und danach leicht wieder aufzusetzen. Die Filmlänge ist so gewählt, dass das Halten der Brille nicht ermüdend wird.“
Vollautomatische Social Wall
Im dritten Raum „Der gute Rat“ fällt sofort die 2×2-Videowand ins Auge. Diese ist aus vier Panasonic TH 55 LFV70 55-Zöllern mit schmalen Stegen zusammengesetzt. Die Panels haben eine Leuchtdichte von 700 Nit. Damit sind die Bilder auch an hellen Tagen immer gut und kontrastreich zu sehen. Hier wird im Wechsel neben einem statischen Willkommensbildschirm auch live erzeugter User- Generated-Content aus verschiedenen Social- Media-Kanälen gezeigt. Dieser automatisierte Prozess wird von einer Social-Wall-Anwendung des Anbieters walls.io in Gang gehalten.
Dies ist eine webbasierte Lösung, über die man mit einem persönlichen Login sehr einfach einstellen kann, welche Inhalte live von welchen Plattformen abgegriffen und auf den Bildschirmen gezeigt werden sollen. Im konkreten Fall werden die vier Plattformen Twitter, Face book, Instagramm und Pinterest live nach Thüringen-relevanten Hashtags durchsucht. Die passenden Posts werden von der Social Wall automatisch auf die Monitore gespielt. Enthält ein Post Bild und Text, wird der Text direkt über dem Bild eingeblendet. Enthält der Post nur Text, wird der Text auf einer farbigen Fläche angezeigt.
Dieser im Prinzip vollautomatische Prozess kann über die Webanwendung dennoch moderiert werden. So können Posts, die als unangebracht erscheinen, vom Moderator ausgeblendet werden. Auf der anderen Seite können vertrauenswürdige Poster auch auf eine Whitelist gesetzt und so immer angezeigt werden.
Zeitgesteuerte Medien- und Lichtinstallation
Die gesamte Medien- und Lichtinstallation in allen drei Räumen wurde so eingerichtet, dass sie inklusive Ein- und Ausschalten komplett zeitgesteuert abläuft, ohne dass ein Mitarbeiter auch nur einen Knopf drücken müsste. Für Problemfälle wurde eine Fridie Universe-Steueroberfläche programmiert, mit der die TTG-Mitarbeiter vor Ort im Serverraum die Installation oder einzelne Geräte neu starten können.
Zudem haben die Mitarbeiter von Triad einen VPN-Zugang zur Installation und können sich via Remote-Desktop mit den Komponenten verbinden. Um den Support zusätzlich zu optimieren, wurde im Raum „Die Lichtung“ eine Axis M3037-PVE Domkamera installiert. Diese streamt ein Livebild, mit dem man remote auch die Bewegungen des Roboterarms verfolgen kann. So kann man sich bei ungewöhnlichem Verhalten des Roboters auch am entfernten Standort ein gutes Bild von der Situation vor Ort machen.
Digitaltechnologien machen Neugierig
Mit den Zutaten VR, Robotertechnik, AV-Medien und Social-Media wurde in Erfurt eine interessante Melange aus verschiedenen Digitaltechnologien geschaffen. Besonders die immersiven VR-Panoramen machen neugierig, das eine oder andere Fleckchen in Thüringen auch live zu erleben.
Die Webadresse stimmt leider nicht ganz 😉
Hier die richtige: https://www.thueringen-entdecken.de/urlaub-hotel-reisen/360-grad-thueringen-digital-entdecken-161464.html
Toller Artikel!
Danke für den Hinweis 🙂